Kochbuch-Autorin Claudia Roden:"Geht es um Tierhoden?"

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Claudia Roden gilt als Pionierin des Foodjournalismus. (Foto: Pal Hansen/Guardian)

Sie gilt als Pionierin des Foodjournalismus: Die britische Kochbuch-Autorin Claudia Roden kennt die Kniffe arabischer Hausfrauen und die Tricks der Sterneköche. Um solche Informationen zu bekommen, wendet sie zuweilen auch ungewöhnliche Methoden an. Ein Gespräch über Essen und die Geschichten, die dahinter stehen.

Von Stefanie Hardick

Wo immer Claudia Roden auftaucht, öffnen sich die Küchentüren. Seit 50 Jahren erforscht sie das Essen und seine Geschichte. Die Britin ist die Pionierin des Foodjournalismus. Als Erste überhaupt hat sie über Kulinarisches geschrieben. Sie hat ein Dutzend Kochbücher veröffentlicht, die orientalische Küche salonfähig gemacht und ist dafür mit Auszeichnungen überhäuft worden. Nach Berlin war die 77-Jährige für einen Vortrag im Jüdischen Museum gereist. Das Museums-Café betritt sie suchend-lächelnd; sie trägt ein weinrotes Wollkleid und ein Seidentuch in warmen Farben. Nach drei Sätzen hat man das Gefühl, sie ewig zu kennen. Es ist gemütlich, obwohl sie nichts bestellt. In Kürze geht ihr Flieger nach London, das Gespräch ist dreimal so lang wie geplant; sie wird nicht einmal auf die Uhr schauen.

SZ: Frau Roden, wer Ihre Kochbücher liest, fragt sich: Schreiben Sie die überhaupt, um sie zu verkaufen?

Claudia Roden: Das war zumindest nicht der Plan. Mein erstes Kochbuch war ein Werk aus Liebe für meinen Vater. Er liebte Essen und war jedes Mal glücklich, wenn ich ein neues Rezept fand! Mein Jüdisches Kochbuch ist ein noch größeres Liebeswerk. 16 Jahre habe ich dafür recherchiert.

Warum sind Rezepte so wichtig für Ihre Familie?

Während der Suezkrise 1956 wurde die gesamte jüdische Gemeinde aus Ägypten vertrieben. Viele landeten wie wir in London und standen bei der Ankunft unter Schock. Sie fragten einander: "Wie kochst du dieses? Wie bereitest du jenes zu?" Nach dem Motto: Wir sehen uns vielleicht nie wieder, aber behalten das Rezept als Erinnerung.

Und Sie schrieben mit: Rezepte, Anekdoten, Gedichte.

Es war die Verzweiflung darüber, dass unser Erbe in Vergessenheit geraten könnte. Ich habe arabische Kochbücher gesucht, aber es gab nur welche aus der britischen Armee, in denen Makkaroni mit Käse als Truppen-Verpflegung empfohlen wurden.

1968 erschien dann Ihr "Book of Middle Eastern Food". Die Reaktionen darauf?

Die Briten verachteten damals jeden, der über Essen schrieb. Und noch mehr verachteten sie den Nahen Osten. Sie fragten also "Geht es um Tierhoden?" Mein Buch erklärte ihnen, dass wir eine Kultur hatten, und dass sie wunderschön war.

Sie blieben aber nicht bei den Kochbüchern. Wie kam es, dass Sie seitdem ständig auf Reisen sind?

Ich musste Geld verdienen. Der Daily Telegraph schickte mich als gastronomische Korrespondentin in der Welt herum. Ich sollte Geschichten über Essen schreiben, die Männer interessierten. Das war eine echte Herausforderung. Bis dahin war Essen ein Thema für Frauenmagazine, dumm und unseriös.

Alle sehen Sie als Pionierin. Sehen Sie sich selbst auch so?

In den ersten fünfzehn Jahren kannte ich keinen anderen Journalisten, der so wie ich über Essen schrieb. "Food Studies" galten damals als völlig lächerliches Thema. Aber heute können sich Soziologen, Anthropologen, Ökonomen, Archäologen, alle mit Essen beschäftigen - und es gibt mehr Männer als Frauen, die das tun.

Sie werden oft selbst als Historikerin oder Soziologin bezeichnet, weil Sie in Ihren Büchern rund ums Essen viel Geschichte erzählen. Wann weckt ein bestimmtes Gericht Ihr Interesse?

Ich gehe nie ohne Empfehlungen auf Reisen. Mir sagt immer schon vorher jemand: "Ich habe da eine Tante, die Dir tolle Rezepte geben kann." Ich gehe auch in Restaurants und frage die Spitzenköche: "Was hat Ihre Mutter gekocht?" Sie sind dann immer etwas schockiert. Aber hinter jedem Rezept steckt eine Geschichte, und die versuche ich herauszufinden. Die Erinnerungen, die damit verbunden sind, die Überzeugung, warum nur die Variante die richtige ist. Manchmal sind es Legenden, aber meist ist etwas dran. Noch mehr als die Geschichte interessiert mich die Art, wie Köche den Geschmack perfektionieren.

Egal, ob in einem arabischen Dorf oder bei Sternekoch Ferran Adrià - Sie gucken überall in die Töpfe?

Ich gehe immer in die Küchen. Das ist der Weg, auf dem ich alles gelernt habe und die meisten Köche erwarten das auch von mir. Manchmal werde ich allerdings auch rausgeworfen, wie einmal in einer Jagdhütte in Sardinien. Die Wirtin dachte, ich will mich an die Männer ranmachen.

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Sie reisen stets alleine. Gab es nie eine Situation, in der Sie als Frau Angst hatten?

Nie. Wenn Sie nach Gerichten und ihrer Zubereitung fragen, öffnet das alle Türen. Ich habe als Jüdin alle muslimischen Länder bereist und hatte nie Probleme. Als junge Frau bin ich durch die Londoner Docks gestiefelt und habe irakische Teppichhändler gefragt, ob ihre Frauen Rezepte für mich haben. Ich habe in der iranischen Botschaft nach Rezepten gefragt. Sie haben sich gefreut und mich eingeladen. Die meisten Menschen empfinden es als Wertschätzung, wenn ich wissen will, wer sie sind und was sie kochen.

Was hat sich verändert in den 50 Jahren, die Sie jetzt Rezepte sammeln?

Es wird immer wichtiger, ob etwas gerade modisch ist. Eine Freundin von mir hat letztens zum Essen eingeladen. Sie fand es mutig, Pesto zu machen. Mutig, dachte ich, weil es schwierig ist, gutes Basilikum zu bekommen. Aber nein: "Pesto ist so passé!"

Gehen Sie mit diesen Moden, wenn Ihre Bücher neu aufgelegt werden?

Ich mache die Tradition so schmackhaft wie möglich. Was die Leute zu Hause kochen, wird gar nicht so sehr von Rezepten bestimmt, sondern von der Gesellschaft. Man will nicht kreativ sein, sondern es "richtig" machen. Und von mir erwarten die Leute, dass ich die Traditionen hochhalte. Einmal habe ich vorgeschlagen, Matzebällchen mit Eischnee zu machen. Sie werden viel lockerer so. Das gab in Frankreich einen Aufschrei! Also empfehle ich in der Neuauflage wieder Gänsefett.

Trotzdem nennen oft innovative Spitzenköche Ihre Bücher als Inspiration.

Ich glaube, dass Traditionen immer die wichtigste Quelle sein werden. Viele Katalanen sind zum Beispiel froh, dass Ferran Adrià ihre Produkte bekannt gemacht hat. Aber sie fühlen sich auch, als hätte er mit seiner Molekularküche ihre Wurzeln geraubt. Daher gibt es eine Gegenbewegung. Die Köche wollen nun wieder Gefühle und Erinnerungen wecken. Das ist das neue Mantra. Sogar Adrià verwendet seine moderne Technik jetzt auch dazu, traditionelle Gerichte zu perfektionieren. Man liest Kochbücher aus dem 13. Jahrhundert, geht durch die Dörfer und sammelt Rezepte.

Genau das also, was Sie seit Jahrzehnten machen.

Ja, aber sie haben Probleme. In überlieferten Rezepten gibt es keine genauen Mengenangaben. Also haben sie mich gefragt, ob ich tatsächlich alle Rezepte für mein spanisches Kochbuch getestet habe. Das ist ja wohl mein Job! Wenn mir eine Frau erklärt, ein Teig muss weich wie ein Ohrläppchen sein, übersetze ich das in Gramm und Milliliter.

Sie haben insgesamt schon mehrere tausend Rezepte getestet.

Als meine Kinder noch klein waren, aßen wir jeden Tag Gerichte, die ich gerade testete. Immer wieder, bis ich das Gefühl hatte: Jetzt schmeckt es so, wie es gedacht ist. Am Ende kamen viele Rezepte trotzdem nicht in die Bücher. Wenn man drei Stunden in der Küche steht, muss es wirklich umwerfend schmecken. Sonst kann ich das niemandem zumuten.

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Haben Sie ein Lieblingsgericht, für das Sie alles andere stehen lassen?

Nein. Es gibt Gerichte, die ich sehr gerne esse, Topfenpalatschinken zum Beispiel. Aber mit jedem Buch, das ich schreibe, entdecke ich neue Rezepte, die ich liebe.

Kommen denn nicht auch Dinge dabei heraus, die Sie überhaupt nicht mögen?

Oft. Ich habe meine jüngste Tochter mal gefragt, was sie sich zum Essen wünscht. Sie sagte: "Fischstäbchen und Nudeln. Bloß nicht schon wieder Testessen!"

© SZ vom 26.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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