Handarbeit:Hilfe, Loch im Lieblingspulli!

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Ein Kaschmirloch zu stopfen, ist präzise Handarbeit. (Foto: Cashmere Clinic)

Einen Kaschmirpullover zu stopfen, ist eine Kunst, die nur noch wenige beherrschen - eine nachhaltige noch dazu. Der Bedarf steigt, manche Kunden warten Monate auf ihr bestes Stück.

Von Kathrin Hollmer

In der Mode war Geiz schon immer geil, nur anders. Früher war es normal, Kleidung zu reparieren. Man wollte sie möglichst lange tragen, möglichst lange etwas von ihr haben. In jedem Dorf und in der Stadt sowieso gab es dazu Schneider, die flicken und kunststopfen konnten. Heute ist auch Geiz angesagt, allerdings beim Preis. In Läden wie H&M, Zara und Primark kosten Pullover und Strickjacken teilweise weniger als zehn Euro. Dass die Sachen oft nach dem dritten Waschen hinüber sind, ihre Form verlieren, Taschennähte einreißen, Partien unansehnlich fusseln, sogar Löcher entstehen - geschenkt. Seit neue Kleidung nur ein paar Euro kostet, wird sie eher ersetzt als repariert.

Es ist noch nicht so lange her, da war Kunststopfen ein eigener Ausbildungsberuf. Seit ein paar Jahren ist das Kunststopfen nur noch Teil der Schneiderausbildung, und Kunststopfer sind rar geworden. Eine der wenigen, die es in Deutschland noch gibt, arbeitet in München in der "Cashmere Clinic" der Münchner Kaschmirmarke Allude, die 2015 eröffnet hat. Dilek Can, 29, ist gelernte Schneidermeisterin, das Kunststopfen ihre Passion. Can arbeitet von Anfang an hier und repariert nicht nur Stücke von Allude, sondern alle Strickwaren mit möglichst hohem Kaschmiranteil. "Am besten sind mindestens 70 Prozent", sagt Can. "Sonst fällt das Kaschmirgarn, das ich zum Stopfen verwende, im Muster auf." Sie nimmt aber auch Stücke ab 30 Prozent Kaschmiranteil an.

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Im Laden im Münchner Lehel hängen mehr als 130 Kaschmirknäuel in den verschiedensten Farben an der Wand, und das ist nur ein Bruchteil von Cans Fundus. "Letzte Woche haben wir die 600 geknackt", sagt sie und zieht einen grauen Cardigan über eine Leuchte im Verkaufstresen. Sie prüft, ob die Nähte an den Taschen noch halten, guckt von jedem Winkel, ob sich noch irgendwo ein kleines Loch versteckt. "Eines kommt selten allein", sagt sie. Mit roten Stickern markiert sie zwei marienkäfergroße Löcher. Mit den Ärmeln wiederholt sie das Ganze über einer kleineren Leuchte. Immer wieder streicht sie langsam über das Strickgut. "Löcher reparieren", sagt sie, "ist für mich das Schönste überhaupt." Da ist keine Ironie.

Die Kunden bringen zum Dank Blumen und Schokolade

Allein um die 50 verschiedene Grautöne hat Can zur Auswahl. Gelb-, grün- und blauchstichiges Grau. Taubengrau, Aschgrau, Schiefer, Anthrazit. Das Richtige ist nicht dabei. Wenn Can wie jetzt genau den richtigen Farbton nicht findet, verzwirnt sie vor dem Stopfen zwei Fäden zu einem. Ein dunklerer und eine hellerer ergeben den perfekten Ton. Das Hinterzimmer im Geschäft ist Cans Reich. Vier Waschmaschinen stehen in der Ecke, ein Bügelbrett, in einem Regal liegen Pullover. Sie steckt die Strickjacke auf einem Polster fest, vernäht das Stopfgarn, umschlingt die sicheren Maschen und bildet das fehlende Stück Strickmuster nach. Wieder streicht sie darüber. Ihre Kunden bringen ihr zum Dank Blumen und Schokolade, am meisten freut sich Can, wenn sie die einst kaputte Stelle auf ihrem Stück nicht mehr finden.

Eine Werkstatt für Pullover, Strickjacken und Schals - das widerspricht eigentlich allen Regeln der Modebranche heute. Labels wollen mindestens zwei neue Kollektionen im Jahr verkaufen. Zara launcht sogar 24 Kollektionen im Jahr, H&M bis zu 16. Auch bei Chanel sind es sechs Kollektionen jährlich. Einer Greenpeace-Umfrage von 2015 zufolge haben etwa die Hälfte der Deutschen noch nie Kleidung zum Schneider gebracht. Auch privat sind Handarbeitstechniken wie Stopfen aus der Mode gekommen. Eine kleine Gegenbewegung zur Wegwerfmode gibt es. In privaten Nähtreffs und in Repaircafés, wie es sie in einigen Städten gibt, wo meistens an Elektrogeräten und Fahrrädern geschraubt wird, wird auch Kleidung repariert, das Wissen lebt wieder auf und wird weitergegeben.

Reparieren ist besser als Wegwerfen: Faden für die Kaschmirpulli-Ausbesserung. (Foto: mauritius images)

Was in der Cashmere Clinic landet, sind meist hochwertige Pullover, Strickjacken und Schals. Lieblingsteile, Erbstücke. Meistens kostet eine Reparatur zwischen 27 und 60 Euro, vorab kann man sich online beraten lassen. Can repariert derzeit alles allein in Handarbeit, deshalb liegt die Wartezeit bei drei Monaten. Seit anderthalb Jahren sucht man bei Allude Verstärkung, doch es gibt kaum Nachwuchs, der das Kunststopfen beherrscht.

Selma Ciba, 60, hat in den Achtzigern mit ihrem Mann die Schneiderei, Kunststopferei, Stickerei und Plisseebrennerei Von Veen in Dortmund übernommen. "Das Kunststopfen stirbt aus", sagt sie am Telefon. Jeden Tag nimmt sie mindestens zehn Teile an, mit zehn bis 14 Tagen Wartezeit. "Wir sind der einzige Laden weit und breit, teilweise bekommen wir Sachen aus Hamburg geschickt", sagt sie. "Wir haben immer Arbeit." Neben Strickwaren stopft sie auch Anzüge und Mäntel, mit Originalfäden, die sie aus den betroffenen Kleidungsstücken zieht, von versteckten Stellen, an denen die Entnahme nicht auffällt, und webt damit die Löcher zu.

Pro Woche bekommt Can 80 Teile zur Reperatur

Am besten repariert man Löcher, sobald man sie entdeckt, wenn sie noch klein sind - "und nicht wartet, bis sie beim Waschen größer werden", sagt Ciba, und dass die meisten Löcher durch Motten entstehen. Auch wenn man überzeugt ist, dass man keine Motten in der Wohnung hat, sollte man Lavendelsäckchen in den Schrank legen. "Und Strickwaren nach dem Winter nur gewaschen aufbewahren. Hautschuppen und Haare ziehen Motten an."

Beim Waschen gehen die Meinungen auseinander. Ciba empfiehlt bei teuren Pullovern, vor allem Kaschmir, immer Handwäsche. In der Cashmere-Clinic sagt Can: "Mit einem Wollprogramm bis 30 Grad ist Maschinenwäsche besser als Handwäsche, weil man per Hand die Temperatur nicht regeln kann. Oft wäscht man zu heiß und rubbelt und drückt zu viel." Ideal sei ein Woll-Wiege-Programm ohne Umdrehungen - "je weniger mechanische Bewegung, desto besser." Das gelte auch, wenn auf dem Etikett Handwäsche empfohlen wird. Bei anderen Wollarten wie Mohair und der etwas robusteren Merinowolle kann man sich Can zufolge an die gleichen Regeln halten: am besten nur bis 30 Grad waschen mit maximal 400 bis 700 Umdrehungen pro Minute. In der Cashmere-Clinic empfiehlt man, nach jedem dritten oder vierten Tragen zu waschen, dazwischen reicht es, die Sachen auch mal zu lüften und ihnen zwischen jedem Tragen 24 Stunden Ruhe zu geben.

"Regelmäßiges Waschen schadet Strickwaren nicht", sagt Can. "Das Pilling ist kein Zeichen von schlechter Qualität. Die Knötchen bilden sich, weil sich überschüssiges Haar vom Pullover löst", sagt Allude-Managerin Lara Hentenaar-Beckermann. In der Cashmere Clinic empfiehlt man, Pillingknötchen vor dem Waschen mit einem Pillingkämmchen zu entfernen. "Bei gutem Kaschmir hört das Pilling etwa nach dem fünften Mal Entpillen und Waschen auf, weil die losen Fasern reduziert werden, und das Produkt wird immer schöner." Hentenaar-Beckermann und Can warnen vor Fusselrasierern, die Fussel abschneiden. "Spätestens dann stehen die Kunden bei mir im Laden", sagt Can.

Die Nachfrage nach Cans Fähigkeiten steigt. Pro Woche, schätzt sie, bekommt sie um die 80 Teile zur Reparatur. Weil sich das Angebot herumspricht, aber auch, weil die Menschen Nachhaltigkeit wieder mehr schätzen. Vor Kurzem reiste eine Frau aus Oberösterreich mit 36 Pullis an. Neben Mottenlöchern hat Can schon Hunde- und sogar Eichhörnchenbisse repariert. Ihren härtesten Fall hatte sie vor ein paar Wochen: Bei einem Rollkragenpullover war eine handtellergroße Fläche zwischen den Schulterblättern abgewetzt. Anderthalb Tage hat sie daran gearbeitet - zwischendurch musste sie ihren Augen Pausen gönnen. Wann lohnt sich nun eine Reparatur? "Kommt natürlich darauf an, wie man zu dem Teil steht", sagt Can. "Aber eigentlich immer."

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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