Neben den Teller mit den Thunfischpflanzerln, Apfel-Sellerie-Salat und Linsen hat Michael Wendlinger-Iwan ein Weißweinglas mit einer blass-rosafarbenen Flüssigkeit gestellt, in der ein Limetten-Achtel und Fenchelsamen schwimmen. "Viel Vergnügen", sagt er. Wie man das sagt, wenn man nicht nur "Guten Appetit" wünschen will. Der Mann aber meint es ernst. Im Glas ist kein Wein, aber auch nichts, was ihn missen lässt, sondern ein Mix aus Rhabarbersaft, Ingwerbier, Fenchel und Limette.
Michael Wendlinger-Iwan kreiert im Broeding seit fünf Jahren die alkoholfreie Begleitung zum Essen, mit der das Münchner Restaurant einer der Vorreiter in Deutschland ist. Davor hat er als Barkeeper gearbeitet und mit seinem Mann bis 2004 die legendäre Iwan's Bar in München geführt. 500 Cocktails mixte er teils pro Nacht, 600 Rezepte hat er im Kopf.
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In dieser Valentinstag-Folge von "Lecker auf Rezept" servieren wir weder Rosen noch Pralinen - sondern ein leckeres Zwei-Gänge-Menü.
Wissen, das ihm nun hilft, da Gäste zunehmend nach Alternativen zum Wein fragen. Und so bieten Restaurants verstärkt korrespondierende Säfte, Schorlen, Tees oder Smoothies an. Manche Gäste wollen keinen Alkohol zum Essen, aus religiösen und gesundheitlichen Gründen, weil sie Auto fahren - oder keinen Wein mögen. Für Restaurants ist es ein kreativer Ansporn: Perfekte Weine zum Menü mögen ein Lokal auszeichnen, mit individuellen alkoholfreien Getränken kann es überraschen. "Ein Zweigelt bleibt ein Zweigelt, ein Pinot Noir ein Pinot Noir", sagt Wendlinger-Iwan. "Die Gäste wollen ein Erlebnis."
Oft kreieren Köche selbst die Getränke, wie die Zwei-Sterne-Köchin Tanja Grandits im Baseler Stucki oder der Zwei-Sterne-Koch Sebastian Frank im Horváth in Berlin. Frank hat die Saftbegleitung eingeführt, als seine Frau, mit der er das Restaurant leitet, schwanger war. "In Skandinavien sind alkoholfreie Begleitungen weit verbreitet, das schwappt langsam zu uns herüber", sagt er.
Tim Raue eröffnete in Dubai, wo Alkoholkonsum nur in Hotels und Lokalen mit spezieller Lizenz erlaubt ist, unlängst das Restaurant Dragonfly, in dem nur alkoholfreie Getränke serviert werden. Seine "Jines" (Wortmix aus juice und wine) bestehen aus Säften, Essenzen, Kräutern und Gewürzen und lagern in verkorkten Weinflaschen.
Im Broeding gibt es jeden Abend ein anderes Sechs-Gang-Menü, auf Wunsch mit sechs alkoholfreien Getränken. Und auch in anderen Restaurants fragen die Gäste vermehrt nach Alternativen zu Wein und Bier. Im Frühjahr erscheinen mehrere Bücher zum Thema, unter anderem "Die neue Trinkkultur - Speisen perfekt begleiten ohne Alkohol" von Nicole Klauß. Der Getränkeproduzent Rabenhorst bietet eine Ausbildung als Saftsommelier an, Obstkeltereien offerieren alkoholfreie Fruchtseccos und Traubensäfte von Sorten wie Scheurebe, Riesling oder Zweigelt an, aus denen sonst Wein gemacht wird.
"Es wird ganz normal werden, dass wir die Gäste fragen, ob sie mit oder ohne Alkohol begleitet werden möchten", sagt Wendlinger-Iwan. Kurz bevor das Gericht serviert wird, beginnt er, das passende Getränk zuzubereiten. Er mörsert etwa Fenchelsamen in der Gewürzmühle, gibt sie mit Rhabarber- und etwas Limettensaft in ein Glas und gießt es mit Ingwerbier auf. Abmessen muss er nichts. Barkeeper-Augenmaß. Wie das leicht scharfe Ginger Beer den Ingwer aus der Thunfischkruste herauskitzelt und Schärfe in Linsen und Apfel-Sellerie-Salat bringt, ist wirklich ein Vergnügen.
Der Restaurantfachmann bereitet seine Getränke an der Bar zu. Auch damit die Leute sehen, dass er für einen Drink teilweise 20 Minuten braucht, und nicht fragen, warum der Saft genauso viel kostet wie der Wein. In Restaurants, die mehr als nur Schorlen anbieten, werden korrespondierende Säfte meistens zum Preis der Weinbegleitung oder unwesentlich günstiger angeboten. "Die Vorbereitung für alkoholfreie Getränke ist komplexer als die Arbeit des Sommeliers, da fällt mindestens eine zusätzliche Arbeitsstunde an", sagt Restaurantchef Gottfried Wallisch.
Michael Wendlinger-Iwan arbeitet mit Gewürzen wie Nelke, Piment, Sternanis und Zimtblüten, mit Sesam, Selleriesaat und frischen Kräutern. Mandarinenschalen trocknet er selbst, von der Tahiti-Vanille und der Cedro-Frucht kocht er Sirups.
Eine Herausforderung für alkoholfreie Getränke ist, dass sie nicht zu sättigend geraten. "Wenn ich nur süße Säfte verwenden würde, wäre der Gast allein davon schon satt", sagt er. Darum mischt er sie mit Mineralwasser, Tonics, alkoholfreiem Ingwerbier, Aufgüssen von Kräutern oder Kräutersamen, Schwarz- oder Matcha-Tee.
Auch in Berlin verwendet Restaurantbesitzer Frank deshalb für manche Getränke eine klare Basis. Dafür entsaftet er Petersilienwurzeln, Karotten, Stangensellerie und Äpfel und erhitzt die Flüssigkeit auf 75 bis 80 Grad, bis sich klarer Saft absetzt. Frank ist dabei besonders mutig bei der Wahl der Zutaten: Bei ihm kommen auch Molke, Honig und Schokolade, Öle wie Kürbiskern- oder Leindotteröl, Pilzwasser, Meerrettich und Hühnerschaum ins Glas, bald will er mit Fonds arbeiten. Im Broeding experimentiert man mit Essig. Zum Käsegang mit Pomeranzengelee kreierte Restaurantchef Wallisch einen Drink mit Balsamico und Pflaumensaft.
Das Food-Pairing, die bestmögliche Kombination von Aromen, ist in der Küche ein großes Thema, und spielt auch bei alkoholfreien Getränken eine große Rolle. Wendlinger-Iwan nennt sie eine "Erweiterung der Speise". "
Mit Wein können wir uns an die Aromen im Gericht nur herantasten", sagt auch Sebastian Frank. Eigene Getränke könne er von null auf kreieren. "Wenn das Gericht ausgewogen ist, muss ich es nur begleiten, wenn es intensiv gewürzt oder scharf ist, mildere ich das Essen etwas ab, mit Milch oder einigen Tropfen Öl." Er sieht das Getränk als "Satellitengericht in flüssiger Form". Gäste goutieren es: "Die Leute sagen oft, dass die alkoholfreien Getränke wesentlich besser zum Essen passen als der Wein."
Meistens konzentriert sich sein Münchner Kollege Wendlinger-Iwan bei der Saftbegleitung auf Beilagen und Soßen, selten auf Fleisch oder Fisch, und greift Gewürze aus den Speisen auf. Welche Aromen harmonieren, weiß er als Barkeeper. Einige Grundregeln hat er aufgestellt: dunkle, dichte Säfte zu Rindfleisch, Lamm, Kaninchen oder Ente; hellere, weniger intensive Säfte zu Fisch und Meeresfrüchten. Zu gebunden Suppen wie von der Marone oder Petersilienwurzel kombiniert er erdige Früchte wie Holunder, zu Käse und Dessert fruchtigere und intensivere Säfte. Wie im Menü sollen sich auch die Zutaten der Saftbegleitung nicht wiederholen.
Auch Tanja Grandits in Basel greift Aromen und Gewürze aus dem Menü auf. "Zu einem Karottengang servieren wir gerne ein Getränk mit Karottensaft", sagt sie. "Unsere Küche ist dafür bekannt, dass wir spritzige, frische Aromen mit erdigen mischen, Zitrone mit Zimt oder Passionsfrucht mit Kreuzkümmel, das machen wir auch in den Getränken so."
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Im Saft führen die Köche ihre Handschrift fort. Sebastian Frank wird für seine Gemüse-Kreationen viel gelobt. Für seine Getränke, in deren Entwicklung er so viel Zeit wie in neue Gerichte steckt, spielt er mit unerwarteten Kombinationen: Zu Rahmkürbis mit Dill serviert er Radicchio-Wasser mit Muskat und Holunderblütenöl. Tim Raue schenkt zu Peking-Ente Pflaumensaft, Tamarinde und Madagaskarpfeffer aus.
Zuweilen ahmt Saft auch Wein nach, so wie Tofu-Schnitzel den Vegetarier erfreuen. Im Tian in Wien wird ein "Barrique Maßlos" aus Rooibostee mit Vanille und rotem Traubensaft, Kirsch-Shrub und Aroniabeerensaft gemischt. "Die Aroniabeere verleiht dem Getränk die feinen Tanintöne", sagt Sternekoch Paul Ivić.
Im Broeding serviert Wendlinger-Iwan Rotwein aus schwarzem Johannisbeer-, Pflaumen-, Sauerkirsch- und rotem Traubensaft zum Hauptgang: gegrilltem Rinderhals mit gebackener Polenta, roten Zwiebeln, Bohnen und Rosmarinjus. "Kirsch- und Johannisbeersaft geben dem Getränk eine Schwere, die Traube bringt das Herbe", sagt er. Sogar Schlieren wie Rotwein zieht der Saft im Bordeauxglas.
Zum Dessert, einem Schoko-Kardamom-Mousse mit marinierten Ananasstückchen, serviert er ein lauwarmes Getränk. "Die Mischung aus warm und kalt belebt die Geister", sagt er. Für das Getränk gießt er Cedro-Kardamom-Sirup mit heißem Wasser auf, sodass sich die Aromen freisetzen, schwenkt es auf Trinktemperatur, schmeckt mit Limettensaft ab und streut gemörserte Mandarinenschalen hinein. Die Mandarine kitzelt die Säure der Ananas heraus.
"Die Aromenvielfalt bei der alkoholfreien Begleitung ist teilweise viel komplexer als beim Wein", sagt Wendlinger-Iwan, "etwa wenn ich mit Kardamom arbeite. Das schafft kein Winzer." Sogar im Broeding, wo man zurecht stolz ist auf die kluge, meist österreichische Weinbegleitung, widerspricht ihm niemand.