WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Ganz Brasilien fährt Bus

Lesezeit: 1 min

Ankunft in Rio de Janeiro: Die Seleção ist da. (Foto: REUTERS)

Die Rolle des Mannschaftsbusses ist im Fußball bisher nicht genug gewürdigt worden. Die Brasilianer aber übertreiben es bei der Heim-WM mit ihrem Gefährt. Der Bus rauscht durch die Straßen - und immer ist das ganze Land dabei. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Holger Gertz, Rio de Janeiro

Die Rolle des Mannschaftsbusses im Fußball ist bisher nicht genug gewürdigt worden. Er fährt in der öffentlichen Wahrnehmung so auf dem Nebengleis, dabei ist er manchmal das Ziel des Hasses gegnerischer Fans: Uli Hoeneß hat mal erzählt, ein Fan von Oberhausen habe nach einem Bundesligaspiel einen Senftopf auf den Bus des FC Bayern geworfen, die Spieler hätten den Mann dann in den Bus gezogen und in seinen eigenen Senf getunkt und noch ein bisschen zum Flughafen mitfahren lassen.

Der Mannschaftsbus kann gestalterisches Mittel bei Zeremonien sein. Bei der Abschlussfeier der WM 1974, kurz vorm Finale, waren die meisten Mannschaften natürlich schon weg, da haben die Zeremonienmeister einfach die Mannschaftsbusse ins Stadion fahren lassen, es war tatsächlich als Programmpunkt so formuliert: Parade der Mannschaftsbusse. War aber auch eine schöne Werbung für den Mannschaftsbus- hersteller aus dem Süden der Republik.

Illustration: Luis Murschetz (Foto: N/A)

Vor der WM in Brasilien sind alle 32 Mannschaftsbusse mit Mutmach- Slogans verziert worden, die meisten sind inzwischen in der Garage und werden umlackiert, weil die Slogans nicht den Bus wert waren, auf dem sie geschrieben standen. Die Brasilianer aber rauschen noch in ihrem Bus durchs Land, auf dem steht "Brace Yourselves! The 6th Is Coming." Man soll sich also darauf gefasst machen, dass der bald sechsmalige Weltmeister da unterwegs ist. Die Prognose ist mutig, sie ist auch allgegenwärtig, denn der Bus der Brasilianer kommt dauernd im Fernsehen.

Die Seleção muss zum Flughafen, zum Spiel, ins Trainingscamp nach Teresópolis. Der ônibus da seleção schnürt über die Straßen, und offenbar immer folgt ihm ein Hubschrauber des brasilianischen Fernsehens, denn regelmäßig sieht man den Bus in kurzen Einspielern auf dem Bildschirm, das ganze Land blickt auf ein Fahrzeugdach.

"Die Seleção ist unterwegs", sagt der Moderator, und tatsächlich fährt die Seleção bei Nacht und Tag, sie fährt durch die Ödnis brasilianischer Abgeschiedenheit, durch das wilde Grün brasilianischer Wälder; sie überwindet brasilianische Hügel. Sie fährt durch den Werbeblock, durch die Halbzeitpause; ihre Fahrt kommt als Aufzeichnung im Früh- programm und live in den Abendnachrichten. Ein Bus von oben. "Die Seleção ist unterwegs", sagt der Sprecher und schaut mit der Wetterfrau aufgeregt auf den Monitor.

Die Rolle des Mannschaftsbusses im Fußball ist bisher nicht genug gewürdigt worden, man kann aber alles auch übertreiben.

© SZ vom 03.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: