Wenn man das Revier des Münchner Fotografen Klaus D. Wolf erkundet, wenn man durch dessen Wohnviertel Untermenzing im Westen der Stadt streift, kann es schon passieren, dass einem die Neutronenbombe in den Sinn kommt. Die wurde im Kalten Krieg ersonnen: Sie tötet Menschen, verschont aber Gebäude. Teuflisch.
Wie wäre es nun, denkt man, wenn es eine Bombe gäbe, die umgekehrt funktioniert? Die also alle Menschen schont, aber, sagen wir, besonders grauenerregende Bauwerke wie zum Beispiel Garagen vom Erdboden tilgt. In Untermenzing, einem Ort voller Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Garagen, Garagen sowie Garagen, wäre man bisweilen versucht, eine solche Bombe zu zünden. Und nicht nur hier. Die halbe Welt würde man ins Visier nehmen. Untermenzing ist überall.
Dies, der Zorn auf die Garage als eine der ganz großen Verabscheuungswürdigkeiten des modernen Lebens, wie man sie überall in den Stadtrandlagen der Städte findet, ist eine Möglichkeit, auf das Projekt von Wolf zu reagieren. Es ist nicht die pazifistische Variante. Die andere, gelassenere Möglichkeit wäre ein souveränes "Na und": Stellt euch nicht so an, es sind doch nur Garagen - und so schauen sie eben auch aus.
In der Ambivalenz zwischen Abscheu und Schulterzucken liegt ein Reiz von Wolfs Arbeiten, der in der näheren Umgebung seines Wohnviertels "sechs- bis achthundert" Garagen fotografiert hat. So genau weiß der 52-jährige Fotograf das gar nicht, nur dass er die Idee hatte, anlässlich der 1200-Jahr-Feierlichkeiten Menzings all die von der Straße aus in den Blick zu nehmenden Garagen Unter- und Obermenzings abzulichten (www.1200-garagen-menzing.de).
Es ist, als würden die Häuser dem Betrachter mit dem Hintern ins Gesicht springen
Ob sich Wolf nach seinen denkwürdigen Spaziergängen irgendwann wie Rilkes "Panther" gefühlt hat? Das berühmte Gedicht lautete dann so: "Ihm ist, als ob es tausend Garagen gäbe / und hinter tausend Garagen keine Welt".
Es ist ja eigentlich absurd, wie sich Häuser mittlerweile ihren Besuchern öffnen: mit ihrer Bäh-Seite. Es ist, als würden die Häuser dem Betrachter mit dem Hintern ins Gesicht springen. Zu sehen ist zunächst immer der Reigen der Abfalltonnen, dann, Straße für Straße, der Chor der Garagen - und wenn man dann endlich solche Zeitgenossenschaft wie einen Burggraben überwunden hat (eingedenk des freundlichen Hunde-Gestapo-Hinweises "Hier wache ich" sowie etlicher Bewegungsmelder), dann steht man nicht nur vor der Haustür, sondern zumeist auch vor dem Klofenster links davon. Der Ehrgeiz der Repräsentation? Vorbei.
Dabei macht es sogar Spaß, die Menzinger Garagenkunst genauer zu betrachten. Denn die Bauten erzählen in ihrer ganzen Billigbanalität, hinter der paradoxerweise oft schmucke Häuser verborgen sind, auch Geschichten über die Bewohner. Da gibt es etwa die Garage, die das Bauhaus zitiert. Man will ja immer gerne ganz besonders sein. Da gibt es die benachbarten DHH-Garagen, die alles tun, um nicht auszusehen wie Nachbarn - man kann sich gut vorstellen, dass sich die dazugehörigen Haushälfte-Nachbarn gern streiten. Da gibt es die mit Vordach und ohne. Da gibt es die, die aussehen, als wohnte dahinter mindestens ein Jaguar. Oder solche, die sich für Palladio-Villen halten. Und so weiter. In Unter- und Obermenzing gibt es wohl keine Garage, die es nicht gibt.
Der Blick des Fotografen ähnelt daher dem des sammelnden, wissbegierigen Botanikers, der sich leidenschaftlich immer neue Arten und Unterarten innerhalb der Gattung "Garage" erschließt. Wobei Klaus Wolf zupasskommt, dass er selbst schon aus ökologischen Gründen kein Auto besitzt. Dem großen deutschen Fetisch der Autoaufbewahrkunst begegnet er dennoch mit dokumentarischer Neutralität. Und großer Neugier.
Seine Bilder, getaucht in den leichten Gelbton der Vergänglichkeit, erinnern an Museales. An etwas, was womöglich gerade noch unabdingbar erscheint - aber zugleich schon anachronistisch wirkt. Wenn selbstfahrende E-Autos, die man sich mit dem Smartphone herbeiruft, in Zukunft den Alltag dominieren, wird die Garage ihrer Existenz beraubt. Könnte aber auch sein, dass man dann immer noch Garagen benötigt: um all das Gerümpel hineinzustopfen, das man im Haus nicht haben will. Und weil, wie der amerikanische Krimi-Literat Raymond Chandler einmal so schön bemerkte, einem Mann "nach 20 Jahren Ehe nur noch das Leben in der Garage bleibt".