Zweite Bundesliga:Illustration des Abgrunds

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Aufgehängt wie in der Wäscherei: Die Trikots der Würzburger Douglas und Keanu Staude, die beide angeschlagen waren, und jenes von Ewerton, der gesperrt war. Außerdem zu sehen: das Leibchen vom später stürmenden Ersatztorwart Eric Verstappen. (Foto: Florian Ulrich /Jan Huebner/imago)

Bei Würzburgs 0:2 in Darmstadt kommt mangels Personal Ersatztorwart Eric Verstappen als Feldspieler zum Einsatz. Dies veranschaulicht, welche Härten der Fußball inzwischen zulässt.

Von Sebastian Leisgang

Da hingen sie also, vier Hemden nur, an Kleiderbügeln angebracht und eingehängt an den eisernen Wellenbrechern der Stehplatzränge. Es sind merkwürdige Zeiten, Zeiten, in denen fast kein Mensch auf den Tribünen dieses Landes zu finden ist, und deshalb also, inmitten der Baustelle, die das Darmstädter Stadion gerade ist: Hemden an Kleiderbügeln. Eines hatte die Nummer 10 und den Schriftzug: Staude - auf den anderen waren die 33, die 19 und die 30 zu lesen, jene Nummern, die Eric Verstappen, Douglas und Ewerton tragen.

Es war ein vielsagendes Bild, eines, das auch veranschaulichte, um es direkt mal recht weit oben einzuhängen, wie verkorkst der Fußball mittlerweile ist.

Es gibt natürlich ein Foto der vier Hemden, und wer sich dieses Foto jetzt anschaut und ein paar Augenblicke über die Hintergründe nachdenkt, der dürfte auch darauf kommen, dass es dieses Foto eigentlich gar nicht geben sollte. In einer besseren Welt, so ist es im Grunde doch, wäre dieses Fußballspiel zwischen dem SV Darmstadt 98 und den Würzburger Kickers gar nicht ausgetragen worden. In einer besseren Welt wären die besonderen Umstände mit zehn der Quarantäne geschuldeten Ausfällen ein Argument, dass der Würzburger Mannschaftsbus nicht mit nur 14 Spielern am Böllenfalltor vorrollen muss. In einer besseren Welt hätte sich der Bus gar nicht erst nach Darmstadt aufgemacht - die beiden Klubs wären vielmehr übereingekommen, die Partie zu verlegen und sich fürs nächste Jahr zu verabreden.

Verstappens Einwechslung war auch die Illustration, an welch bedenklichem Punkt der Fußball inzwischen angelangt ist

Weil die Welt aber nicht immer eine gute ist, musste Würzburg Darmstadt mit nur zwölf Feldspielern und zwei Torhütern gegenübertreten. Am Ende verloren die Kickers zwar mit 0:2, das Ergebnis verkam aber zu einer Randnotiz, weil Würzburgs Trainer Bernhard Trares kurz vor Spielende eine außerordentliche Einwechslung vorgenommen hatte: Er schickte seinen Ersatztorwart Eric Verstappen, Rückennummer 33, als Feldspieler auf den Platz.

Einwechslungen sind Teil des Spiels, meist nüchterne Vorgänge, die in aller Regel nicht mehr als Fußnoten sind, hier aber liegen die Dinge anders. Verstappens Einwechslung war nicht nur eine Einwechslung. Sie hatte durchaus sportliche Gründe, Würzburg lag 0:1 zurück, und Verstappen ist eine Erscheinung. Er ist beinahe zwei Meter groß, alleine seine Präsenz löst beim Gegner etwas aus. Seine Einwechslung war plausibel, aber auch das: die Illustration, an welch bedenklichem Punkt der Fußball inzwischen angelangt ist.

Die Kickers hatten ja nur deshalb antreten müssen, weil auch Ewerton, Douglas und Staude gemäß der Spielordnung als einsatzbereit eingestuft wurden - obwohl Ewerton gesperrt war und Douglas sowie Staude verletzt fehlten. Mit den dreien aber hatte Würzburg auf dem Papier 17 verfügbare Fußballer, einen mehr, als es laut Spielordnung bedarf, um eine Partie zu bestreiten.

All das wirft jetzt auch Fragen auf wie: Was wäre gewesen, wenn nicht nur Douglas und Staude angeschlagen gefehlt hätten? Was, wenn nicht nur Ewerton gesperrt gewesen wäre und die Kickers nicht mal zwölf Feldspieler zusammengebracht hätten? Hätten sie dann, mal überspitzt, zu acht beginnen und es dennoch mit elf Darmstädtern aufnehmen müssen?

Es sind Fragen, auf die es eine klare Antwort gibt: ja, die Kickers hätten im äußersten Fall in Unterzahl spielen müssen. Weil die Spielordnung aber nicht gottgegeben ist, weil sie die Vereine selbst klaren Verstands entworfen haben, ist auch das jetzt ein Teil der Wahrheit: Die Kickers sind, bei aller Empathie, nicht in der Position, Forderungen zu stellen.

"Also, ich bitte dann schon fair zu sein", fordert Kickers-Trainer Bernhard Trares

Auch für Darmstadt war es ja, wenngleich unter vollkommen anderen Gesichtspunkten, "kein normales Spiel", wie Trainer Markus Anfang im Nachgang sagte. Schon die Vorbereitung war höchst ungewöhnlich, denn im Regelfall räumt eine solche Vorbereitung Fragen aus - nun warf sie welche auf. Wer schießt Würzburgs Ecken? Wie schießt er sie? Auf welche Spieler ist bei solchen Standards zu achten? Wer spielt überhaupt? All das blieb für Darmstadt offen.

Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, dass Anfang auch für diesen Sieg um Anerkennung warb, indem er klarstellte: "Es ist keine Selbstverständlichkeit, so ein Spiel zu gewinnen." Würzburg war schließlich nicht mit Spielern aus dem Nachwuchs angetreten, sondern ausschließlich mit Spielern, die den Anspruch haben, in der zweiten Bundesliga eingesetzt zu werden.

Als Anfang diesen Punkt bei der Pressekonferenz ansprach, konnte sich Trares am anderen Ende des Podiums nicht mehr zügeln und unterbrach ihn. "Also, ich bitte dann schon fair zu sein", sagte Würzburgs Trainer, "uns haben neun Stammspieler gefehlt. Sorry!" Anfang stutzte kurz, dann fragte er: "Darf ich weiterreden?"

Es war die letzte Pointe eines Nachmittags, der vor allem eines war: seltsam.

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