Wolfgang Niersbach:Fußballverbot

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Einst gemeinsam auf der Tribüne: IOC-Chef Thomas Bach (mit Schal) und Wolfgang Niersbach bei einem Länderspiel 2013 in Nürnberg. (Foto: imago sportfotodienst)

Auch der letzte Sommermärchen-Vertreter verliert seine Ämter: Die Fifa-Ethikkommission sperrt den ehemaligen DFB-Präsidenten für ein Jahr - weil er die WM-Affäre eher vertuschte als aufklärte.

Von Thomas Kistner, Zürich/München

Lange hat sich Wolfgang Niersbach gegen die Verbannung gestemmt, aber mehr als die Halbierung des von den Fifa-Ermittlern geforderten Strafmaßes konnte er nicht erreichen: Am Montag sperrte die unabhängige Ethikkommission des Fußball-Weltverbandes das deutsche Exekutivmitglied für ein Jahr von allen "nationalen und internationalen" fußballbezogenen Tätigkeiten. Damit verliert Niersbach auch sein Vorstandsamt in der Europäischen Fußball-Union Uefa.

Das Verdikt beendet eine Verbandskarriere, die fast drei Jahrzehnte währte; ein Comeback dürfte ausgeschlossen sein. Amtsträger im Fußball müssen vor der Bestellung neuerdings Integritätschecks bewältigen; derlei wäre Niersbach nach dieser Sperre nicht mehr möglich, heißt es dazu in Zürich. Andererseits hat sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nach den Wirren der sogenannten Sommermärchen-Affäre um die WM 2006 ohnehin für die Zukunft neu aufgestellt - jedenfalls in personeller Hinsicht. Ohne Niersbach.

Die Sperre erfolgte, weil Niersbach als Fifa-Vorstand und damaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes seinen Pflichten zu Offenlegung von und Kooperation bei Regelverstößen nicht nachgekommen war. Jedoch droht dem 65-Jährigen noch größeres Ungemach: Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und andere im Kontext dubioser Geldflüsse, durch die umgerechnet 6,7 Millionen Euro vom deutschen WM-Organisationskomitee an die Firma des damaligen Fifa-Vorstandes und WM-Wahlmannes Mohamed Bin Hammam nach Katar geflossen sind. Dem DFB droht in diesem Verfahren die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für eines oder mehrere Jahre. Der Schaden könnte sich auf einen Millionenbetrag summieren - den sich der Verband bei den Verantwortlichen zurückholen müsste.

Lange hat sich Niersbach gegen das Verdikt gewehrt, Mitte Mai hatten die Ethik-Ermittler eine Zwei-Jahres-Sperre gefordert. Das Verfahren führte der australische Jurist Alan Sullivan, Spruchkammerchef Hans-Joachim Eckert durfte als Deutscher nicht agieren. Jedoch legte Eckert dem Kollegen Mitte März ein passendes Urteil vor: Da wurden, in einer Affäre um manipulierte Testländerspiele des Nationalverbands Safa, zwei südafrikanische Schiedsrichter-Funktionäre zwei Jahre gesperrt. Das Duo hatte nicht an Absprachen mitgewirkt, aber solche gekannt und nicht gemeldet.

Warners genauer Part ist noch ungeklärt, interessiert aber auch schon das FBI

"Dem Reglement unterstellte Personen müssen mögliche Vergehen umgehend (. . .) der Untersuchungskammer melden", besagt der Artikel 18 des Ethikcodes, der nun auch Niersbachs Karriere beendet. Er hatte laut Untersuchungsbericht der vom DFB als unabhängige Ermittler eingesetzten Kanzlei Freshields "spätestens im Juni 2015 Kenntnis" von groben finanziellen Ungereimtheiten im deutschen WM-OK. Überdies, heißt es im Report, habe er eingeräumt, "dass er die Einbeziehung von Gremien ausdrücklich ablehnte". Statt das seit Anfang Juni bekannte und zur Beinahe-Staatsaffäre anschwellende Millionenproblem seinem Präsidium offenzulegen, veranlasste der damalige DFB-Chef diskret interne Recherchen - "auch nach Jack Warner", wie es im Freshfields-Bericht heißt. Warner ist eine Zentralfigur der Fifa-Korruptionshistorie. Er spielte auch bei der WM-Vergabe 2006 an Deutschland eine Rolle; Tage vor dem Wahlprozedere besiegelte er einen abenteuerlich dotierten Vertrag mit dem damaligen Bewerbungschef Franz Beckenbauer. Warners genauer Part ist noch ungeklärt - interessiert aber auch schon die internationalen Strafbehörden, vorneweg die US-Bundespolizei FBI.

Niersbachs Verstrickung in die Sommermärchen-Affäre ließ den Ethikern keine Wahl. Er hatte sich bereits am 9. Juni 2015 im Kreis damaliger OK-Akteure um Beckenbauer und dessen umwitterten Intimus Fedor Radmann zu einem konkreten Krisengespräch getroffen. Tags darauf schickte er einen offenen Brief an die 26 000 deutschen Vereine im DFB. Darin rügte der Präsident, dass "Gier und fehlende Moral einiger weniger den gesamten Fußball unter einen Generalverdacht stellen, bis hin zu unserem wunderbaren Sommermärchen (. . .). Wir haben bei unserer Bewerbung nicht mit unlauteren Methoden agiert, vielmehr bekam Deutschland nach acht Jahren akribischer Arbeit in einem sauberen Verfahren den Zuschlag".

Dass er da bereits von den Millionenflüssen wusste, räumte er erst unter Erklärungsdruck ein: Mitte Oktober, als Presseveröffentlichungen zur mysteriösen Zahlung des WM-OK bevorstanden.

Am Montag war Niersbach erschüttert: "Der Entscheid trifft mich hart." Die Sanktion hält er "für überzogen. Ich lasse mich anwaltlich beraten, ob ich Rechtsmittel einlege". Er habe bei einer mündlichen Verhandlung in Zürich einen Fehler eingeräumt. Und er habe seinerzeit zu spät über kritische Zahlungsflüsse zwischen dem WM-OK und der Fifa im Vorfeld des Sommermärchens informiert, schrieb Niersbach.

Bei den strafrechtlichen Ermittlungen haben die Behörden Vorfahrt

Für die Fifa-Ethiker liegen die Dinge anders. Die Sperre erfolgt, weil Niersbach, immerhin Vizechef des WM-OK 2006, Erkenntnisse über mögliches Fehlverhalten bei der WM-Vergabe inklusive möglicher Verstöße gegen den Fifa-Ethikcode nicht "in angemessener Weise" gemeldet habe. Dass die Causa Sommermärchen damit noch nicht ausgestanden ist, stellten die Fifa-Richter klar: Ihre Sanktion bezog sich nur auf Niersbachs Verhalten im Wissen um Fehlentwicklungen. Etwaige weitere Regelbrüche "in Bezug auf mögliche Korruption in Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006" seien gar nicht untersucht worden. Bei diesen strafrechtlichen Ermittlungen haben die Behörden Vorfahrt. In den USA, Deutschland und der Schweiz. Der DFB hofft auf ein flottes Ende der Züricher Gefechte und "wäre dankbar, wenn wir möglichst bald in der Angelegenheit Rechtssicherheit hätten", teilte Päsident Reinhard Grindel mit. Die Kosten muss Niersbach selbst bestreiten; für Fifa-Verfahren steuert der DFB nichts bei.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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