Mode:Am Hosenbund geht es gerade drunter und drüber

Lesezeit: 2 min

Beim Mushroom-Look wird alles in den Bund gestopft. (Foto: Christian Vierig/Getty Images)

Hemd rein oder Hemd raus, das waren früher die einzigen Optionen. Doch inzwischen stopfen Menschen Blazer und selbst ganze Daunenjacken in die Hose. Alles ist möglich, aber nichts davon passiert zufällig.

Von Silke Wichert

Rein oder raus. Das waren die beiden Optionen. Entweder wurde das Hemd oder T-Shirt fein säuberlich reingesteckt. Oder ab den befreiten Sechzigern einfach so hängen gelassen. Wenigstens am Hosenbund war die Welt noch überschaubar. Aber damit ist es jetzt auch vorbei.

Denn wer einmal in die ungeahnte Vielfalt des "Tuckings" eintaucht, wird diese Erfahrung nie wieder einfach so wegstecken können. Wer einmal um Dinge namens "Vokuhila" (T-Shirt vorne rein, hinten raus), "Half Tuck" (eine Hemdenhälfte rein, andere raus) und "Mushroom" (alles Soufflé-mäßig ein bisschen raus) weiß, wird ihnen überall auf der Straße begegnen und merken: Am Bund geht es drunter und drüber. Und nichts davon passiert zufällig.

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Angefangen hat der Trend zum "Tucking" ungefähr vor fünf Jahren. Verschiedene Magazine berichteten von einem Kunstgriff namens "Half Tuck", der nach Schönheitsoperation klang, bei dem es sich aber "nur" um das Steckmanöver eines T-Shirts handelte: Vorne zwei Handflächen breit vom Stoff rein, den Rest einfach lässig raushängen lassen.

Ungefähr zur selben Zeit eroberten Dinge wie "Effortless Hair" die Mode. Alles sollte so aussehen, als hätte man wirklich überhaupt nicht den leisesten Gedanken an seinen Auftritt verschwendet, damit das Ergebnis extra lässig und mühelos erschien. Stimmt natürlich meist alles gar nicht, dahinter stecken jede Menge Handgriffe, die sitzen müssen. Aber der "Half Tuck" war in jedem Fall eine Übung, die auch Anfänger hinkriegen konnten. Und im Handumdrehen sah der ewige Jeans-T-Shirt-Look ein bisschen anders aus.

Ob einige trotzdem versagten oder nur experimentell wurden, ist rückblickend nicht mehr zu klären, jedenfalls war neben dem "Half Tuck" bald auch vom "Side Tuck" (seitlich) die Rede, vom "Navel Tuck" (nur am Bauchnabel), vom "Low Tuck" (extra tief angesetzt), "Quarter Tuck" - die Liste ist damit keineswegs zu Ende, aber natürlich darf man spätestens hier einmal fragen, ob die "Art of Tucking", wie es die Vogue nannte, nicht doch etwas aus dem Ruder gelaufen ist.

Ein Blick auf die Laufstege zeigt: nicht im Geringsten. Balenciaga zeigte für diesen Sommer auf der Hüfte hängende Schottenröcke, in die die Blusen nur vorne lose reingesteckt waren. Céline machte sogar den halb reingesteckten Blazer populär. Das Model trug ein langes roséfarbenes Jackett, das nur zu einem Viertel vorn in den gelben Plisseerock gesteckt worden war. Kleiner Stylingtrick, große Wirkung.

Eine Hemdhälfte rein, die andere raus - "Half Tuck" nennen Kenner das. (Foto: Patrick Kovarik/AFP/Getty Images)

In zig Modestrecken war diese Variante daraufhin zu sehen. Das Model Kendall Jenner verstaute einen beigefarbenen Blazer auch gleich mal ein bisschen in der passenden Hose, andere stopften ihre Jacketts sogar gleich ganz in den Bund.

Ob das wirklich einen schlanken Unterleib macht, sei einmal dahingestellt, in jedem Fall verleiht es dem Träger eine gewisse Individualität und verändert auf einen Schlag die Proportionen. Deshalb hat man auch schon Leute ihre Hoodies, Wollpullover und, kein Witz, Daunenjacken in die Jeans stecken sehen. Nie wieder wird man von nun an also sein T-Shirt einfach in die Hose stecken können, ohne sich bewusst zu sein, dass man gerade den "Full Tuck" zelebriert.

Hinten raus, vorne rein, fertig ist der "Vokuhila". (Foto: Edward Berthelot/Getty Images)

Wer seine Bluse gewohnheitsmäßig ein bisschen aus dem Bund schoppt, wie es in den Achtzigern üblich war, wird von nun an immer einen Pilz, ein Soufflé oder ein Pilzsoufflé vor Augen haben. Und wenn das Hemd oder die Bluse, weil vor langer Zeit eingelaufen und eigentlich viel zu kurz, beim Bücken hinten aus der Hose rutscht, wird der Praktikant im Büro womöglich anerkennend den "Vokuhila Tuck" registrieren.

Nur eine Frage ist mit all dem neuen Repertoire immer noch nicht geklärt, die Knigge-Foren für Männer immer wieder beschäftigt: Hemd rein? Oder raus? Der amerikanische Modedesigner Virgil Abloh, derzeit so etwas wie die oberste Zeitgeistinstanz, zeigte bei seiner ersten Kollektion für Louis Vuitton für nächsten Sommer das ganze Repertoire. Hemd über der Hose, glatt drinnen oder fluffig ein bisschen rausgeholt. Mit anderen Worten: Steckt es euch einfach sonst wo hin.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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