Essen & Trinken:Story-Teller

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(Foto: mauritius images/TPP)

Von der Demut zu Wellness und Narzissmus: Kaum etwas wird so unterschiedlich ausgelegt wie der Fastengedanke. Ein paar Betrachtungen zum Verzicht.

Von Rudolf Neumaier

Dann sei Jesus vom Heiligen Geist in die Wüste geführt worden, heißt es in der Bibel. "Und er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt 40 Tage lang und von dem Teufel versucht. Und er aß nichts in diesen Tagen, und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn." Man kann sich gut vorstellen, dass Jesus schon nach zehn oder 20 Tagen mächtigen Hunger bekam. Der Evangelist Lukas beschreibt einen Dialog, in dem der Teufel dem Heiland Lust machen wollte auf einen Happen Brot. Doch Jesus ließ ihn mit den Worten "Der Mensch lebt nicht nur von Brot" abblitzen. Er fastete eisern.

Nach Bibelauslegung geht es bei diesem Verzicht um den Sieg des Geistes über den Körper. Denn wer Maß halten und sogar auf Erlaubtes, ja Lebensnotwendiges wie Essen verzichten kann, der wird auch bei Unerlaubtem kein Problem haben. So begründet sich - grob umrissen - der christliche Fastengedanke. Wem selbst diese Auslegung zu eng ist, mit dem wird man sich vielleicht auf folgende Feststellung einigen können: Jesus war bestimmt nicht zum Abnehmen in der Wüste. Welche Fettpölsterchen hätte er auch loswerden sollen, bei einem seiner göttlichen Herkunft gemäßen Lebenswandel, der jede Form des hedonistischen Konsums ausschloss?

Nur eines scheint sicher zu sein: Jesus war bestimmt nicht zum Abnehmen in der Wüste

Bei sechs Wochen langem Nahrungsverzicht kann man von einer strengen Diät sprechen. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie "Ordnung der Lebensweise". Versucht man, das griechische diaita ins Englische zu übersetzen, dann landet man bei way of living oder gar bei lifestyle. Damit wäre man in etwa bei der Bandbreite an Interpretationen, mit der wir der am Mittwoch beginnenden Fastenzeit heute begegnen. Die Lesarten des Verzichts sind manchmal absurd, mitunter nützlich und oft amüsant. Der Untergang des christlichen Abendlandes sind sie nicht.

Fasten ist die Grundstufe der Selbstoptimierung. Erst mal ein paar Kilo runter, dann geht es auch mit dem Sport leichter. Und wer konsequent fastet, kann sich nach ein paar Tagen dann mit einem Blick auf die Waage selbst belohnen. So viel zumindest zur allgemeinen Hoffnung. Kein Wunder also, dass Fasten längst zu den Selbsterfahrungstrips gehört, die Volkshochschulen in einer Reihe mit Qigong-intensiv-Kursen und Lachyoga-Workshops anbieten.

Im Programm der VHS Landshut zum Beispiel steht "Basenfasten in der Schulküche von Essenbach"; der Termin zur "natürlichen Entgiftung und der Herstellung eines ausgeglichenen Säure-Basen-Haushaltes" ist Mitte Juni anberaumt, wenn über deutschen Vorgärten der Rauch aufsteigt vom Grillen. Die Fastenzeiten sind ziemlich volatil geworden in der säkularen Gesellschaft. In Buxtehude wiederum kombiniert die Volkshochschule im Kurs "Fit und vital durch Fasten" das Fasten mit "Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch sowie leichten Bewegungs- und Meditationsübungen". Zwölf Unterrichtsstunden gibt es für extrem faire 44 Euro. Deutlich kostspieliger sind da die Kuren, die eine Fastenlehrerin in einem oberbayerischen Kloster anbietet. Die Verpflegung besteht aus Tees, Urtinkturen, Fastensuppen, Obst und Gemüsesäften in Bioqualität, Leberwickel und auf Wunsch Einläufe sind im Preis von 790 Euro für die Woche allerdings ebenso inbegriffen wie Gesprächsrunden und Balanceübungen. Ziel der Übung: Kraft tanken, ein klarer Kopf und Körpergefühl, das "zu innerem Frieden führt". Womit man wieder bei der Auslegung wäre. Gemeinsam ist vielen Fastenangeboten: Der Erfolg ihrer Vermarktung scheint von der Schwammigkeit ihrer - meist harmlosen - Ziele abzuhängen.

Wo es konkreter wird, droht hingegen schnell Ärger: Als die Grünen vor der Bundestagswahl 2013 fast einmal eine Form des Nahrungsverzichts vorschreiben wollten, war die Empörung groß. Sie stellten einen "Veggieday" pro Woche zur Diskussion, an dem öffentliche Kantinen ausschließlich vegetarische Gerichte auftischen sollen. Es waren beileibe nicht nur die Metzger-Innungen, Wurstfabrikanten und Mastbullenzüchter, die diesen Vorstoß verdammten. Die Veggieday-Episode lehrte, dass Ernährung als eine äußerst private Angelegenheit verstanden wird, bei der sich Politiker gefälligst nicht einzumischen haben. Als Pfarrer noch mehr zu sagen hatten als heute, war das anders: Sie predigten das Fasten, und ihre Zuhörer ließen sich davon beeinflussen.

Um heute noch Rudimente der christlichen Fastentradition zu entdecken, muss man schon genauer hinsehen. Im katholischen Aachen zum Beispiel gibt es sogar in der Justizvollzugsanstalt freitags gerne mal Fisch. Ganz wie früher. Da war der Freitag der Fasttag. Im Beichtspiegel stand: "Habe ich an verbotenen Tagen wissentlich ohne Not Fleisch gegessen?" Der Beichtspiegel war eine Sünden-Checkliste, an dem sich Katholiken orientieren konnten, wenn sie zur Beichte gingen. Als Kind in den 1970ern gehörte ein "Ich habe genascht" zum Standardrepertoire der lässlichen Vergehen, man brachte so was leichter über die Lippen als "Ich habe unkeusche Gedanken mit Wohlgefallen in mir unterhalten" oder "Ich habe meine Stallhasen nicht gefüttert".

Um in der Fastenzeit satt zu werden, ließen Bischöfe Karpfen mit mehr Rückenfleisch züchten

Im Fasten werde die Tugend der Enthaltsamkeit gepflegt, heißt es in einem alten Standardwerk der Theologie-Ausbildung, dem "Lehrbuch der Moraltheologie" von Otto Schilling aus dem Jahr 1928. "Einmal dient das Fasten der Zügelung der fleischlichen Begierden." Auf dieser Basis solle sich der Geist des Menschen "freier erheben können zur Betrachtung der höheren Wahrheiten". Es solle ein Mittel "zur Buße und Genugtuung für die begangenen Sünden" sein. Durch die (katholische) Kirche werde das Fasten religiös geweiht und somit ein Akt der Gottesverehrung. Während die Protestanten solche Fastengebote ablehnten und auf Freiwilligkeit setzten, bestimmten die Fasttage und die Fastenzeiten den katholischen Biorhythmus. Laut Lehrbuch durften weder Fleisch warmblütiger Landtiere noch Fleischbrühe verzehrt werden.

Schlupflöcher und Lesarten gab es freilich schon immer viele: So war "Speck in dünnen Scheiben" zugelassen, "um Speisen schmackhaft zu machen". In Schwaben versteckte man das Fleisch in Maultaschen, die "Herrgottsbescheißerle" hießen. Und weil Nilpferde und Biber nicht zu den Landtieren zählen, war der Genuss ihres Fleisches erlaubt. Dies trug zur Ausrottung des Bibers bei, der gerade in der österlichen Fastenzeit als Fleischersatz gefragt war. Zudem entwickelten fränkische Mönche einen Karpfen mit besonders hohem Rücken. Die Idee geht der Sage nach auf einen Bischof zurück: Er gab für die Fastenzeit die Zucht eines Fisches in Auftrag, der ihm den Teller fülle. Wo sie Biber und Karpfen entbehrten, brauten Klosterbrüder Starkbier, um bis Ostern nicht vom Fleisch zu fallen.

Heute hat man bei einigen Kuren ja den Eindruck, dass die Selbstoptimierung wieder quasireligiöse Züge annimmt. Zu viel Härte gegen sich selbst, so lehrt die Fastentradition, ist aber kontraproduktiv. Verzicht ist eben auch Auslegungssache, alles andere wäre irgendwie unmenschlich.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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