Sommerdrink:Mit Aperol zur Weltherrschaft

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Kaum ein Drink lässt sich besser in Szene setzen, wie hier bei Sonnenuntergang. (Foto: Gulliver Theis/laif)

Manche halten Aperol Spritz für einen Sommerdrink von gestern. Soll das ein Scherz sein? Der Mailänder Hersteller verkauft jährlich 32 Millionen Liter des rotgoldenen Likörs.

Von Marten Rolff

Es gibt immer noch Menschen - meist sind es Frauen mit Italien-Faible -, die ernsthaft behaupten, sie hätten Aperol Spritz vor allen anderen entdeckt. Ja, wirklich, es müsse so vor zehn, zwölf Jahren gewesen sein, in dieser kleinen Geheimtipp-Bar in Venedig. Dann erzählen sie noch, wie überrascht sie gewesen seien, als wenig später urplötzlich alle Cafés an Münchens Maximilianstraße oder der Düsseldorfer Kö zur Aperitif-Zeit in rotgoldenes Licht getaucht waren, weil sich die Sonne so hübsch im Orange der vielen bauchigen Gläser brach.

Stets schwingt bei solchen Berichten ein versteckter Stolz mit, diesen genial einfachen Drink aus zwei Teilen Likör, drei Teilen Prosecco, Soda-Spritzer, viel Eis und Orange auch selbst ein bisschen mit nach Deutschland gebracht zu haben.

Andere Menschen - oft Männer mit Italien-Skepsis - kündigen ernsthaft bis heute regelmäßig zu Sommerbeginn das Ende der Ära Aperol Spritz an. Ja, wirklich, jetzt sei es bald vorbei mit diesem knalligen Barbie-Humpen, weil todsicher der Hugo (Prosecco mit Holundersirup), die Inge (Prosecco mit Ingwersirup), der Tiojito (Sherry mit Zitronenlimo) oder der Wine Slushie (Wein mit püriertem Obst) komme.

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Dann erzählen sie später, wie überrascht sie gewesen seien, dass der Aperol doch wieder auf allen Tischen stand, ja dass sich nach Maximilianstraße und Kö nun auch der Hamburger Jungfernstieg orange gefärbt habe. Man wüsste zu gern, was Bob Kunze-Concewitz über all diese Menschen denkt, über die selbsternannten Pioniere, die Schwärmer, die Überraschten oder die Zweifler und Hasser.

Ein Drink, der sich ausbreitet wie ein Ölfleck

Rührend? Unsinn. Als CEO der Campari-Gruppe, die das Familienunternehmen Aperol vor zwölf Jahren gekauft hat, würde der Österreicher derlei eh nie kommentieren. Und ob Schwärmer oder Zweifler - solange sie nur über Aperol reden, beweisen diese Menschen Bob Kunze-Concewitz, dass er im letzten Jahrzehnt offenbar sehr viel richtig gemacht hat. Sie alle sind ja bloß Figuren auf seinem weltweiten Spielfeld, das sich mit jedem Jahr stärker orange färbt.

Das Bild der Einfärbung ist so zentral wie die Farbe des Drinks selbst, sogar im Duktus des Unternehmens. Man dürfe sich das gern vorstellen "wie einen Ölfleck, der sich ausbreitet", erklärt Bob Kunze-Concewitz: "Zuerst wird ein Bezirk orange", dann eine Stadt, dann zwei, dann ein ganzes Land. Letzteres dauere vier bis fünf Jahre.

Italien, Österreich und Deutschland hat Campari bereits geflutet. Laut Unternehmen - überprüfen lässt sich das nicht - ist Aperol Spritz damit "der Cocktail Nummer eins in Europa", nun sind die USA und Südamerika dran. Campari hat mehr als 50 Spirituosen im Portfolio, darunter Sky-Wodka, Cinzano, Averna oder Grand Marnier. Doch "Aperol ist die Marke, die mit Abstand am schnellsten wächst", sagt der Vorstandschef und lächelt dünn: "Dabei fangen wir in vielen Ländern gerade erst an."

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Welcher Drink vor uns steht, entscheiden wir selbst nur wenig

Diese Geschichte erzählt davon, wie man einen Drink im Bewusstsein verankert. Und wie wenig wir offenbar selbst entscheiden, ob da ein Negroni oder ein Gin Basil Smash vor uns auf der Theke steht. Weil es eben auch kein Zufall ist, dass ein seit 1919 verkaufter Likör auf Basis von Rhabarber, Blutorange, Zucker, Chinin, Enzian und anderen Kräutern binnen weniger Jahre zur tragenden Säule eines Weltkonzerns wird.

Dass dieser Likör nun knapp elf Prozent des Gesamtumsatzes von zuletzt 1,65 Milliarden Euro einfährt, nur weil man ihn (nicht ganz so) neuerdings gern mit mittelmäßigem Prosecco mischt. Dieser Erfolg ist eher die Geschichte eines Feldzugs. Und um sie zu verstehen, muss man das Hauptquartier besuchen.

Die Konzern-Zentrale in Sesto San Giovanni am nördlichen Rand von Mailand ließ Campari vom Stararchitekten Matteo Thun errichten, sie erinnert vage an ein terracottafarbenes Raumschiff. Alles auf dem Gelände soll von Stil, Schönheit und Tradition erzählen: die Bepflanzung, die in grünen Kaskaden vom Dach der Campari-Piazza fällt, der Mosaikfußboden in der Campari-Villa, die früher Landsitz der Campari-Familie war und heute ein Restaurant beherbergt. Und auch die von Künstlern gestalteten Werbeplakate in der Campari-Galerie.

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Für Markenführung ist die Firma berühmt. Unten gibt es ein Labor, eine Bartender-Akademie und einen Museumsshop. Ganz oben, in einem Konferenzraum, dessen bodentiefe Fenster den Blick über die Stadt freigeben, hat Bob Kunze-Concewitz in einem azurblauen Sakko auf einem der campariroten Ledersessel Platz genommen, um die Strategie zu erläutern.

Der Vorstandschef spricht leise und geordnet, als läse er eine Gebrauchsanweisung vor. Es geht um Phasen und die dazugehörigen Renditen. Wachstum durch Zukauf lautet eine einfache Formel, "versteckte Perlen" das Zauberwort, Traditionsmarken, die etwas Staub angesetzt haben, eine pro Jahr, und die wieder flott gemacht werden. So wie Cinzano, der Bourbon Wild Turkey oder vor allem: Aperol.

Als Campari 2004 Aperol übernahm, lag der Ausstoß bei vier Millionen Litern pro Jahr, von denen jedoch drei Millionen in nur drei Städten getrunken wurden: in Venedig, Treviso und Padua, wo die Firma ansässig war. "Wer Konsumenten dazu bringen will, eine Marke neu kennenzulernen, braucht einen Signature-Drink", sagt der Vorstandschef.

Man legte also ein Image fest ("Aperol ist jung, dynamisch, Campari sinnlich, erwachsener") und entschied sich für den Spritz - die Marge ist nebenbei bemerkt ein Traum. Dann optimierte man das Rezept, füllte den Drink für mehr Glamour in ein bauchiges Glas, schulte ein paar Barkeeper im Servieren und startete in ausgesuchten Bars im Mailänder Szene-Viertel Brera. Danach: Flächenbrand. Der Ausstoß heute: Mehr als 32 Millionen Liter. Tendenz wie gesagt: stark steigend.

Doch was genau macht einen guten Sommerdrink aus? Warum ist ausgerechnet der Spritz so erfolgreich? Für eine Antwort muss man kurz nach Bayern wechseln, an die renommierte Barschule München. Dort hat Thomas Weinberger, Dozent und Weltrekordhalter im Speedmixen, einige Cocktails vorbereitet, um das Wesen des Aperol zu erläutern.

Gerade im Spritz spiele der Likör Stärken aus, die ihn zum sommerlichen Aperitif prädestinieren, sagt Weinberger. Neben der Signalfarbe, "ein absoluter Hingucker", wären da: Frische, Süße, Säure und Bitterkeit. Letztere begünstigt die Spannungskurve und fördert Speichelfluss wie Appetit, alles Gründe für ein zweites Glas, bei vielleicht acht Prozent Alkohol eh kein Problem.

Bliebe das Image. Thomas Weinberger räumt ein, dass er vor Kollegen nie Spritz bestellen würde, "die dächten ja, ich hätte nicht alle Latten am Zaun". Doch zu Mainstreamfalle und Mixologen-Stolz später. Dem Ruf als "Mädchengetränk" lässt sich indes begegnen: Die Männer vor der Theke, sagt Weinberger, seien schneller überzeugt, wenn man ihnen den Spritz im strengeren Longdrink-Glas serviert. "An der Bar sind die Kleinigkeiten entscheidend."

Als Likör aber verfügt Aperol offenbar über eine für Bartender glückliche Rezeptur. Süß, säuerlich, bitter - außer zu Sahne passt das irgendwie zu allem. Weinberger mixt ihn mit Whisky, rotem Wermut, Zitronenschale und Hickory-Rauch zum herben Boulevardier. Und mit Ingwersirup und Zitronensaft zum kratzigen Aperol Sour, der auf dem Sommerfest einer zehnten Klasse sicher gut ankäme. Aperol macht nicht alles rund, aber offenbar so einiges.

Campari hat am Mythos hübsch weitergehäkelt

Beim Hersteller hat man in der Euphorie über dieses geschmackliche Balance-Wunder zu einer Sprache gefunden, die eher an Jahrgangs-Bordeaux denn an latent klebrigen Likör gemahnt: von einem Hauch Vanille, von zartem Orangenaroma, samtiger Viskosität oder Holz- und Kräuternoten säuselt der Aperol-Prospekt.

Ohne Legendenbildung, so viel ist klar, geht an der Bar gar nichts mehr. Und Campari hat am Mythos hübsch weitergehäkelt. Sieben lange Jahre, so heißt es, hätten die venezianischen Brüder Silvio und Luigi Barbieri intensiv am Dutzende Kräuter umfassenden Rezept gearbeitet, bis sie ihren Aperol 1919 auf einer Handelsmesse in Padua präsentierten. Auch wenn es schwer vorstellbar erscheint, dass all ihr Bangen und Streben nur einem Likör gegolten haben soll, während sich im Ersten Weltkrieg kaum 80 Kilometer entfernt Österreicher und Italiener am Isonzo niedermetzelten.

Zumindest der Erfolg der Barbieris ist unbestritten. Aperol etablierte sich rasch als leichter Aperitif für die Dame. Irgendwann in den 50er-Jahren begann man dann, den Likör in den "Gespritzten" zu mischen, die Weinschorle hatten die Städte im Veneto sich von den österreichischen Besatzern abgeguckt. So erhielt der Spritz seinen Namen.

Die Basis für ein wenig Glamour wurde durch eine kluge Werbestrategie gelegt, Comedians und Künstler priesen Aperol ebenso an wie die amerikanische Wasserstoffperoxidbombe Holly Higgins - für den Spirituosen-Multi heute alles glänzende Anknüpfungspunkte.

Das Geheimrezept befindet sich in einem Banksafe

Um das "Geheimrezept" der Brüder Barbieri macht Campari ein Bohei, wie man es sonst von Coca-Cola gewohnt ist. Es liegt in einem Banksafe. Angeblich kennt es nur der Chef des Aufsichtsrats. Sowie ein Angestellter, der am ligurischen Standort für die Kräutermischung verantwortlich ist. Die wird dann auch an die neuen Werke in Brasilien und Argentinien geliefert.

Muss die Einführung des Spritz nicht in jedem Land anders laufen? Klar gebe es Unterschiede, sagt der Vorstandschef. Mit dem italienbetrunkenen München, von wo aus der Spritz Deutschland eroberte, hat man da leichteres Spiel als mit Lyon oder Paris. Aber die Mechanismen seien überall ähnlich, erklärt Kunze-Concewitz: Signalorange, Sonnenuntergang, Party. Und ein Fest in Mailand zu starten rechnet sich.

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Mailand inszeniert sich gern als Hauptstadt des Aperitifs. Die berühmte "bella figura" gilt hier als Menschenrecht. Die Barszene ist mittlerweile so hochgetunt wie kaum irgendwo. Essen, Trinken, Mode, Design und Kunst verschmelzen vielerorts in der Stadt zum überstylischen Erlebnisraum, rüsten zum Bildersturm für die Generation Instagram.

Armani setzt in der "Bamboo Bar" auf Maximalreduktion, Prada hat sich die "Bar Luce" von Regisseur Wes Anderson einrichten lassen, als CandyBox der Fünfziger, mit Resopal und Kunstleder in Pastell. Und die kanadischen Designer-Zwillinge Dean und Dan Caten haben sich das "Ceresio 7" aufs Dach geknallt, eine dreiste Pool-Bar mit Restaurant im Retrostil, neben der so manches Luxus-Spa wirkt wie ein Provinzschwimmbad.

Wie der Spritz in die Mainstreamfalle rutscht

Campari hat seit vier Jahren in der "Terrazza Aperol" ein Spritz-Flagship am Dom und damit die schickste Adabei-Terrasse Mailands. An einem heißen Donnerstagabend im Juli mischen sich hier Touristen mit Vorort-Jugend; drinnen, am orangen Kunststofftresen warten einige Suburbia-Mädchen in Minikleidern geduldig darauf, dass ihnen der leicht gelangweilte Barmann den mutmaßlich 76. Spritz (8 Euro) seiner Schicht mischt.

"Der Blick ist toll", schwärmt eine. Später wird sie wie viele hier für ein Selfie an die Balustrade der Terrasse treten. Oranges Glas vor weißer Domfassade vor Nachthimmel, dutzendfach geteilt. Funktioniert verlässlich. Doch mit jedem dieser Bilder, mit jedem neuen Glas ist der Spritz auch mehr in die Mainstreamfalle gerutscht.

In der hoch spezialisierten Bar-Szene, die immer stärker auf Codes und (vorgebliche) Individualität setzt, in der Bartender sich Mixologen und Künstler nennen, sieht man das auch kritisch. Die Hamburger Bar "Le Lion", in Rankings als eine der besten der Welt gelistet, hat Aperol daher erst gar nicht im Sortiment. Und auch nicht mehr die beliebte Schwarzwälder Gin-Sorte Monkey 47, seit die zu Pernod Ricard gehört.

Manch andere Bar hält das ähnlich. Doch wo mit Geschmack argumentiert wird, geht es mitunter auch schlicht ums Geld. An einen Sponsor gebunden zu sein, dem man sich mehr verpflichtet fühlt als anderen Herstellern, ist in der Branche durchaus üblich.

Die "Terrazza Aperol" in Mailand eignet sich gut für Spritz-Selfies vor der Dom-Fassade. Auch am Düsseldorfer Flughafen hat eine Aperol-Bar eröffnet. (Foto: Mattia Campo)

"Warum nicht Aperol zur Pizza?"

Er persönlich möge gut gemachten Spritz, doch "es sollte das gute Recht sein, seine eigene Idee vom Getränkeangebot durchzusetzen. Wenn man serviert, was alle servieren, ist es langweilig", sagt "Le Lion"-Chef Jörg Meyer. Barkeeper, die ihren Gästen beliebte Drinks absichtlich vorenthalten, "sollten mal zum Psychiater gehen", findet Bob Kunze-Concewitz.

Dabei gehört es bei Campari zum Geschäftsmodell, die Trinkgewohnheiten der Gäste dort zu ändern, wo sie nicht ins Konzept passen. So zumindest lautet - nach den Phasen "geografische Ausbreitung" und "Entsaisonalisierung" - die dritte Stufe der Aperol-Strategie. Was das bedeutet? Spritz als Essensbegleiter. Er sollte mehr als ein Aperitif sein, findet der Vorstandschef, "warum nicht Aperol zur Pizza?"

In den USA kam der Spritz als Aperitif ohnehin kaum in Frage, dafür ist er nicht hart genug. Der Konzern hat ihn dann als Brunch-Begleitung eingeführt. Brunch ist im Aufwind. Einige angesagte Cafés in New York oder LA, in denen attraktive Markenbotschafter Runden schmeißen, - und bald ist der amerikanische Sonntagvormittag orange.

Das Ende der Ära Aperol Spritz

Irgendwie gelang es auch, Robert De Niro in einer Komödie noch ein Glas Spritz in die Hand zu drücken. Man könnte jetzt unken: kein Wunder, wo ja seine Filme zuletzt eher ins Süßlich-Sprudelige schwappten. Bei Campari sagt man lieber: Es läuft - "wie eine Lawine".

Damit wäre dann alles gesagt. Nein? Als der Campari-Manager geendet hat und sich vom Sessel erhebt, gibt er überraschend noch eine Prognose zum Ende der Ära Aperol Spritz ab. 25 Jahre dauere die, eine Generation, dann werde der Absatz auf hohem Niveau stagnieren.

Warum? "Das ist doch ganz einfach!" Bob Kunze-Concewitz guckt jetzt, als müsse er einen abgelenkten Schüler zur Ordnung rufen: "Es gibt absolut niemanden, der trinken will, was seine Eltern getrunken haben."

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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