Geschmackssache:Dreikönigskuchen

Das süße Hefegebäck ist in der Schweiz so beliebt wie nie. Das liegt aber nicht an wachsender Frömmigkeit, sondern am Erfindungsreichtum eines Versicherungsbeamten.

Von Marten Rolff

Der Verlust von Traditionen wird besonders gern bei Tisch beklagt: Weihnachtsbraten, Mitternachtssuppe, Karfreitagsfisch, Stoffserviette, Messerbank - alles auf dem Rückzug, alles uralte Zeugen angeblich besserer, kultivierterer Zeiten. Wer so denkt, wird sich dieser Tage damit trösten, dass wenigstens der Dreikönigskuchen so beliebt ist wie nie zuvor. Ein süßes Hefegebäck aus sieben blütenförmig angeordneten Brötchen, das am 6. Januar gegessen wird, am Tag der Erscheinung des Herrn (Epiphanias). Vor allem Bäcker in der Schweiz und im deutschen Südwesten fahren gerade Sonderschichten, um die wachsende Gier darauf zu befriedigen. In den Teig eingebacken ist ein Glücksbringer, eine Königsfigur aus Plastik, die ihrem Finder einen Tag lang Vorzugsbehandlung verheißt. Ein schönes Ritual, dessen Erfolg aber nicht auf zunehmende Frömmigkeit oder Traditionsbewusstsein zurückgeht, sondern auf einen Berner Versicherungsbeamten. Max Währen (1919 - 2008) forschte in seiner Freizeit zu Brotspezialitäten. Den Dreikönigskuchen kannte er vom Bild eines niederländischen Malers, das über dem Sofa seiner Eltern hing. Schon früh bedauerte Währen, dass dieses Gebäck seit Jahrhunderten aus der Schweiz verschwunden war. Also beauftragte er eine Konditorenschule mit dem Rezept für einen Hefekranz und machte diesen mit Hilfe des Bäckerverbandes über die Medien bekannt. Das war vor 65 Jahren, heute essen die Schweizer in der ersten Januarwoche 1,5 Millionen Dreikönigskuchen, einen für jeden Haushalt. Damit die Kinder sich nicht streiten, backen findige Bäcker zudem in jedes Brötchen eine Figur, dazu liefern sie Pappkrönchen. Der Kunde ist König. Es lebe die Tradition

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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