Geschmackssache:Tranchieren

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Wer die perfekte Gans aus dem Ofen zieht, hat noch keinen perfekten Abend. Denn nun muss der Vogel zerteilt werden. Ein Ding der Unmöglichkeit!

Von Marten Rolff

Der Weg zur perfekten Weihnachtsgans mag hart sein. Aber er ist ein Spaziergang im Vergleich zu ihrem Verteilungskampf bei Tisch. Ein Gemetzel, das auch den appetitlichsten Vogel schnell als Kadaver enttarnt und für das die festliche Küche den Euphemismus "tranchieren" ersonnen hat. Tröstlich ist, dass selbst Profis sich davor fürchten, denn allein mit chirurgischem Talent ist es ja nicht getan. Es reichen etwas zu faserig geratene Brustfilets oder die überraschend harten Knorpel einer neuen französischen Gänserasse, um selbst einen Ferdinand Sauerbruch am Tranchierbrett aussehen zu lassen wie einen Metzgerlehrling. Nicht ohne Grund erinnern viele der Erklärvideos im Netz an das Splattergenre. Kurzum: Das ästhetisch sublimierte Zerlegen von Geflügel muss als Ideal verstanden werden, dem man sich allenfalls annähern kann. Unverzichtbar sind ein großes Brett sowie ein Tranchierbesteck (Fleischgabel und langes, scharfes Messer). Die unpräzise Geflügelschere taugt eher zum Öffnen des Brustkorbes, um an die Füllung zu gelangen. Die Gans zuerst mit dem Brustbein nach oben aufs Brett legen und mit der Fleischgabel am Rückgrat fixieren, dann stets mit den Keulen beginnen, die sich nach einem Schnitt durch die Hautfalte entlang des Beckenknochens mit sanftem Druck aus dem Gelenk lösen lassen. Ober- und Unterkeule sind per Schnitt durchs Kniegelenk zu trennen, für das Lösen der Flügel setzt man das Messer im 90-Grad-Winkel zum Brustkorb an - es ist also von Vorteil, die Anatomie der Gans zu kennen. Könner schneiden zuletzt so präzise entlang des Brustbeins, dass sich die Brust abklappen lässt. Alle anderen sollten auf Videohilfe setzen. Als mustergültig sei hier die blitzsaubere Anleitung des Landhotels "Jammertal" auf Youtube empfohlen (youtu.be/4tHdqFVg5lk). Und nein, der Name ist nicht wörtlich zu nehmen. Unfallfreie Weihnachten!

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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