Jeans:Hosen ohne Happy End

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Kaputte Zeiten: Wer derzeit hip sein will, muss seine Jeans misshandeln. (Foto: Daniel Zuchnik/Getty Images)

Unzählige Jeans sind der gleichen OP zum Opfer gefallen: Saum ab und unten ordentlich ausfransen. Was soll aus all den verstümmelten Hosen werden?

Von Silke Wichert

Ziemlich kaputte Zeiten sind das. Anderswo auch, aber in der Mode ganz besonders. Da wurde in den vergangenen zwei Jahren so viel verstümmelt wie lange nicht mehr. Vor allem die Jeans mussten dran glauben. Erst wurden sie an den Knien aufgerissen, dann überall ein bisschen, jetzt sieht man vor lauter Fransen bald keine Säume mehr. Ein heilloses Gemetzel, gefühlt fast jede zweite Hose wurde bereits abgeschnitten. Wie konnte es nur so weit kommen? Und vor allem: Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?

Wer angefangen hat, ist zur Abwechslung mal schnell geklärt: Im September 2014 zeigte das Label Vetements in seiner zweiten Kollektion eine Jeans mit Patchwork-Hintern und abgeschnittenem Saum. Das Ding kostete 1150 Euro - und wurde ein Bestseller. Wer sich das Original nicht leisten konnte, wollte zumindest ein bisschen mitmachen. Also legten die Ersten selbst Hand an und schnitten, ratzfatz, ihre Hosen ab. Das ging ja ganz einfach! Und tat gar nicht weh!

Wer trotzdem unsicher war, konnte bald in unzähligen Youtube-Tutorials zugucken, wie man gerade schnitt und professionell ausfranste: zwei Finger breit abmessen, Kreidestrich ziehen, Schere anlegen, dann die Naht mit Schraubenzieher aufribbeln und mit Pinzette säubern. Do it yourself - aber Bitteschön richtig.

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Ausfransen, durchlöchern, stonewashen: Bislang werden viele Designs in Handarbeit hergestellt - mit gesundheitlichen Risiken für die Arbeiter. Ganz uneigennützig ist die neue Technologie aber nicht.

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Heute wollen alle nach Straße aussehen, da passt eine kaputte Hose natürlich wunderbar

Dass das ein gewisser Martin Margiela natürlich schon viel früher gemacht hatte, also Säume abschneiden, Nähte offen stehen lassen - geschenkt. Mit der Urheberschaft nimmt es die Mode spätestens seit der Fast Fashion nicht mehr so genau, und die Neunziger feiern sowieso ein Revival. Wenig überraschend, dass die Billigvariante bei Zara und H&M bald stapelweisen in den Regalen lag, ready-made abgeschnibbelt. Längst sind auch Jeansjacken und -röcke dran. Kein Saum mehr, nirgends. Bleibt die Frage, warum sich ausgerechnet dieser Look so durchsetzen konnte - und sich dermaßen hartnäckig hält, obwohl sich die Trends doch sonst so schnell ändern wie nie zuvor.

Ohne den sauberen Abschluss da unten sieht ein Kleidungsstück nun mal automatisch unfertig aus, oder anders gesagt: nicht perfekt. Die Mode propagiert schon länger diese Art vollendet unvollendete Ästhetik, weil sie so wunderbar in diese Zeiten des Umbruchs passt. Ständig ist also von Brüchen in der Garderobe die Rede, davon, etwas miteinander zu kombinieren, das eigentlich nicht so recht zusammenpasst, was nicht weniger gewollt, aber zumindest weniger elegant und deshalb mehr nach Straße aussieht. Eine Hose, deren Saum in Fetzen hängt - das ist nun ganz offensichtlich abgerockt und wirklich unelegant. Da kann jeder Träger mit Recht behaupten, er stecke mit beiden Beinen voll im Trend, um dann in aller Seelenruhe die todschicken Gucci-Loafer oder Manolo-Blahnik-Pumps dazu anziehen. In Kombination mit nackten, leicht gebräunten Knöcheln kann man da eigentlich nichts falsch machen. Oder?

Erwartbares Problem: Diese Art der geringdosierten Subversivität ist so einfach und bequem, dass sie selbst die eigentlich nicht so radikalen, sondern eher pfiffig angelegten Konsumenten erfasst und der Trend allmählich aus dem Ruder läuft. Wurde anfangs nur ein bisschen ausgefranst, tragen manche Frauen mittlerweile regelrechte Büschel unten an den Hosen, was weniger an Punk und mehr an Zulu-Tanz erinnert. Mittlerweile werden sogar Federn zwischen die Fransen gesetzt, oder die Hose unten in lange Streifen geschnitten wie bei den Feuersteins. Zwischenzeitlich war auch mal der Vokuhila-Schnitt angesagt, vorne kurz hinten lang.

Am Ende des Trends könnten die guten, alten Hotpants stehen: einfach alles abschneiden

So oder so ist das Ganze schon lange nicht mehr "cutting edge", sondern nur noch, nun ja, ausgefranst. Ein Ende ist zwar nicht in Sicht, aber irgendwann unvermeidbar. Bei Vetements jedenfalls sind die Jeans wieder weitestgehend gesäumt, auch bei Gucci sind sie noch mit allem Möglichen bestickt, aber radikal zugenäht. Und wenn es dann endgültig vorbei ist, was passiert dann mit all den plötzlich untragbaren Hosen?

Natürlich wird es Youtube-Tutorials geben, "how to undo.... frayed denim", wie man ausgefranste Jeans wieder rückgängig macht. Das französische Label Y/Project zeigte vergangenen März bei den Schauen in Paris bereits Jeans mit multiplen Säumen, einfach mehrere aneinandergesetzt. Andere Möglichkeit: noch weiter abschneiden. Bis zu den Knien wie Radlerhosen, die uns womöglich auch wieder einholen, oder gleich bis unter den Po. Dort hat der abgeschnittene Saum schon lange Tradition und ist kein Ausdruck von Dekonstruktivismus, sondern höchstens von Pragmatismus: lange Hosen, die zu kaputt oder zu oll sind, um sie noch anzuziehen, werden in Shorts verwandelt. Seit Kate Moss 2005 damit durch den Matsch von Glastonbury lief, sind sie endgültig ein Sommerklassiker. Vielleicht sind Hotpants deshalb doch keine Lösung, weil die meisten von uns schon ein paar davon im Schrank haben.

Wahrscheinlich wird auch ein Großteil der ausgefransten Jeans also eher dort enden, wo so viele Sachen landen, wenn die Mode mit ihnen fertig ist: in der Altkleidersammlung, diesem textilen Massengrab der Moderne. Und dann werden wir ihnen hinterhertrauern, unseren Lieblingsjeans, die wir so leichtfertig geopfert haben. Hosen ohne Happy End.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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