Architektur:Das Kreuz mit dem Tisch

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Der Altar ist Kultstätte - und zugleich ein profanes Möbel, an dem Brot und Wein gereicht wird. Für moderne Kirchen bedeutet das: Altäre sind eine gestalterische Herausforderung.

Von Gerhard Matzig

Der Ur-Altar sieht gar nicht aus wie ein Altar. Es könnte auch ein Tapeziertisch auf Holzböcken sein. Das klingt jetzt ein wenig despektierlich, aber Leonardo da Vincis Gemälde "Das Abendmahl" wurde schon ganz anders interpretiert. In Springfield wurde aus der Szenerie, die Jesus und die zwölf Apostel beim Abendmahl zeigt, eine Theke. Dahinter: Homer J. Simpson im Kreise seiner Kumpels - umstellt von jeder Menge Duff-Bier. Unvergessen ist auch das skandalisierte Plakat der Modemarke Otto Kern: Statt der Jünger sitzen bestens gelaunte barbusige Models in knackigen Jeans um einen auch insofern selig lächelnden Jesus-Darsteller herum. Wobei der Tisch aussieht wie ein Wirtshaus-Relikt, das in der WG-Küche überlebt hat.

Man könnte das alles anstößig finden. Andererseits wird im Christentum der Altar in Anlehnung an das letzte Mahl, das Jesus am Vorabend seiner Kreuzigung begeht ("tut dies zu meinem Gedächtnis"), als Mensa domini bezeichnet. Als Tisch des Herrn. Der Altar ist seinem Ursprung nach nicht nur Opfer- oder Kultstätte, sondern insbesondere in der Geschichte des Christentums auch ein funktionales Möbel. Ein Tisch, auf dem Brot und Wein gereicht und eucharistische Gastfreundschaft räumlich organisiert werden.

Man tritt dem Tisch nicht zu nahe, wenn man sagt: Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch. Weshalb auch ein Altar Verwandte haben kann unter Theken, Wirtshaus- oder Tapeziertischen. Allerdings markiert der Altar jenseits seiner Funktionalität zugleich auch den heiligen Ort des Gottesdienstes: Der Altar dient der Eucharistie, dem transzendentalen Akt der Wandlung. Es ist zwar ein profaner Tisch - zugleich aber auch ein sakraler Ort. Kurz: eine gestalterische Herausforderung.

Daher ist es wohl auch kein Wunder, dass im zeitgenössischen Sakralbau der Gestaltung der Altäre und Altarräume in Kirchen und Kapellen besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wenngleich nicht immer mit Zustimmung des Publikums. So fiel beispielsweise der modernisierte Altarraum im Dom von Eichstätt vor einem Jahr eher durch. Der Ambo aus Stahl, der Altar als schlichter Kubus - schon sprach man vom "Charme eines Krematoriums" und von "Verschandelung". Ein Kritiker fühlte sich gar an "Grill und Räuchertonne" erinnert.

Das kommt auch daher, dass insbesondere der Barock Altäre und Hochaltäre von verschwenderischem Formen- und Material-Reichtum hinterlassen hat. Es gibt Kirchen, in denen die kunstvoll gestalteten, prachtvoll inszenierten und überreich ornamentierten Altäre aussehen, als stammten sie direkt aus Ali Babas Schatzhöhle. Dabei kann auch die Reduktion auf das Wesentliche, also auf den Altar als Tischaltar, Blockaltar oder Kastenaltar, einhergehen mit der Raffinesse jener Gestaltung, die nicht auf Überwältigung, sondern auf Verinnerlichung zielt.

Ein Beispiel dafür ist der an Schlichtheit kaum zu überbietende Altar im Andachtsraum des Dominikuszentrums in München von Andreas Meck. In dem wunderbaren Dämmerdunkelblau der Kapelle, die nur von oben natürlich erhellt, ja erleuchtet wird, wirkt der kleine Tisch aus heller Eiche auf paradoxe Weise genauso unscheinbar leicht wie bedeutungsschwer. Man spürt vor diesem Altar, dass es der Glaube ist, der aus einem einfachen Tisch einen sakralen Ort macht. Wobei auch der einfache Tisch voller Chiffren und Schichten steckt. Insofern verdankt sich die Wandlung auch der Architektur: Der aussteifende Balken unter der Platte (Altäre bestehen in der Regel aus der Platte, Mensa, und dem Unterbau, Stipes) formt beispielsweise in der Seitenansicht zusammen mit der aufliegenden Platte ein "Tau-Kreuz", also ein T-förmiges Kreuz. Das ist das Urkreuz. Einfacher und zugleich komplexer geht es nicht.

Sehr viel skulpturaler und auch ein wenig raumgreifender macht der Altar in der Martin-Luther-Kirche im niederösterreichischen Hainburg auf sich aufmerksam. Entworfen wurde die Kirche vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au. Was wie ein futuristisches Bügelbrett anmutet, ist erstaunlicherweise die protestantisch-überbordende Antwort auf die neue katholische Schlichtheit. Das kennt man eigentlich eher umgekehrt.

Wie auch immer: Wenn die Gestaltung von Altären glückt, dann ist der Tisch zugleich ein Tisch und sehr viel mehr als das. Und wenn es missglückt? Dann ist der Tisch modisches Design - und nur das.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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