Lokaltermin:Kadeau

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Wie bringt man einen Spät­sommer­tag an der Ost­see auf den Teller? Das wissen sie wohl am besten im Kadeau auf der dä­nisch­en Insel Bornholm.

Von Katharina Seiser

Wie bringt man einen Spätsommertag an der Ostsee auf den Teller? Das wissen sie vermutlich nirgends besser als an der Südküste Bornholms, sagt Katharina Seiser. Im Restaurant Kadeau ist alles den Produkten von der dänischen Insel untergeordnet. So entsteht eine filigrane Fusion aus Landschaft und Geschmack, ob Entenbrust mit Brennnesselspitzen, Sommerblütenpizza oder Lammbauch in Soße aus Hagebutte und Sanddorn.

Nein, ins Restaurant "Kadeau", gelegen an der Südküste der dänischen Insel Bornholm, kommt man nicht zufällig. Wer hier anreist, hat das eher sorgfältig geplant, ist vorfreudig und womöglich hungrig. Und doch kann es passieren, dass die Natur dem Lokal die Schau stielt. Am breiten Horizont rasen Wolkengebilde über die Ostsee, als würden sie von übereifrigen Kulissenschiebern bewegt. Der Sturm führt Regie, und das niedrige, an drei Seiten verglaste Holzhaus duckt sich in die Düne hinter dem langen Strand, als wollte es verhindern, von einer Bö fortgerissen zu werden. Das wäre auch zu schade, denn hier gibt es Essen, für das sich die bewegte Anreise mit der Fähre zu jeder Zeit während der kurzen Saison lohnt (geöffnet ist nur von Mai bis September).

Wer es geschafft hat, die vom Wind gebeutelte Tür hinter sich zu schließen, fühlt sich ein wenig wie nach einer Expedition, hungrig, voll von Eindrücken. Drinnen nimmt sich dann so gut wie alles zurück: der Raum, in dem ein Schwedenofen zwischen weißen Wänden und weißen Tischen Wärme vermittelt; die Karte, die nur zwei Menüs anbietet, zwölf Gänge zu umgerechnet 175 Euro oder sieben zu 125 Euro; die blau-weiß-gestreiften Kleider der Service-Damen, deren Raffinesse erst bei der Faltung im Rücken zu sehen ist; oder die Küchenchefs - das Kadeau wurde vor zehn Jahren von drei Bornholmern gegründet, die sich bis heute im Hintergrund halten. Der Star in dieser Küche ist die Insel und ihre Produkte. Und woher der Wind weht, wird schon bei den Amuse-Gueules klar: Auf Rädchen aus eingelegtem und gegrilltem Kohlrabi mit rotem Miso liegen winzige Blütenblättchen und Kräutertriebe. Es folgt mit Fichtenöl gebeizte Entenbrust zu knusprigen Brennnesselspitzen. Hier kocht man mit enormer Liebe zum Detail.

Wie auch der erste Teller im Sieben-Gang-Menü zeigt: frische Favabohnen mit Kapuzinerkressesamen in einem klaren Muschelsud mit Waldmeister, fermentiertem Stachelbeersaft und Feigenblattöl. Dann kommt eine Schale - das gesamte Geschirr ist von der Bornholmer Manufaktur Lov i Listed - mit einem Häufchen dunkler, bräunlich-grüner Blätter, die sich als fermentierter und gegrillter Sauerampfer erweisen, unter diesem verstecken sich pochierte Austern, knackiges hausgemachtes Sauerkraut, ein Crumble aus feinsten Haselnüssen sowie eine dickcremige Austernemulsion, die als Luxus-Mayo durchgehen würde. Was für eine Komposition!

Als Nächstes stellt ein Koch eine gusseiserne Pfanne ein, in der ein Kunstwerk lagert: Palthästa, ein altes Bornholmer Bauerngericht - die Grütze vom Vortag wurde mit Hefe zu Teig vergoren und zu Pfannkuchen ausgebacken. Hier mit Koji-fermentierter Gerste, knusprig außen, innen weich und leicht süßlich, darauf eine Schicht aus feinst geriebenem, vier Jahre alten Havgus, einer nach brauner Butter und reifen Aprikosen schmeckenden Käsesorte, sowie eine Decke aus (ohne Übertreibung!) Hunderten winzigsten Blütenblättchen in Wildrosenpink, Kornblumenblau, Sonnengelb und Grasgrün. Wie dänische Pizza und ebenso mit den Fingern zu essen, nur viel besser. Wer Wein trinken mag, bekommt ihn übrigens in bester Qualität, aber nicht aufgedrängt. Bio-zertifizierter Sancerre vom Weingut Riffault etwa passt sich wie ein elegantes Chamäleon den Speisen an. Und beim Franzosen im Glas wird auch klar, warum das Essen hier so besonders gut schmeckt. Die Küche beherrscht die verführerischen Texturen und die befriedigenden Geschmäcker der französischen Klassik aus dem Effeff, kombiniert sie aber mit vielem, was die nordischen Küchen so reizvoll macht: frische Säure, wilde Früchte, duftende Kräuter.

Nun peitscht der Sturm vor dunkelgrauem Himmel den Regen wie nasse Birkenzweige an die Fenster. Auch wenn der Zufall beim Timing für den nächsten Gang Regie führt: Nichts hätte besser gepasst als die mit viel Liebstöckel gegarten Kartoffeln, die in einem dicken, dunkelblauen Heidelbeerkombucha sitzen, aufgeschnitten sieht das aus wie ein Batiktuch aus den 70ern. Dann wird herrliche Käsesauce mit reichlich Butter und perfekt austarierter Säure eingegossen. In der Mitte ein Nest aus knusprig frittierten Liebstöckelblättern und Röstbrotbröseln, auf den Kartoffelsegmenten je eine kleine eingelegte Holunderblütendolde. Ein fantastisches Gericht. Der zusätzlich georderte Hering gibt fernab der berühmten Kopenhagener Smørrebrød-Lokale den Takt vor: ein kleiner Roggencräcker, Frischkäse und darauf ein Stück Hering aus Jütland, der alle, die diesen Fisch als billig und vorlaut abtun, beim ersten Bissen Abbitte leisten lässt. Darauf sechs verschiedene Pickles vom Vorjahr, jedes kleiner als ein Stecknadelkopf.

Ein zusammengeklapptes Wirsingblatt wird schließlich als Hauptgericht angekündigt. Es dient als Tarnkappe und Anspielung auf das Fladenbrot, in dem Schawarma normalerweise serviert würde (und das übrigens den ganzen Abend lang nicht gefehlt hat): gefüllt mit Hühnerfleisch von Schenkeln und Flügeln, Lammbauch, knusprig gebratenem Grünkohl und einer BBQ-Sauce aus Hagebutten und Sanddorn. Das alles macht großen Spaß. Der Abschluss, ein Dessert aus Sorbet von Schwarzen Johannisbeeren auf Crème fraîche mit dehydriertem Kürbis, frischen Heidel- und Brombeeren sowie ein paar zarten Thymianblättchen, ist leicht und unaufregend, es lässt die Gerichte davor umso mehr strahlen.

Die Wolken am jetzt wieder strahlend blauen Himmel sind zum Greifen nah. Am Strand leuchten pinke und orangerote Kugeln aus dem Gestrüpp. Wildrosen zwischen Dünengras, das wie das Fell eines großen Tieres wirkt, so weit der Blick reicht. Knallgrüne Blätter, hellrote Früchte, duftende pinke Blüten - man kann nicht viel falsch machen, wenn man sich wirklich einlässt auf das, was die Natur rundum anbietet. Man muss es sich und seinen Gästen nur zutrauen.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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