WM-Analyse zum Brasilien-Debakel:Dante, von der Herde getrennt

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Häufig alleine gelassen: Brasiliens Innenverteidiger Dante. (Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Das historische Desaster der Brasilianer schlägt sich auch in Zahlen nieder. Eine besonders bemitleidenswerte Rolle spielt Bayern-Verteidiger Dante bei seinem ersten Turnier-Einsatz. Die Statistik-Analyse zum Halbfinale.

Von Benjamin Romberg

David Luiz reißt die Augen weit auf, als er Thomas Müller erblickt. Gerade noch stand Deutschlands gefährlichster Torschütze direkt neben ihm, in Erwartung einer Ecke. Luiz hatte alles im Griff. Doch nun steht Müller am anderen Ende des Strafraums. Ganz alleine. Luiz erahnt das drohende Unheil. Aber er kann nichts tun. Seine Kollegen haben sich in einem Pulk um Mats Hummels geschart. Durch diesen Pulk muss Luiz nun durch, um Müller noch einzufangen. Er sprintet los - doch keine Chance, Miroslav Klose blockt ihn geschickt weg. Als Brasiliens Kapitän Müller erreicht, steht es schon 1:0.

Was folgt, ist nicht nur die höchste, sondern vielleicht auch die schlimmste Niederlage, die Brasilien je erleiden musste. 1:7. Im WM-Halbfinale. Im eigenen Land. Die ultimative Demütigung. Erinnerungen an das verlorene Finale 1950 gegen Uruguay werden wach: Maracanaço, der bis dato schwärzeste Tag in der Fußballhistorie des stolzen Landes.

Angesichts eines solch kollektiven Versagens ist die Ursachensuche im Grunde müßig. Es lief eben alles schief, was schieflaufen konnte. Doch in der Statistik lassen sich schnell ein paar Anhaltspunkte finden.

Brasiliens Defensive etwa. Selbst eine Herde Antilopen auf der Flucht vor einem Löwenrudel ist geordneter, als es die Abwehr der Seleção bei deutschen Angriffen war. Das lag, wie schon so oft in diesem Turnier, auch daran, dass die Herde weit verstreut war. David Luiz versuchte sich als wilde Zwölfeinhalb: Er spielte Innenverteidiger, Antreiber im Mittelfeld und Stürmer zugleich, wie die Heatmap zeigt ( Daten von unserem Kooperationspartner Opta). Einerseits verständlich, brachten seine Vorderleute kaum etwas zustande.

Nur führte das andererseits dazu, dass er nichts davon so richtig erledigen konnte, und der bemitleidenswerte Dante häufig alleine im Abwehrzentrum rumstand. Wie ein Antilopenbaby, das von der Herde getrennt wurde - den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Dante, für den gesperrten Thiago Silva im Spiel, gewann bei seinem ersten und wohl vorerst letzten WM-Einsatz keinen einzigen Zweikampf.

Auch zu seiner Linken sah Dante oft: niemanden. Denn Marcelo interpretierte seine Rolle noch offensiver als sonst. So kam er immerhin auf drei Torschüsse - und damit einen mehr, als die Offensivkräfte Hulk, Fred und Neymar-Ersatz Bernard gemeinsam abfeuerten. Doch war Marcelos Drang nach vorne mal wieder eine Einladung für den Gegner: Die Hälfte der deutschen Angriffe lief in der desaströsen ersten Halbzeit über seine Seite.

Natürlich war es für Brasiliens Defensive auch nicht gerade hilfreich, was die Vorderleute veranstalteten. Nur wirklich aufmerksamen Zuschauern fiel auf, dass die Seleção mit einem Mittelfeld spielte. Auffälligste Aktion von Fernandinho etwa war der Ballverlust in der eigenen Hälfte vor dem 0:3.

Immerhin: Die Zweikampfbilanz der Brasilianer ist nicht so verheerend, wie man meinen könnte. Die Deutschen waren insgesamt überlegen, jedoch nur knapp. Nur in der Luft wurde der Unterschied eklatant. Die DFB-Kicker gewannen 71,4 Prozent der Duelle. Mit der Kopfballstärke der Deutschen alleine ist allerdings nicht zu erklären, warum von 21 Flanken der Brasilianer keine einzige ankam.

Die Augen von David Luiz waren nach dem Spiel gerötet und mit Tränen gefüllt. Dass es so schlimm kommen würde, hätte er wohl auch nicht gedacht, als er Thomas Müller aus dem Blick verlor.

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