WM 2010: Presseschau:Duell der Wunderkinder

Lesezeit: 3 min

Deutschland trifft auf Argentinien und die Presse schaut auf den Zweikampf der Ausnahmespieler Messi und Özil. Brasilien gibt eine kontrollierte Partie aus der Hand und Ghana trauert einer historischen Chance hinterher - obwohl sogar die Krawattenfarbe stimmte.

" Indirekter Freistoss " ist die Presseschau für den kritischen Fußballfreund. Fast täglich sammelt, zitiert und kommentiert der Indirekte Freistoss die schönsten und wichtigsten Textausschnitte und Meinungen aus der deutschen, während der WM auch aus der internationalen Presse. Täglich auf sueddeutsche.de und www.indirekter-freistoss.de.

Argentinischer Ausnahmespieler: Lionel Messi. (Foto: afp)

Michael Horeni (FAZ) vergleicht Lionel Messi und Mesut Özil und sieht ein Duell der Wunderkinder: "In Argentinien ist es schon ein Fall von Majestätsbeleidigung, falls man es wagt, einen andern Spieler dieser Generation mit Messi auf eine Stufe zu stellen. Der einzige Maßstab, den man für den Superstar des Nationalteams und der WM für akzeptabel hält, ist der eigene Trainer. Wer in Argentinien nicht als Fußball-Banause erscheinen will, darf nur Maradona mit Messi vergleichen - und Messi nur mit Maradona", schreibt Horeni. "Das deutsche Spiel ist weniger abhängig von Özil als Argentinien von Messi. Aber ohne Özil verschwindet eine ständige Anspielstation, die den Ball mit Ruhe, Übersicht und Intuition ganz einfach an die nächstbeste Stelle befördert."

Peter Unfried (taz) freut sich über den neuen Geist im DFB-Team: "Die deutsche Nationalmannschaft: Das klang viele Jahre seltsam. Bedrohlich. Auf keinen Fall gut. Während das englische Verbandsteam immer 'England' genannt wird, Brasilianer ihr Team 'Seleçao' nennen und Spanier ihres 'Selección', bestanden wir auf dem 'National' Die Welt ignoriert das und nennt die Fußballer der Bundesrepublik Deutschland (die DDR spielte in der Fußballwelt keine Rolle) seit vielen Jahren nur die 'Mannschaft'. Auch das hatte keinen guten Klang. In die internationale Konnotation des Begriffs waren die alten Teutonenklischees eingeprägt, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und der ästhetische Widerwille gegen den Spielstil. Die Mannschaft, das bedeutete: Scheißfußball der Deutschen, der sich durchsetzte, leider." Heute verbreite die deutsche Elf "ein Gefühl der Hoffnung. Sie ist eine romantische Metapher für die Möglichkeit einer guten Zukunft unseres Gemeinwesens. Einer Gemeinschaft, die sich nicht über Blut definiert, sondern über gemeinsame Ziele."

Boris Herrmann (FR) trauert nach dem Ausscheiden Ghanas gegen Uruguay einer verpassten Chance hinterher: "Es war eine Nacht, die einen anderen Höhepunkt verdient gehabt hätte, als die Handparade eines Feldspielers. Alles bis hin zur modischen Ghanakrawatte von Trainer Milovan Rajevac war an diesem Abend in Rot-Gelb-Grün gehalten. Mit dem ganzen Stadion, dem ganzen Kontinent, vielleicht sogar mit der ganzen Welt im Rücken, so dachte man, müssten die letzen Afrikaner dieses Turniers wie ein Rudel hungriger Löwen auflaufen."

Peter Birrer (NZZ) versteht die Schmerzen der Black Stars. Immerhin schied die Schweiz im Achtelfinale der WM 2006 ebenfalls im Elfmeterschießen aus - ohne einen verwandelten Strafstoß. "So nahe dran war Ghana in der 122. Minute, so schnell zerbrach der Traum. Der Fehlschuss Afiyiahs (nur 2 Meter Anlauf) war der eine zu viel." Das Aus für die letzte afrikanische Mannschaft im Turnier. Dabei war vorher eine ungewohnte Einigkeit auf dem Kontinent zu spüren: "Plötzlich rücken alle zusammen, überwinden Tausende von Kilometern und vereinen sich über zig Grenzen hinweg. So wird das zumindest zelebriert, wenn Ghana als letzte im Turnier verbliebene Auswahl Afrikas für allerlei Sehnsüchte und Projektionen herhalten muss. Als der Afrika-Cup Anfang Jahr in Angola von einem Attentat überschattet wurde, wiesen die Turnierorganisatoren in Südafrika eiligst darauf hin, dass mehr als 3000 Kilometer zwischen Angola und ihrem Land liegen und das eine nichts mit dem anderen zu tun habe."

Christian Eichler (FAZ) singt beim brasilianischen Blues nach dem zweiten Viertelfinal-Aus bei einer WM in Folge mit. Für ihn ist Felipe Melo der Mann des Spiels. Mit einem schönen Pass habe er das Tor von Robinho vorbereitet, zusammen mit Torwart Julio Cesar den Ausgleich verschuldet und das letzte Aufbäumen der Selecao durch Nachtreten gegen Robben und die folgende Rote Karte verhindert. Immerhin haben die Brasilianer den übrigen Gegnern der seit 24 Spielen in Folge unbesiegten Holländer ein Rezept gegen Arjen Robben aufgezeigt: "Sie kannten seinen immer gleichen Haken nach innen auf seinen linken Fuß schon und ließen ihn vor eine blaue Wand laufen."

Constantin Wissmann (taz) fällt nach dem Spiel Holland gegen Brasilien ein deutliches Urteil. Die Brasilianer haben eine völlig kontrollierte Partie aus der Hand gegeben. "Johan Cruyff, Hollands Legende und Lehrmeister des schönen Spiels, hatte vorher gesagt, er würde kein Geld ausgeben, um dieses Spiel zu sehen. Zu organisiert und zu wenig fantasievoll würden diese Mannschaften spielen. Doch wird wohl kein Zuschauer sein Geld zurückverlangen wollen. Das kämpferisch starke Spiel und die menschliche Tragödie, die sich hier abspielte, entschädigte für vieles."

Sven Goldmann (Tagesspiegel) begrüßt einen neuen Turnierfavoriten und verabschiedet einen alten. Die Holländer verfolgen weiter "die Hoffnungen ihrer Landsleute, der Traum vom Gewinn der Weltmeisterschaft möge sich doch endlich einmal erfüllen." Doch als nach dem unverhofften Ausgleich Sneijder die Holländer auch noch per Kopf in Führung brachte, verloren die Brasilianer die Nerven: "Als dann Felipe Melo für ein übles Nachtreten gegen Robben Rot sah, war das Spiel gelaufen. Brasilien drückte, Brasilien stürmte, aber Brasilien schoss kein Tor mehr. Fünf Minuten vor Schluss vergab Kaká die letzte Chance."

Presseschau zusammengestellt von Matthias Nedoklan.

© sueddeutsche.de/ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: