Film:"Mode ist ein leeres Wort"

Lesezeit: 4 min

Die Fashion-Doku "Dries" über den belgischen Designer Dries van Noten zeichnet das Bild eines sanften Perfektionisten.

Von Tanja Rest

Dass das Internet die Mode demokratisiert habe, ist eine Lüge, die sich nur die Mode ausgedacht haben kann. Es stimmt, Laufstegshows werden heute live ins Netz gestreamt, und theoretisch kann sich jeder Mensch online eine Gucci-Jacke nach Hause ordern, falls er die paar Tausend Euro übrig hat. Nicht zuletzt wird man dank Instagram mit Bildern von Models, Influencern und Stars in Luxuskleidern tagtäglich überschwemmt. Auch du kannst dabei sein, ganz nah dran . . . !, säuselt die Mode. Aber die Nähe ist natürlich Illusion. Der Blick hinter die Fassade ist nicht vorgesehen, von der Gnadenlosigkeit dieses Geschäfts bekommt der Instagram-Gucker genauso wenig mit wie von der Kreativität, der Qual, der absoluten Hingabe an den Schaffensprozess. Kein Zutritt für Unbefugte!

Die Branche inszeniert eben nicht nur Kleider, sondern auch sich selbst, was perfiderweise ihre Faszination ausmacht. Ein Mal dort sein, wo sonst keiner hinkommt: im Couture-Atelier von Dior, bei der Titel-Konferenz der US- Vogue, beim Power Lunch mit Donatella Versace oder backstage bei Chanel - das würde ausnahmsweise auch Menschen interessieren, denen Klamotten sonst schnuppe sind. Und weil das so ist, boomt seit Jahren das relativ junge Genre der Mode-Doku.

Es ist ein von ganz und gar humorlosen PR-Abteilungen überwachter Blick hinter die Kulissen, aber hier und da erhascht man ein Zipfelchen Wahrheit. Wie Raf Simons nach seiner ersten Show für Dior dasteht und vor Erleichterung heult ("Dior und ich"), wie Anna Wintour eine Kollektion von Stefano Pilati mit einem einzigen Satz in die Tonne tritt ("The September Issue"), wie sich eine alte Näherin im Kittel über ein 100 000 Euro-Couturekleid von Chanel beugt und jedes einzelne Perlchen von Hand aufstickt ("Signé Chanel"): Das erzählt etwas über dieses Geschäft, das man nicht so schnell vergisst.

Eine solche Szene wird man bei "Dries" nicht finden, was aber noch nichts heißen muss. Zunächst ist es nahezu unglaublich, dass es diesen Film überhaupt gibt.

Der Belgier Dries Van Noten, 59, zählt zu den weltweit gefeierten Modedesignern, obwohl er weitgehend außerhalb des Systems operiert. Er schaltet keine Werbung, macht nur vier Kollektionen im Jahr und ist 31 Jahre nach der Gründung seines Unternehmens im heimischen Antwerpen immer noch unabhängig. Wer ihm begegnet, hat einen freundlichen, hoch kultivierten und dabei ungeheuer scheuen Mann vor sich. Farbig sind seine Kollektionen, er selbst verschwindet dahinter fast ganz, so ist es gewollt. Drei Jahre lang hat der bayerische Dokumentarfilmer Reiner Holzemer also um Vertrauen werben müssen, dann öffnete ihm Van Noten die Tür zu seinem Atelier, seinem Garten und tatsächlich auch zu seinem gut behüteten Privatleben.

Schwärze, dazu Vogelzwitschern. So fängt es an. Dann, sich langsam aus dem Dunkel herausschälend, eine Fläche von Moosen und Flechten in hundert Schattierungen von Grün - es ist der Laufsteg für die Frühjahrskollektion 2015, ein eigens dafür gewebter Teppich vielmehr, und über diesen schreiten nun die Models in ihren zart gemusterten Gewändern, legen sich am Ende eine nach der anderen nieder, schließen die Augen und scheinen sanft zu entschlummern . . . So emotional kann Mode sein in ihren besten Momenten. Beziehungsweise: "Mode ist ein leeres Wort", sagt Dries Van Noten. "Mir gefällt der Begriff nicht, weil er für etwas steht, das nach sechs Monaten passé ist. Ich würde mir ein zeitloseres Wort dafür wünschen."

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Slow Fashion, die Menschen schmückt und sie gleichzeitig achtet, das ist die Philosophie. Wie nun der typische Dries-Mix aus maskulin und feminin, schlicht und opulent, Schönem und Hässlichen entsteht und wie es dem Mann selbst dabei ergeht, wird hier erstmals nachvollziehbar.

Alles da: der prüfende Blick über Hunderte bunter Stoffmuster, die auf dem Boden des Ateliers ausgebreitet sind und am lebenden Modell drapiert werden (Van Noten zeichnet nicht). Das wochenlange Probieren, Verwerfen, Überarbeiten und Neuimaginieren, ein quälender Prozess, der letztlich immer nur Annäherung sein kann an die gewünschte Perfektion. Schließlich der Tag der Show: das hysterische Bienenkorb-Gewusel backstage, in dem doch jedes Kommando, jeder letzte Handgriff sitzt, und die gewaltige Erleichterung danach, wenn das Publikum stehend applaudiert hat und der Druck mit einem Mal abfällt, wenn auch nur für ganz kurze Zeit.

Vor dem hungrigen Modemonster, das sie da viermal jährlich füttern müssen, sind Van Noten und sein Geschäfts- und Lebenspartner Patrick Vangheluwe vor vielen Jahren aufs Land geflohen, auch dorthin folgt ihnen Holzemers Kamera. Man wandelt durch das mit fast schon grotesker Liebe zum Detail eingerichtete Herrenhaus und den parkähnlichen Garten, dem so viele der berühmten Blumenprints entnommen sind, wie durch ein Elysium. Ihr Heim soll ein Bollwerk sein gegen die hektische Welt dort draußen, und doch kommt Van Noten in diesem Film nie ganz zur Ruhe. Selbst auf Urlaubsfahrten ist jede Minute des Tages vorgeplant, sagt Vangheluwe, er braucht so viel Input wie möglich, die nächste Kollektion kommt bestimmt. Stillstand darf es in dieser Welt niemals geben.

Holzemer zeichnet das Bild eines sanften Perfektionisten, der dieser raren Art von Schönheit nachspürt, die mehr ist als eine dekorative Hülle. Der von sich sagt: "Man kann wohl sagen, ich bin davon besessen." So fasziniert ist Holzemer von diesem stillen Mann, dass er ganz vergisst, seine eigene Geschichte zu erzählen. Er betritt kaum Nebenschauplätze, lässt nur wenige Wegbegleiter zu Wort kommen, er liefert nicht einmal einen erkennbaren Rahmen für diese 93 Minuten - wer die vier gezeigten Kollektionen nicht kennt, wird kaum verstehen, dass er hier einen ganzen Jahreszyklus vor sich hat. Eine gute Mode-Doku aber ist der subjektive Blick eines Kreativen auf einen anderen Kreativen, dessen Welt er für ein unwissendes Publikum quasi aufschließt. "Dries" dagegen ist ein Film für Fans geblieben. Einem so inspirierenden Designer hätte man ein inspirierteres Porträt gewünscht.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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