WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Verrat an der Kuh

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Brasilianer und ihre Vorliebe für Fleisch vom Grill. (Foto: dpa)

Bei der WM finden spannende Fußball-Spiele statt. Die wahren Schlachten ereignen sich allerdings in den Steakhäusern, den Churrascarías. Das Ausmaß gastronomischer Verwirrung trifft vor allem die Argentinier. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Bei der WM finden gute und spannende Spiele statt, die wahren Schlachten allerdings ereignen sich in Brasiliens Steakhäusern, den Churrascarías. Kürzlich zum Beispiel im Carretão am Lido von Copacabana, einem rustikalen und touristenlastigen Klassiker. Normalerweise steht in solchen Restaurants eine Ampel auf dem Tisch: Dreht man den Zeiger auf grün, dann kommt Nachschub, rot signalisiert Sättigung.

Im Carretão dagegen bringen die Kellner ampelfrei das Fleisch, es hängt allerdings auch hier in seinen verschiedenen Versionen triefend und heiß an Spießen und wird über dem Teller abgeschnitten. Picanha, Filet, Lamm, Wachteln und so weiter. "Rodízio" nennt sich das System, das auf andere Weise auch im Straßenverkehr von São Paulo angewandt wird, weil dort je nach Nummernschild gelegentlich pausiert werden muss, ehe die Staus aus den allerletzten Nähten platzen.

Der Kampf im Carretão beginnt mit dem Salatbuffet, an dem auch Sushi ausliegt, weshalb sich die Argentinier am Nebentisch zunächst stäbchenessend wiederfinden. Der in dem älteren Boca-Trikot (Boca Juniors ist der ehemalige Klub von Maradona) mit der Quilmes-Werbung (Quilmes ist ein argentinisches Bier, das inzwischen wie fast jedes Bier Brasilianern gehört), dieser Argentinier also ist in gastronomischer Verwirrung dann kurz davor, mit den Stäbchen eine Scheibe Roastbeef aufzuspießen, besinnt sich aber gerade noch seiner Gabel.

In Argentinien würde man für solche Ansätze eines Verrats an der Kuh umgehend des Landes verwiesen. Gegenüber löffelt eine dicke Costa Ricanerin in einem enormen Stück Eistorte, der Kollege K widmet sich seinem zweiten Rind des Abends, Menschen in Chile-Trikots stopfen einen Fetzen Schwein nach, der Ober liefert eisgekühltes Bier.

Eine Japanerin filmt das alles mit einem Handy mit Kuhdekor, im Fernsehen spielen Ghana und die USA, und draußen drängen Engländer auf Einlass. Man sollte Engländer nicht zu lange warten lassen und die Ampel auf Rot stellen, aber es gibt ja keine.

© SZ vom 24.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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