Mode:Zurück zum Märchen

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Es ist offiziell: Die Römerin Maria Grazia Chiuri kommt von Valentino als neue Chefdesignerin zu Dior. In der 69-jährigen Geschichte des Pariser Traditionshauses ist sie die erste Frau überhaupt in dieser Position.

Von Tanja Rest

Es scheint tatsächlich die Dekade der Frauen zu werden. In Berlin herrscht Angela Merkel unangefochten im elften Jahr, in Washington steht seit drei Jahren Christine Lagarde dem Internationalen Währungsfonds vor, in London regiert seit Mittwoch Theresa May, und auf dem Westbalkon des Kapitols wird am 20. Januar sehr wahrscheinlich Hillary Clinton als erste Präsidentin der USA vereidigt. Und in der Pariser Avenue Montaigne? Hat seit acht Tagen ebenfalls eine Frau das Sagen, jedenfalls künstlerisch. Maria Grazia Chiuri ist die neue Chefdesignerin von Dior.

Man mag diese Personalie, in einer Reihe mit all den mächtigen Regierungs- und Wirtschaftschefinnen, läppisch finden. Aber das ist sie nicht.

Das Haus Dior, 1947 von Christian Dior gegründet und längst in den Status eines nationalen Kulturschatzes erhoben, ist der Gralshüter femininer Eleganz - und dennoch ausschließlich von Männern geführt worden. Einige der größten Namen der Modegeschichte sind darunter: Yves Saint Laurent, Gianfranco Ferré, John Galliano, Raf Simons. Wenn ein solches Bollwerk männlichen Gestaltungswillens nach 69 Jahren erstmals von einer Frau durchbrochen wird, ist plötzlich vieles vorstellbar.

Kathedrale der Eleganz: Dior-Defilée im März 2016, nach dem überraschenden Abgang von Raf Simons. (Foto: Getty Images)

Sidney Toledano, Diors CEO und feministischer Umtriebe bisher unverdächtig, sagte in der New York Times dazu Folgendes: "Wenn man einer Frau dabei zuhört, wie sie über andere Frauen spricht - ihren Job, wie sie reisen, was sie brauchen -, dann ist das nicht konzeptionell. Sondern es ist praktisch. Maria Grazia ist praktisch, sie hat eine Familie und ein echtes Leben. Sie packt die Dinge an."

Chiuri ist eine waschechte Römerin, 52 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, mit einer Schwäche für die Oper und "Zoolander" (Ben Stiller und Owen Wilson sind tatsächlich einmal in ihrer Show aufgetreten). Sie ist bodenständig, nicht verdruckst, kein bisschen affektiert und beantwortet Fragen mit einer Offenheit, die man in der Mode eher selten antrifft. Sie ist, banal gesagt, nett. Kein Wunder, dass der alte Valentino Garavani erst Englisch mit ihr sprach: Diese ungekünstelte Person kam ihm so seltsam vor, dass sie mindestens aus einem anderen Land stammen musste.

Zu Valentino kam Chiuri 1999, gemeinsam mit ihrem Freund und beruflichen Partner Pierpaolo Piccioli, mit dem sie bereits zehn Jahre bei Fendi gearbeitet hatte; 2008 wurden die beiden Chefdesigner. Die etwas altbackene Kollektion mit den großen Roben und dem ewigen Valentino-Rot krempelte das Duo hemmungslos von Glamour auf Romantik um: Kleider wie aus dem Märchen, so feenhaft schön und filigran, dass bei den Defilées manchmal geheult wurde. Sie brachen Verkaufsrekorde. In der Branche blieb das nicht unbemerkt. Sidney Toledano mag sein Herz für die Sache der Frauen entdeckt haben, vor allem aber hat er ein Herz für Zahlen.

„Sie packt die Dinge an“: Maria Grazia Chiuri. (Foto: Etienne Laurent/dpa)

Der Luxusmarkt, der so lange vor sich hin brummte, liegt in Folge der Terrorakte in Europa ziemlich am Boden, der Kundschaft ist die Reise- und Shoppinglust erst mal vergangen. Dagegen sieht die Entwicklung bei Valentino wie Fantasy aus: In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist der Umsatz schon wieder um neun Prozent gestiegen, auf jetzt 256 Millionen Euro - damit ist das Modehaus eines der umsatzstärksten der Welt. Allein die Erfolgsgeschichte der Rockstuds, der mit Nieten besetzten Sandaletten, deren Billigklone seit Jahren in jedem Schuhgeschäft stehen, muss den Leuten bei Dior Tränen des Neides in die Augen getrieben haben.

Bei allem Kritikerlob für Raf Simons, der Ende 2015 seinen Hut nahm: Kommerziell lief es nicht mehr richtig gut an der Avenue Montaigne, zuletzt war der Umsatz sogar rückläufig. Wenn im kommenden Jahr der 70. Geburtstag groß gefeiert wird, müssen auch die Bilanzen wieder funkeln. Das soll die Römerin jetzt richten.

Es ist ein Monsterjob. Chiuri ist zuständig für Haute Couture und Prêt-à-porter, das sind schon mal sechs Kollektionen im Jahr. Dazu noch Accessoires, also Schuhe, Taschen, Brillen und Teile der Schmuckkollektion. Sie hat sich außerdem - ein Novum bei Dior - ein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Boutiquen und der Kampagnen zusichern lassen. Dabei arbeitet sie zum ersten Mal seit 20 Jahren alleine, ohne ihren Partner (Piccioli bleibt als Chefdesigner bei Valentino). Nimmt man die maue Stimmung in der Branche hinzu, gibt es leichtere Bedingungen für ein Debüt.

Am 30. September auf der Pariser Fashion Week zeigt Maria Grazia Chiuri ihre erste Kollektion für Dior, und von dem modernen, zeitgemäßeren Look, den Simons der Marke verpasst hat, wird da nicht viel übrig bleiben. Aber gut, Dior wurde 1947 erschaffen, um die in Sack und Asche gehenden Geister der Nachkriegszeit zu vertreiben. Realitätsflucht: Im Jahr 2016 braucht man sie wieder.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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