WM-Tickets:Sitz, Platz, Stadtrat

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Zwölf Fußballstadien und eine neidvolle Debatte: Dürfen Kommunalpolitiker die begehrten WM-Eintrittskarten kaufen?

Bernd Dörries und Ralf Wiegand

Dieser Tage hat der Weltfußball-Verband Fifa mal wieder Post verschickt, elektronische. Zum Abschluss der dritten Verkaufsphase von Eintrittskarten für die Weltmeisterschaft fand, grob geschätzt, ungefähr jeder 20. Interessent unter dem Betreff "Erfolgreiche Ticketzuteilung für FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM)" solch ein Schreiben inklusive Kommafehler im E-Mail-Eingang:

Lotteriespiel: Glück hat, wer ein Ticket zugelost bekommt - oder Stadtrat ist. (Foto: Foto: dpa)

"Sehr geehrter Herr (...), wir freuen, uns Ihnen mitteilen zu können, dass Ihnen im Rahmen der Auslosung zur Ticketverkaufsphase 3 anlässlich der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM) Einzeltickets für folgendes Spiel zugeteilt werden konnten: (...)"

Es folgen Spiel, Ticketpreis zuzüglich zehn Euro Versandkosten und der Hinweis auf weitere Sicherheitsprüfungen und Vorbehalte. Aber immerhin: Karten bekommen, Glückwunsch!

Für den gemeinen Fußballfan sind die Hürden nämlich hoch, eines der 64 WM-Spiele vom 9. Juni bis 9. Juli tatsächlich live in einem der zwölf Stadien zu erleben.

Großzügiges Vorkaufsrecht

Von Anfang an war jedes der insgesamt 3,07 Millionen Tickets ungefähr so überzeichnet wie die Startup-Aktie einer IT-Firma zur Boomzeit des Neuen Marktes.

Die Zahlen sind schwindelerregend: Allein über den Online-Ticket-Service der Fifa wurden 14,7 Millionen Karten nachgefragt, in den einzelnen Ländern rechnet das Organisationskomitee noch einmal mit genauso vielen Interessenten, die sich an die nationalen Verbände gehalten haben.

Horst R. Schmidt, Vizepräsident des WM-Organisationskomitees, vermutet: "Insgesamt hätten wohl 30 Millionen Karten verkauft werden können."

Wohl dem, der einen Stadtrat in der Familie hat - die Chancen auf WM-Karten steigen dann exorbitant. Ein großzügiges Vorkaufsrecht hat etwa die Stadt Hannover ihren 64 Ratsfrauen und -herren eingeräumt.

Jeder Kommunalpolitiker bekam die Möglichkeit, je zwei Karten für alle fünf Spiele in der niedersächsischen WM-Arena zu erwerben. Zehn Karten pro Person - im freien Verkauf unter Fifa-Bedingungen entspräche das einem Sechser im Lotto, wahrscheinlich mit Zusatzzahl.

Die Karten stammen aus einem besonderen Kontingent, das der Weltverband den Ausrichterstädten zur Verfügung stellt: Bis zu 3000 Karten konnte jede WM-Kommune kaufen und ohne allzu strenge Vorgaben weiterverkaufen. Alle zwölf Städte haben davon Gebrauch gemacht.

In Hannover haben die Abgeordneten im Rathaus rund 400 Tickets erworben, nachdem der Verkauf zwischenzeitlich gestoppt worden war. Es hatte massive Kritik aus allen Parteien an einem Verfahren gegeben, von dem niemand so richtig wusste, wie es funktioniert.

Denn angeschrieben worden waren die Ratsmitglieder bereits am 10. November 2005; die Öffentlichkeit erfuhr über die Praxis der Weitergabe des 146.000 Euro teuren Kartenpakets aber erst gut zwei Monate später.

"Wir haben das Verfahren kurz angehalten, im Sport- und Verwaltungsausschuss transparent gemacht und dann wieder wie zuvor beschlossen aufgenommen", sagt Hannovers WM-Sprecher Ralf Sonnenberg.

Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) hatte die Aufregung sowieso nicht verstanden: Die Ratsmitglieder hätten sich in "zahllosen Sitzungen" um den Stadionumbau bemüht, ohne den es gar keine WM in Hannover gäbe.

Die Kommunalpolitiker gelten demnach als "Unterbau der WM-Bewerbung Hannovers", sagt Sonnenberg; eine hübsche Erklärung, warum ein Ratsmitglied zur großen Fifa-Fußballfamilie zählt.

Hannover muss sich nicht grämen: In kaum einer WM-Stadt ging die Weitergabe des Kontingents ohne Neiddebatte ab.

Nachvollziehbar: Wenn Mangelware zu Sonderbedingungen vergeben wird, schaut man besonders genau hin, wie die Mitglieder der so genannten "deutschen Fußballfamilie" mit ihren Karten umgehen.

In Frankfurt und München erlaubte die Stadt ihren Räten sogar, jeweils bis zu 15 Karten für die Spiele in der Stadt zu kaufen. Weil der Frankfurter Baubürgermeister Joachim Vandreike (SPD) die Tickets nur an die Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und FDP verkaufen wollte, waren die sechs kleinen Parteien im Römer, die leer ausgehen sollten, erregt.

"Raff- und Mauschelgemeinschaft"

Eine Rätin sprach von einer "Raff- und Mauschelgemeinschaft", die ihre Beute zurückgeben müsse.

In München war die Situation ähnlich; bis zu 15 Karten für alle Spiele zusammen sollten Stadträte kaufen dürfen. Das Verfahren führte zu Kritik, wurde aber schließlich aber vom Ältestenrat bestätigt.

Nun zeigt sich, dass die Stadträte nicht sonderlich fußballinteressiert sind und gar nicht alle Tickets, die ihnen zur Verfügung standen, gekauft haben. Die sollen nun an Delegationen aus Partnerstädten, auch aus anderen Ländern, gehen.

In Stuttgart wird der allergrößte Teil der Karten an lokale Sponsoren und Geschäftspartner weiterverkauft, die Gemeinderatsmitgleider können insgesamt maximal drei Karten erwerben.

Der Empfehlung der Fifa, die Tickets an Menschen zu vergeben, die sich um die WM verdient machen, scheint die Stadt Köln am nächsten zu kommen. Dort sollen sogar Straßenbahnschaffner Tickets erhalten, die während den Spielen im Einsatz sind.

Insgesamt 1200 Ehrenamtliche aus den Sportvereinen, der Jugend- und Sozialarbeit sollen Karten erhalten können, dazu 200 so genannte Dienstleister, wie die an den Spielen beteiligten Sanitäter oder eben Straßenbahnschaffner.

Nur ein sehr geringer Teil wird den Ratsmitgliedern angeboten. In Gelsenkirchen gibt die PDS eine Handvoll ihrer gekauften Karten sogar an Arbeitslose weiter.

Man muss aber nicht gleich den Job aufgeben, um an Karten zu kommen. Es gibt noch genug Chancen - auch in Hannover.

Dort könnte man beispielsweise noch schnell in einen Verein eintreten, der japanisches Bogenschießen anbietet und sich an der Aktion "Fit für 2006" beteiligt, einer Breitensportveranstaltung rund ums Neue Rathaus. "Als Dankeschön erhält jeder Verein die Möglichkeit, vier Karten zu kaufen", sagt WM-Sprecher Sonnenberg - auch der Verein für japanisches Bogenschießen.

Gleiches gilt für jede jener 32 Schulen, die demnächst die WM nachspielen und zugleich ein Kulturprojekt über einzelne Teilnehmerländer starten.

Reifenhändler im Stadion

Dabei müssten alle Institutionen die Karten auch tatsächlich kaufen, versichert Sonnenberg: "Wir verschenken kein einziges Ticket."

Fast keines wenigstens: Zum Spiel Südkorea gegen die Schweiz am 23. Juni lädt die Stadt Hannover gemeinsam mit der Bundesagentur Invest in Germany GmbH rund zwei Dutzend Schweizer Unternehmer ein, die auf Standortsuche in Deutschland sind. "Die WM ist ja auch Standortsicherung", sagt Sonnenberg.

Der missgünstige Streit um die gut 24.000 kommunalen Tickets scheint angesichts der Größenordnung des Sonderkontingents ohnehin reichlich überzogen. Zum Vergleich: Offizielle WM-Sponsoren, im Fifa-Jargon "Partner und Förderer" genannt, erhalten Zugriff auf insgesamt 490.000 Eintrittskarten und finden zum Teil wirklich kuriose Wege zur Weitergabe.

So veranstaltet der Reifenhersteller Continental AG schon seit einem Jahr ein eigenes Fußballturnier mit 350 Mannschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dem Sieger winken zwanzig, dem Finalisten immerhin noch zehn WM-Tickets.

Teilnahmeberechtigt waren allerdings laut Ausschreibung nur Teams "aus Reifenhandel und Autohausgeschäft".

© SZ vom 10.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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