Dem Geheimnis auf der Spur:Göttertrank Kakao

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Die heilige Bohne der Maya und Azteken ist von Mythen und Legenden über ihren Weg nach Europa umrankt. Den Ureinwohnern Mittelamerikas galten die Samen der Kakaopflanze als Medizin und stärkende Verpflegung ihrer Krieger.

Von Florian Welle

Heutzutage ist Kakao wieder in aller Munde. Als rohe Bohne hat man ihm neben Goji-Beeren, Chiasamen oder Granatäpfeln das Etikett des Superfoods angeheftet - reich an Vitaminen, Antioxidantien und Ballaststoffen soll es die Gesundheit ordentlich auf Vordermann bringen. Dazu passt, was Alexander von Humboldt schon ahnte: "Kein zweites Mal hat die Natur eine solche Fülle der wertvollsten Nährstoffe auf einem so kleinen Raum zusammengedrängt wie gerade bei der Kakaobohne."

Als Medizin sowie stärkende Verpflegung ihrer Krieger galten die fermentierten und daher dunkelbraun verfärbten und anschließend getrockneten Samen der Kakaopflanze bereits den Ureinwohnern Mittelamerikas. Doch für die Maya und Azteken, ziemlich sicher schon für die Olmeken, die erste Hochkultur in der fraglichen Region, waren sie noch erheblich mehr: Man benutzte sie als Zahlungsmittel, gab sie den Toten mit auf die Reise ins Jenseits; mit Wasser verflüssigt und weiteren Zutaten wie Chilipfeffer, Honig oder Achiote angereichert, tranken die Eliten das kalt, lauwarm oder heiß servierte Gemisch bei ihren Festen. Kurz: Mit unserer Vorstellung einer verführerisch süßen Gaumenfreude hatten die Kakaogetränke von einst nichts zu tun.

Auch eine aphrodisierende Wirkung wurde der bitteren Wunderbohne zugesprochen

In ihrer langen, von zahlreichen Rätseln durchwobenen Geschichte wurden den zunächst noch von weißem Fruchtfleisch umhüllten Samen der Kakaofrüchte die verschiedensten Bedeutungen zugeschrieben. Natürlich wollte man irgendwann auch eine aphrodisierende Wirkung der Kakaobohnen bemerkt haben. Als "Theobroma cacao", als "Speise der Götter", klassifizierte der Vater der modernen Botanik, Carl von Linné, daher treffend den Kakaobaum, der ursprünglich im tropischen, von hoher Luftfeuchtigkeit geprägten Amazonasgebiet beheimatet war und heute auch in Asien, vor allem aber in Afrika angepflanzt wird.

Das war im 18. Jahrhundert, und der Kakao konnte in Europa bereits auf eine über 200-jährige Geschichte zurückblicken, die zunächst alles andere als aufgeklärt war. So schrieb Petrus Martyr von Anghiera, der Chronist von Kolumbus, in seinen "Acht Dekaden über die Neue Welt" über das heilige Getränk der Indigenen: "Es sieht abstoßend aus für den, der es nie getrunken hat. Ein Teil des Schaumes bleibt an den Lippen hängen. Wenn es rot gefärbt ist, sieht es schrecklich aus, wie Blut." Noch in der 1565 erschienenen "Geschichte der Neuen Welt" des italienischen Historikers Girolamo Benzoni heißt es: "Die Schokolade schien eher ein Getränk für Schweine zu sein als für die Menschheit. Ich war seit über einem Jahr in diesem Land und wollte es nie probieren ..." Verantwortlich für diese vernichtenden Schilderungen war der als Gewürz beigegebene Achiote-Samen, der dem Getränk eine blutähnliche Färbung verlieh.

Doch wann, wie und über welche Mittelsmänner kamen Kakaobohnen nach Europa? Wie schwer diese Fragen zu beantworten sind, zeigt sich an einer Formulierung von Sophie und Michael D. Coe, zwei Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Nahrungsforschung, die in dem in den Neunzigerjahren erschienenen Standardwerk "Die wahre Geschichte der Schokolade" vorsichtig formulieren: "Wir werden uns bemühen, Wahrheit und Dichtung auseinanderzuhalten, aber es mag sein, dass dies nicht immer gelingt." So verwundert es nicht, wenn man selbst auf vielen einschlägigen Internetseiten zum Thema den Mythos liest, dass Kolumbus die ersten Kakaobohnen mitgebracht habe. Der Genuese hatte in der Neuen Welt wohl sicher nie vom Getränk gekostet, geschweige denn, dass er es mitnahm. Jedenfalls gibt es dafür keinerlei Nachweis.

Auch dafür, dass der Konquistador Hernán Cortés sie eingeführt habe, wie häufig behauptet, gibt es keine Belege. Kaum dass er 1519 mit der Niederwerfung und Ausbeutung des Aztekenreiches begonnen hatte, schickte er ein Schiff zurück in die Alte Welt. Folgt man den Frachtlisten, hatte es keinen Kakao an Bord. Auch als er 1528 Kaiser Karl V. persönlich gegenübertrat und ihm bei der Gelegenheit alles Mögliche überreichte, Akrobaten, Jaguare und ein Gürteltier, waren laut Quellen keine der wertvollen Bohnen dabei.

Auf gesichertem Terrain befindet man sich erst 1544. Damals kamen Dominikaner mit adeligen Kekchí-Maya an den Hof Prinz Philipps von Spanien. Unter den Geschenken waren Quetzalfedern, Tongefäße, diverse Pflanzen sowie: Gefäße mit geschlagener Schokolade und Kakaobohnen! Erst aus dem Jahr 1585 stammt dann die älteste überlieferte Aufzeichnung einer Ladung Kakaobohnen, die per Schiff von Veracruz nach Sevilla gelangte.

Bis das Getränk in Europa seinen Siegeszug antreten konnte, musste vor allem die Rezeptur verändert werden. Erst mit der Anwendung von Rohrzucker begann es sich vom vielfältig eingesetzten Heilmittel zum Luxusgut zu wandeln und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Adelskreisen Spaniens durchzusetzen. Es folgten Portugal, Italien und Frankreich. Gerade bei letztgenannten Ländern streitet man darüber, wer die Einheimischen auf den Geschmack gebracht hat.

So gibt es allein für Frankreich drei Thesen. Favorisiert die eine Anna von Österreich, die Tochter Philipps III. von Spanien, geht die zweite davon aus, dass spanische Mönche das Getränk im Nachbarland bekannt machten. Die letzte vermutet, dass es als Medikament den Weg nach Frankreich fand. Bis Kakao und Schokolade zum Konsumartikel für breite Massen wurden, dauerte es weiterhin gut zweihundert Jahre. Noch mal über hundert, bis man sie heute entweder wegen ihres Zuckergehalts verteufelt oder sie sich als Superfood auf der Zunge zergehen lässt.

© SZ vom 27.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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