Lebensart:Französische Flamme

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Blaues Design für die Ferien: eine frühe Werbeanzeige der Firma Campingaz. (Foto: Campingaz)

Der Campingkocher mit der Mini-Gasflasche wird 70 Jahre alt - und begeistert Zelturlauber noch immer. Würdigung eines Ferienaccessoires.

Von Titus Arnu

Schon vor mehr als einer Million Jahren glaubten die Frühmenschen, das Feuer zu beherrschen - und trotzdem brennt dauernd etwas an. Unsere Vorfahren schmorten Antilopenkeulen über der offenen Flamme, bis sie schwarz waren. Heutzutage gibt es Induktionsherde, digitale Fleischthermometer, Koch-Apps mit Timer und den Thermomix, der vollautomatisch Hähnchen in Honig-Sauce herstellt. Genau in der Mitte dieser Spannbreite liegt die Campingküche: relativ rudimentäre Gerichte, zubereitet im Freien auf einer zischenden Gasflamme, verschmorte Mücken und Räucheraroma inklusive.

Man kann sich fragen, warum viele Leute freiwillig ihre Wohnung und ihre perfekt ausgestattete Küche verlassen, um den Rücken auf einer wabbeligen Luftmatratze im Zelt zu quälen und auf einem windigen Metallgestell halbgare Nudeln mit lauwarmer Tomatensauce zu köcheln. Doch Camping boomt: Mehr als zehn Millionen Deutsche verreisen jeden Sommer mit Zelt, Wohnwagen und Wohnmobil. Und die meisten von ihnen haben einen Gaskocher dabei, auf dem sie ihr Essen zubereiten - je nach kulinarischen Ambitionen und Ausstattung reicht die Bandbreite von Instant-Suppe über Steak mit Bratkartoffeln bis zum Dreigang-Menü. Da offenes Feuer auf den meisten Campingplätzen verboten ist, gilt der Gaskocher als wichtigstes Accessoire der Freikochkultur. Ohne Gaskartusche ist er allerdings genauso nutzlos wie die Weinflasche ohne Korkenzieher und die Raviolidose ohne Büchsenöffner.

Drei junge Ingenieure hatten die Idee zu dem Produkt, das die Zeiten überdauert hat

Nun feiert das formschöne blaue Gerät Jubiläum: Die ikonische blaue Mini-Gasflasche samt dazugehörigem Kocher wurde vor 70 Jahren in Frankreich erfunden, von den Ingenieuren André Colomb, René Sillon und Gabriel Corlet. Einer der jungen Männer hatte mit seiner Familie einen Campingurlaub am Meer verbracht und sich gefragt, ob man das Kochen von Mahlzeiten im Freien nicht geschickter anstellen könnte als auf einem Metallrost über offenem Feuer oder mit dem Benzinbrenner. Das Trio machte sich daran, einen wiederauffüllbaren Gas-Zylinder zu entwickeln, kompakt und bequem, wirtschaftlich und einfach in der Nutzung.

Beim ersten Modell, dem "Bidon bleu", waren der Brenner und der Aufsatz für Töpfe und Pfannen noch eine Einheit mit der Gaskartusche. Der bekannte "Bleuet"-Kocher und der austauschbare blaue Einmalbehälter kamen 1955 auf den Markt, sie setzten Maßstäbe im Ultralight-Camping. Colomb, Sillon und Corlet gründeten in Saint-Genis-Laval bei Lyon eine gemeinsame Firma, die Produkte unter der Marke Campingaz vertrieb. Das Ziel ihrer französischen Koch-Revolution: Camping sollte für jedermann bezahlbar werden. Eine heiße Idee, denn diese Art von Urlaub galt früher eher als Luxus. Wollte man beim Campingurlaub ein warmes Abendessen, musste man ein Restaurant besuchen. Dank der neuen, portablen Kartusche und den dazugehörigen Kochern konnten sich fortan auch Normalverdiener einen richtigen Urlaub leisten - Gas statt Gasthaus. Weitere Erfindungen für das Outdoor-Leben folgten: Der "Instaflam-Rucksackkocher", mit dem in den Siebzigerjahren Horden von Studenten durch Europa trampten. Kühlboxen, mit denen Großfamilien am Atlantik ihr Strand-Picknick frisch hielten. Gasgrills, auf denen sich das Steak so komfortabel wie zuhause braten lässt. Außerdem brachte die Firma Lampen, Bunsenbrenner, Luftmatratzen und Chemietoiletten auf den Markt, alles in Hellblau.

Kenner wissen aus Erfahrung: Die Ravioli aus der Dose brennen sehr schnell an

Kern der Produktpalette und bekanntestes Objekt von Campingaz ist und bleibt aber die berühmte blaue Gaskartusche, die in Supermärkten weltweit erhältlich ist. Das charakteristische "Pfffffft!", wenn man den Kocher an die Kartusche schraubt und das Ventil ins Blech sticht, markiert den eigentlichen Beginn eines Campingurlaubs. Anfänger stellen eine Dose Ravioli direkt auf die Gasflamme - und merken dann bald, dass es zur Camping-Kernschmelze kommt und der Doseninhalt zwangsläufig anbrennt. Fortgeschrittene versuchen sich an Steinpilz-Risotto, Süßkartoffel-Curry und Crêpes. Wer Inspiration für kreative Gerichte sucht, die sich beim Campen mit nur einem Topf zubereiten lassen, findet auf der Website www.freshoffthegrid.com gute Anregungen. Die Outdoor-Enthusiasten Megan McDuffie und Michael van Vliet haben dort Rezepte gesammelt, die ideal sind für die Gaskocherküche - von Pad Thai über Pasta-Variationen bis zu gegrillten Pfirsichen mit Minzjoghurt.

Warum Camper gerne im Freien vor sich hin köcheln, obwohl sie zuhause jeden erdenklichen Küchenkomfort genießen könnten? Möglicherweise sehnt sich der moderne Mensch ans Lagerfeuer der Urmenschen zurück, nach diesen beruhigend flackernden Flammen, nach dem halbverwurzelten Herumhocken auf dem Boden, nach dem halbwilden Essen mit Händen. Ein bisschen komfortabler als in der Steinzeit soll es allerdings schon sein, möglichst ohne Jagen und Häuten von Tieren, ohne Ausgraben von Gemüseknollen, ohne mühsames Entzünden des Lagerfeuers mit dem Feuerstein. Der Gaskocher ist dafür wie geschaffen.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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