Kolumne "In aller Munde":Was wird der neue Sommerdrink?

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Aperol Spritz gilt seit Jahren als unangefochtene Nummer eins der Sommerdrinks. Jetzt gibt es einen Aperitif, der genauso aussieht, aber anders schmeckt. (Foto: Imago/Pond5)

Seit bald 20 Jahren gilt Aperol Spritz als erfolgreichste Mischung auf den frühabendlichen Tischen im Außenbereich. Doch nun gibt es fruchtigere Konkurrenz aus Mallorca: Canonita Spritz.

Von Marten Rolff

Ein erfolgreicher Sommerdrink soll Leichtigkeit vermitteln, ist aber ein überraschend kompliziertes Thema. Denn anders als so gerne suggeriert, lässt er sich nicht eben mal erfinden oder in einer versteckten Bar im Ausland entdecken, und schon gar nicht lässt er sich von selbsternannten Bescheidwissern einfach so herbeiorakeln. Nein, in einer immer nischigeren Gesellschaft sind alkoholische Trends das Ergebnis von harter Arbeit, kühlem Kalkül und gutem Marketing.

Als Meister der Markenführung gilt der Mailänder Campari-Konzern, lange darauf spezialisiert, die angestaubten Spirituosenmarken braver Familienbetriebe aufzukaufen und ihrem Image neues Leben einzuhauchen. Bekanntestes Beispiel: Aperol, ein bei der Übernahme im Jahr 2004 etwas tantig wirkender Likör auf Basis von Rhabarber, Blutorange, Enzian und einer bis heute geheimen Kräutermischung. In Padua kippte man Aperol damals (wie heute) gern in die Weinschorle, ein eigentlich recht unitalienischer Import der einstigen Besatzungsmacht Österreich, der dort "Gespritzter" heißt.

Campari machte den "Spritz", so die italienische Kurzform, dann zum Aperol-Signature-Drink, verpasste ihm mehr Eis, Prosecco und ein so bauchiges Glas, dass sich das Sonnenlicht dekorativ darin brechen kann. Dann ließ man den Aperitiv von Szene-Bartendern im Mailänder Ausgehviertel Brera servieren. Der Rest ist bekannt: Eine orangefarbene Welle flutete Europa, binnen zehn Jahren wurde Aperol Spritz - laut Campari - zum beliebtesten Drink des Kontinents und der Likör zur wichtigsten Cashcow des Konzerns.

Die Trittbrettfahrer werden immer frecher

Nun ist es klar, dass ein solcher Erfolg Konkurrenten und Neider weckt, dass jeder davon gern etwas abhätte, notfalls als Trittbrettfahrer, und die werden gerade offensiver, frecher und - zahlreicher.

Da wäre zum Beispiel der farblich dunklere "Pilla Select Bitter" der venezianischen Destillerie Pilla (gehört heute zum Hersteller Montenegro). Die Rezeptur stammt von 1920 und setzt ebenfalls auf Rhabarber, Zitrusnoten und Kräuter, womit der Select Bitter einerseits als Aperol-Konkurrent der ersten Stunde gelten darf. Andererseits wirkt seine Positionierung seit dem Erfolg des Spritz' aggressiver, auch an deutschen Tresen wird er den Gästen wahlweise als "herbere" und damit "männlichere" Alternative zum Aperol angepriesen oder gleich als weniger mainstreamiges "Original aus Venedig". Als Spritz landet der Select Bitter eher nicht im bauchigen Glas, sondern im Kristall-Tumbler, wo er mit seiner roten Farbe einem Negroni ähnelt - und damit an der Bar mehr Glaubwürdigkeit genießt als der orangefarbene Barbie-Humpen aus Mailand.

Die aktuelle Konkurrenz für den Aperol Spritz stammt aber nicht aus Italien, sondern aus Mallorca, heißt Canonita Spritz und bemüht sich gar nicht erst um optische Alleinstellungsmerkmale. Im Gegenteil, der signalorange Aperitif wird gern mit Schaumwein aufgegossen und mit Orangenscheibe und Eis im bauchigen Glas serviert und sieht dem Aperol Spritz damit zum Verwechseln ähnlich. Geschmacklich aber setzt das Canonita-Marketing klar auf Unterschiede, nämlich auf extreme Fruchtigkeit, Frische und nur milde Bitteraromen. Um die Süße und Fruchtigkeit noch zu betonen, gibt man in manchen Lokalen in Palma sogar einen Schuss frisch gepressten Orangensaft in den Canonita Spritz.

Auch der Name des Drinks ist einer Orangensorte entlehnt, der Canoneta, einer kleinen, autochthonen Saftorange, die vor allem im Tal von Sóller wächst. Das Aroma ihrer Schale wird durch das angeblich bei Spirituosen einzigartige Verfahren der Dampfmazeration freigesetzt, dazu spielt eine (natürlich mallorquinische) Kräutermischung sowie entaromatisierter Wein eine Rolle, Hersteller ist eine Traditionsdestillerie im Tramuntana-Gebirge. So weit also zum Storytelling, dessen Tenor sich so zusammenfassen lässt: Wir sind das Original, Nachahmung vollkommen zwecklos.

Muss man sich also bei Campari in Mailand nun Sorgen machen?

Zumindest erste kleine Wermutstropfen gibt es: Beim deutschen Feinkostprimus Dallmayr pflasterte man pünktlich zu Sommerbeginn die Verkaufsflächen mit Orangenbäumchen und Canonita-Flaschen aus Mallorca. Und bei der riesigen Abschlussparty des Christopher Street Days in München wurde kürzlich ausschließlich Canonita Spritz ausgeschenkt. München ist insofern nicht ganz unwichtig, weil die Stadt bei Campari eigentlich als erfolgreichster deutscher Markt für Aperol galt. Hier nahm die deutsche Spritz-Manie ihren Anfang.

Doch wenn die wichtigste Sommerdrink-Regel von Bob Kunze-Concewitz stimmt, dann geht die Ära Spritz in vielleicht zehn Jahren ohnehin zu Ende. Denn was sagte der Campari-CEO einmal im SZ-Interview: "Es gibt absolut niemanden, der trinken will, was seine Eltern getrunken haben."

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