Männermode:Zieht euch warm an

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Neue Lässigkeit: Dieter Zetsche bei den Grünen. (Foto: Rüdiger Wölk/imago)

Achtung, Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, ist neuerdings in Jeans und Sneakers statt Anzug und Krawatte unterwegs. Ist doch ein sympathischer Dresscode? Das ist mindestens ein Alarmsignal!

Von Hilmar Klute

Menschen, die ihre Gymnasialzeit in den frühen Achtzigerjahren verbracht haben, kommen im Fachbereich "Autorität und Kleiderordnung" auf folgende Regel: Je lässiger ein Lehrer gekleidet war, desto ätzender war sein Auftreten vor der Klasse. Damals rückte die Generation der Achtundsechziger langsam an die Stelle der Generation der Kriegsteilnehmer; deshalb kamen immer weniger Lehrer mit brauner Bügelfaltenhose und schraffierter Krawatte ins Klassenzimmer und statt ihrer mehr bärtige Typen mit Jeans und - ja, das gab es wirklich - Badelatschen. Manche von ihnen boten den Schülern das Du an. Bei den Lehrern, die man duzte, sind die meisten sitzen gelieben. Sitzen bleiben ist ein alter volkstümlicher Ausdruck für das Nichterreichen des Klassenziels. Und damit wären wir beim Thema: Dieter Zetsche.

Zetsche ist der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG und steht vor etwas, vor dem nur Leute stehen können, die sich im Leben bewegt haben; er steht vor gewaltigen Innovationen. In Stichworten: Digitalisierung, E-Mobilität, autonomes Fahren. Das muss man erst einmal alles unter einen Hut kriegen; das kriegt man aber nur unter einen Hut, wenn man unablässig die Unternehmenskultur überprüft und einen ganzen Sack voll neuer Führungsmodelle auspackt. Wenn wir Zetsche richtig verstehen, kann man die Führung, ach, sagen wir ruhig Leadership eines großen Unternehmens nur dann erfolgreich übernehmen, wenn man sich als eine Art Häutungshelfer für die Konzernschlange versteht.

Alles ständig anders machen, Prozesse infrage stellen, Module sprengen, Assets hinterfragen - und am Schluss geht man gemeinsam mit anderen Führungskräften der Kleiderordnung an den Kragen.

Dass Dieter Zetsche heute Jeans und Sneakers unter dem Jackett trägt, ist das vorläufige Ende eines komplizierten Innovationsprozesses, in den alle anderen Vorstandsmitglieder eingebunden waren. Dieter Zetsche sagte dem Handelsblatt, dass am Ende dieses Prozesses zunächst Ratlosigkeit, dann aber der Entschluss gestanden habe, jeder möge sich so kleiden, wie er es für angemessen halte.

Zetsche stand am Rednerpult wie der Erdkundelehrer bei der Abi-Feier

Nun ist es aber laut Handelsblatt auch so, dass Dieter Zetsche von Natur aus mit der Krawatte "nicht warm" geworden sei; somit ist die neue Lässigkeit auf der Führungsebene auch ein Geschenk an den Krawatten-Fremdler Zetsche.

Als er in seinem Cross-Dress - oben seriös, unten locker - auf dem Parteitag der Grünen auftrat, gab es aus den Reihen der Delegierten keinen Beifall, sondern laute Ablehnung. Ein Mann des rücksichtslosen Gewinnmachens vor der Elite der fleischlosen Glücksverheißungen! Und dann kommt der noch daher wie ein Grüner in den mittleren Neunzigern! Das geht natürlich nicht ohne Proteste ab, also klebte sich die freche Grünen-Jugend Papierbärte unter die Nasen, weil Zetsche ja diese seltsame Zuckerwatte im Gesicht trägt.

Zetsche stand am Rednerpult wie unser Erdkundelehrer bei der Abi-Feier; sein Publikum ist aus dem Gröbsten raus, und Zetsche kann ihnen jetzt auch mal attestieren, dass sie Ansichten haben, die sich mit seinen eigenen Auffassungen zum Teil decken. "Es ist immer besser, miteinander zu reden als übereinander", hatte er kurz zuvor seinem Handelsblatt verraten. Ein Satz wie ein Warnschuss: Solltest du hinter meinem Rücken anfangen, dummes Zeug über mich erzählen, wirst du mir das alles sehr bald wortgetreu in meinem Büro wiederholen müssen, und dann schauen wir uns noch mal die Ausstiegsklauseln in deinem Vertrag an.

Wer als Chef die Krawatte abzieht, entsichert nichts weniger als den inneren Colt

Wenn ein Mann, der über Macht und Entscheidungsgewalt verfügt, seinen Mitarbeitern in Jeans und Turnschuhen begegnet, kann man ihm, sofern man denn wohlwollend unterwegs ist, ein Faible für Hierarchieverflachung zubilligen. Man kann anderseits, sofern man realistischer in die Welt blickt, vermuten, dass einer, der die Kleiderordnung negiert, auch die Schranken der Behutsamkeit im Umgang mit seinen Untergebenen hier und da unberücksichtigt lässt.

Mit anderen Worten: Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender die Krawatte auszieht, ist es so ähnlich, als kremple er die Ärmel hoch, um in der Belegschaft den einen oder anderen Schlag unter das eine oder andere Kinn zu setzen. Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der sich kleidet wie ein grüner Oberbürgermeister, ist nicht locker, sondern übergriffig. Er hat den Feind schon so gut wie erobert, indem er sich dessen Fell übergezogen hat. Erinnert euch bitte an die schöne, grausame Schlusszeile aus Leonard Cohens Lied "Avalanche": "It is your flesh that I wear".

Wer als Chef die Krawatte abzieht, entsichert nichts weniger als den inneren Colt, mit dem er sich den Weg vom Feldherrnhügel in die Maschinenräume frei schießt. Die Chefkrawatte ist der Schuldschild der Mitarbeiter, sie diszipliniert den Mächtigen.

Dieter Zetsche sollte sich unbedingt noch einmal mit seinen Abteilungsleitern zusammensetzen. Gemeinsam möchten sie bitte überlegen, ob es nicht auch eine Krawatte gibt, die ähnlich wie der Smart Fortwo für Verlässlichkeit, gleichzeitig aber auch für Connectivity, Urban Gardening und Knuffigkeit steht. Anders gefragt: Könnten sich Aufsichtsräte bitte wieder wenigstens einen Anzug anziehen, damit man erkennt, wer für das ganze Zeug verantwortlich ist, das wir die nächsten Jahre alle am Hals haben werden?

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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