Interieur:Die rohe Schönheit der ersten Kritzelei

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Möbelklassiker stellt man nicht nur in die Wohnung, neuerdings kann man sie sich auch an die Wand hängen: Die Design Gallery in Köln würdigt das Genre der Designskizze.

Von Max Scharnigg

Es war eine echte Corona-Chance: Während des ersten Lockdowns hatten Antonia Varelmann und Natalie Weis auf einmal Zeit, sich liegen gebliebenen Ideen zu widmen. Die beiden arbeiten als Kuratorinnen und Unternehmerinnen im Bereich Design, und weil etliche Messen und Projekte flach fielen, zogen die Kölnerinnen kurzerhand ihre Design Gallery hoch. Die Kombination dieser beiden Begriffe wirkt unspektakulär, was sich dahinter verbirgt, ist aber zumindest im deutschsprachigen Raum bisher ohne Konkurrenz. Denn das Sujet der kleinen Galerie sind jene Arbeitsskizzen, die Produktdesigner anfertigen, bevor ihre Möbel oder Accessoires wirkliche Gestalt annehmen.

Die rohe Schönheit der ersten Kritzelei ist durchaus sehenswert

Hinter den beiden Frauen hängt beim Gespräch zum Beispiel ein Stuhlentwurf an der Wand, den der Offenbacher Design-Star Sebastian Herkner gezeichnet hat und daneben eine ganze Collage an Skizzen für ein Sofa des schwedischen Designers Jonas Wagell. Die rohe Schönheit der ersten Kritzelei, die flüchtigen Striche und Linien, die schon die späteren Möbel und Objekte erkennen lassen - solch reizvollen Studien wollen Varlemann und Weis eine Öffentlichkeit bescheren.

Bislang waren derartige Skizzen und Arbeitsschritte in den Ateliers und Werkstätten der Designer verblieben, als eher privater Teil des Formgebungsprozesses. "Wir arbeiten in unseren Jobs ja eng mit Designern zusammen. Dabei ist uns irgendwann aufgefallen, dass bei manchen diese Zeichnungen sehr liebevoll und präzise ausgebarbeitet sind", sagt Natalie Weis zum Gründungsmoment der Galerie. Ein vages Vorbild gab es eigentlich nur in London, wo Sebastian Wrong vor einigen Jahren begann, Werke des bekannten Design-Brüderpaars Bouroullec als Kunst-Editionen zu verkaufen - sozusagen als harmonische Abrundung eines Bouroullec-Interieurs. Den Bouroullecs ging es dabei allerdings eher um abstrakte Farbwelten, nicht um konkrete Arbeitsskizzen.

Varlemann und Weis wollten aber gerade die handfesten Einblicke in die Entstehung und begannen, zeitgenössischen Gestaltern ihre Idee zu erklären: eine Bühne für die Skizze, eine Aufwertung dieses Genres mittels einer kleinen Galerie und eines Online-Shops für die Drucke. Etliche Kreative waren von der Idee spontan angetan, nicht selten war die Reaktion aber auch zögerlich. "Leider typisch: Gerade die angefragten Designerinnen trauten sich nicht recht und fanden ihre Skizzen nicht gut genug, manche wollten auch lieber erstmal abwarten, was andere so zeigen. Das ist der Grund, warum wir bis jetzt nur Werke von Männern in der Galerie haben", sagt Natalie Weis bedauernd.

Auch die Designer, die jetzt in der ersten Ausstellung vertreten sind, agierten bei der Auswahl von sehenswerten Skizzen unterschiedlich: Sebastian Herkner etwa zeichnete seine farbenfrohen Stuhlentwürfe für Ames oder Thonet für die Galerie nochmal ins Reine und platzierte sie damit gleich kunstsinniger als in seinem Notizbuch auf dem Papier. Jonas Wagell arrangierte und kolorierte die Skizzen aus seinen Notizbüchern ganz neu für die Drucke, so dass auf einem einzigen Blatt jetzt die Evolution seiner Ideen sichtbar wird - etwa für die erfolgreiche JWDA-Leuchte des dänischen Herstellers Menu. "Manche haben für die Design Gallery also wirklich einen eigenen künstlerischen Ansatz verfolgt, damit hatten wir gar nicht gerechnet", sagt Antonia Varelmann. So ist das eben mit Pionierprojekten - man weiß nicht genau, was passiert.

Dass ikonische Möbel auch hinter Glas oder in der Vitrine geschätzt werden, diese Erkenntnis ist natürlich nicht ganz neu: Design-Miniaturen, etwa von der Firma Vitra, sind seit Jahrzehnten begehrte Sammlerobjekte. Allerdings handelt es sich dabei um maßstabsgetreue Repliken, die, wenn man so möchte, die gleiche industrielle Perfektion aufweisen wie ihre großen Abbilder. Das Unfertige und Schnelle der Designskizzen fügt den Endprodukten hingegen noch einen gewissen persönlichen Mehrwert hinzu - man bekommt sozusagen eine Ahnung vom Geist hinter dem Produkt.

Den beiden Frauen ist für ihre erste Sammlung von Blättern vor allem wichtig, unterschiedliche Denk- und Gestaltungsansätze zu zeigen. So heben sich etwa die schnellen Detailskizzen von Erik Degenhardt von den sorgfältigen farbigen Ausarbeitungen der anderen ab - bei ihm sieht man wirklich, dass die nüchternen Striche vor allem nützlicher Bestandteil der Ideen-Geburtshilfe sind. "Insgesamt arbeiten noch sehr viele Produktdesigner beim Entstehungsprozess mit der Hand. Natürlich könne heute auch alles direkt am Computer entstehen, aber die größte Freiheit hat man immer noch mit einem Stift", sagt Natalie Weis. Nach den Skizzen folgen in den Werkstätten für gewöhnlich Modelle, je nach Produktvorliebe aus Papier, Karton oder Leichtholz. "Das wären natürlich auch reizvolle Objekte für die Galerie, vielleicht ist das ein nächster Schritt für uns."

Die bisher online eingegangenen Bestellungen zeigen: Zielgruppe der sorgfältig aufbereiteten kleinen Druck-Editionen mit Preisen zwischen 300 und 500 Euro ist eine globale Szene von Design-Liebhabern. "Gerade haben wir einen Druck nach Australien geschickt, das fand ich erstaunlich", sagt Natalie Weis. Denkbar wäre aber auch, dass sich jemand aus Platzmangel nur mit der zweidimensionalen Version eines Möbels begnügt. Immerhin: Die gelungene Form einer Leuchte oder eines Stuhls könnten dann die Einrichtung bereichern, ohne dass man sich den großen Zeh daran stößt.

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