Für sie: Von wegen Sünde
Jahr für Jahr schreiben wir an dieser Stelle gegen die modische Wintertristesse an, aber jedes Jahr wieder zwängt sich eine grau-schwarze Masse durch die weihnachtlich beleuchteten Straßenschluchten. Wirklich letzter Versuch dieses Jahr, denn Designer haben eine neue Lieblingsfarbe: Rot, die Mutter des zu Tode gehypten Pink. Viele Ebenen hat die Farbe, die als allererste von uns Menschen mit einem Namen bedacht wurde, von politisch bis symbolisch. Es gibt Studien, die belegen, dass man in Rot als attraktiver wahrgenommen wird, was ein Topgrund wäre, sich dauerhaft als Tomate auf die Straße zu begeben. Aber irgendwas hält die Leute davon ab - und das, obwohl Rot ja mal die ultimative Statusfarbe war, vorbehalten Kardinälen und Adligen. Zugleich war es die Bibel, die Rot und Purpur mit der Kleidung von Sexworkerinnen in Verbindung brachte - als Personifikation des Luxus und der Todsünde Eitelkeit? Ganz falsch!
"Rot als Dirnenfarbe zu verachten, ist eine moderne Idee", schrieb die Soziologin Eva Heller in ihrem Buch "Wie Farben wirken". Die psychologische Deutung von Kleiderfarben kam erst lange nach der Abschaffung von gesellschaftlichen Kleiderordnungen auf: "Erst die Moral der Durchschnittlichkeit, die Moral der Normalität, setzt unauffällige Farben mit charakterlicher Seriosität gleich und lehnt auffällige Kleidung als unseriös ab." Durchschnittlich ist das Schreckenswort. Dieser Look von Ferragamo ist das Gegenteil und wärmstens zu empfehlen. Darf im Notfall natürlich Nachrichtensprecherin-mäßig mit echter Hose kombiniert werden.
Für ihn: Rot am Mann
Im maßgeblichen Kinderlied zum Thema Kleiderfarbe ist für Rot festgehalten "Darum lieb ich alles, was so rot ist, weil mein Schatz ein Reiter ist". Für trällernde Kinder und viele Erwachsene liegt heute wohl die Assoziation mit Kavallerieangehörigen oder dem roten Rock berittener Jäger nicht mehr nahe, aber es gibt auch kaum brauchbare Alternativen. Der Weihnachtsmann hat zwar rote Berufskleidung, ist aber zu wenig altdeutsch, Kardinal lässt sich schlecht singen und beide sind als "Schatz" sowieso ungeeignet. Sind rote Männer zwingend Einzelgänger? Mitnichten, wenn man sich die Laufstegvorschläge für den Winter ansieht, wo etliche Labels ihre Jungs in roter Vollausstattung auflaufen ließen.
Als Ganzkörperfarbe, wie hier bei Zegna, verliert das Rot jene simple Signalwirkung, die sich Männer bisweilen mit roter Krawatte, Pullover oder Strümpfen zunutze machen, um dunklen Farben etwas Chili zu geben. Ist Rot die einzige Farbe am Mann, tritt stattdessen ein Effekt ein, der weniger an Feueralarm denken lässt als an modisch-spirituelle Überlegenheit. Es wird sozusagen das Ferrari-Prinzip von der Straße auf den Charakter übertragen. Wer ganz in Rot auftaucht, signalisiert vor allem: dass er es kann. Und es gibt nur sehr wenige Männer, die es können, ohne albern zu wirken. Sie sollten dafür nicht zu jung und schon gar nicht zu alt sein, extrovertiert zwar, aber nicht irgendwie laut und auch eher nicht Bluthochdruckpatienten. Man sollte jedenfalls nie das Gefühl haben, dass sie auch innerlich im Rotbereich angekommen sind, im Gegenteil: Innen cool, außen rot - dann geht's.