Wintersport:Endlich ist Miriam Gössner eine normale Biathletin

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Miriam Gössner: Spitzenzeiten im Laufen, aber noch Rückstände beim Schießen (Archivbild) (Foto: dpa)

Sie wurde als Strahlemädchen bekannt und vergoss nach einer Verletzung viele Tränen. Jetzt geht Gössner mit starker Form in die Biathlon-Saison.

Von Volker Kreisl, München

Da gibt es jetzt gar nichts zu beschreiben. Keine Gefühlsausbrüche, keinen apathischen Blick. Kein wildes Stampfen in der Loipe, keinen zitternden Gewehrlauf. Keine tröstenden Trainer-Kommentare, auch keine "Weiter so!"-Posts im Internet von den Teamgefährtinnen, den Fans oder vom Alpin-Profi und Freund Felix Neureuther. Nur eine graue Meldung: Biathletin Miriam Gössner startet in der kommenden Woche im Weltcup.

Das war fast nie so. Die Geschichten der Miriam Gössner, diesen Eindruck hatte der Zuschauer, endeten entweder mit Tränen oder mit Freudestrahlen. Dazwischen schien es nichts zu geben. Mal rettete sie furios das WM-Silber der Langlauf-Staffel (2009), mal bremste sie mangels Treffern die Biathlon-WM-Staffel aus (2013). Schnell galt sie als die Nachfolgerin der Rekord-Weltmeisterin Madalena Neuner, die ja auch anfangs schnell lief und schlecht schoss. Kein Weltcupsieger-Gesicht leuchtete so hell wie das von Miriam Gössner bei ihrem Durchbruch in Pokljuka 2012, aber weil der Durchbruch gleich wieder vorbei war, weil eine Leidenszeit begann und Gössner sich auch da nicht zurückzog, dominierte wieder das Tränen-Bild. Manchmal kann die graue Normalität ein Zeichen dafür sein, dass es endlich vorwärts geht, und die Biathletin Miriam Gössner ist nun wohl so ein Fall.

Sie ist seit Monaten schmerz- und verletzungsfrei, hat ihre Form somit systematisch und ohne Unterbrechungen über den Sommer aufgebaut. Der Skiverband listete sie in dieser Saison in der Lehrgangsgruppe 1B, das konnte man als Abstieg deuten, doch nun steht sie erst einmal wieder im A-Team. Denn im letzten Testwettkampf in Sjusjoen/Norwegen war sie die zweitbeste Deutsche. Die Kommentare bleiben aber zurückhaltend. Bundestrainer Gerald Hönig sagt: "Sie hat gut und kontinuierlich gearbeitet." Gössner sagt, Ziel sei es, "wieder ganz nach vorne zu kommen".

Ganz vorne war sie schon als 19-Jährige, als sie 2010 mit der Langlaufstaffel Olympia-Silber gewann, und ganz hinten dann im vergangenen Winter, als sie im Weltcup teilweise am Ende des Feldes lief. Es waren immer noch die Nachwirkungen eines Fahrradunfalls eineinhalb Jahre zuvor. Gössner hatte sich vier Lendenwirbel gebrochen, aber weil sie endlich auch als Biathletin zu den Olympischen Spielen wollte, trainierte sie trotz Schmerzen für Sotschi 2014. Die Schmerzen waren umsonst, sie musste aufgeben, pausierte sieben Monate lang, aber richtig funktioniert hat der Formaufbau erst in diesem Sommer.

Gössners Trainingsarbeit wirkt offenbar

Erholt hat sich in dieser Zeit offensichtlich nicht nur der Körper, sondern auch der Geist. Hönig stellt fest, dass Gössner reifer geworden ist: "Sie hat die Zeit, die sie gebraucht hat, dazu genutzt, zu sich zu finden." Wenn man ganz oben stehe und dann von vorne beginnen müsse, "dann spielt sich auch parallel eine menschliche Entwicklung ab, da lernt man Demut", sagt Hönig. In diesem Sommer war Gössner in den Bergen, einmal zwar auch mit einem Kamerateam des Bayerischen Rundfunks, aber es war kein Sport-, sondern ein Naturauftritt. Gössner fühlte sich geerdet, und die Klettersteige in den Felswänden der italienischen Brenta hatten für sie eine spezielle Wirkung: "Da bist du mit dem Kopf nirgendwo anders."

Sportlich ist die Wirkung zunächst mal folgende: Was das Rennen betrifft, hat Gössner wieder Anschluss an die Weltspitze; Hönig berichtet, sie sei beim letzten Test im Bereich der Laufzeiten der Französin Marie Dorin gewesen, die wiederum zu den Schnellsten der Welt zählt. Was das Treffen betrifft, so sagt Hönig, "ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht". Gössner schießt im Training ordentlich, im Wettkampf unterlaufen ihr aber noch Fehler, weshalb Geduld angesagt sei. Hönig glaubt, es werde sich lohnen, denn Gössner gehe an diese Disziplin ganz anders heran: "Sie kämpft jetzt viel mehr um die Entwicklung im Schießen."

Insgesamt sieht es so aus, als könne Gössner den Spieß nun umdrehen, also die Abläufe in ihrer Karriere in die richtige Reihenfolge bringen. Statt sich wegen großer Rückstände nach Schießfehlern im Rennen sofort zu verausgaben, könnte sie nun umgekehrt ihre starken Laufzeiten nutzen, um gelassen und sicher zu schießen. Und statt als vermeintliche Top-Biathletin andauernd Niederlagen verarbeiten zu müssen, könnte sie jetzt erst mal eine normale Biathletin sein, um dann später mal top zu werden.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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