Wimbledon:Mona Barthel kehrt ins Leben zurück

Lesezeit: 4 min

Mona Barthel: Trotz langer Krankheit stark genug für Wimbledon (Foto: Getty Images)
  • Nachdem sie wegen einer ominösen Krankheit monatelang nicht spielen konnte, erreicht Mona Barthel nun in Wimbledon die zweite Runde.
  • Für sie geht es bei dem Turnier um mehr als nur um Tennis.
  • Alle Ansetzungen und Ergebnisse aus Wimbledon finden Sie hier.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Mona Barthel, 25, hat am Montagabend die zweite Runde in Wimbledon erreicht, durch einen 6:2, 7:6-Sieg gegen Danka Kovinic aus Montenegro. Sie hatte auf Court 18 gut gespielt, viel variiert, Stopps eingesetzt, danach verließ sie mit einem sanften Lächeln den Rasen, während hundert Zuschauer ein letztes Mal applaudierten. Business as usual für jemanden, für den zuletzt nichts, absolut nichts alltäglich war.

Vor fünf Monaten begann ein Drama - hier ist das Wort wirklich angebracht - im Leben der Mona Barthel aus Neumünster in Schleswig-Holstein. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Der Körper war bleischwer, als hätte eine ominöse Kraft den Stecker gezogen. Sie konnte nicht einkaufen gehen. Sie konnte nicht Fernsehen, nicht telefonieren, nicht E-Mails schreiben, nicht simsen. Mona Barthel lag zwei Monate im Delirium. Unter der Bettdecke. Sie schlief viel. Nach diesen zwei Monaten wusste sie nicht, was sie diese zwei Monate gemacht hatte. "Ich war bei acht, neun Ärzten, ich war im Tropeninstitut, ich habe fünf MRTs gemacht, immer wieder Blutuntersuchungen und tausend Tests", sagt Barthel, während sie entspannt auf der Terrasse des Spielerrestaurants in Wimbledon sitzt. Im Hintergrund gibt Novak Djokovic gerade Fernsehinterviews.

Aber niemand, kein Doktor, keine Maschine, hat bis heute herausgefunden, was Mona Barthel gelähmt, gepeinigt, geplagt hat. Und jetzt hat sie bei der 130. Championship wieder ihren Beruf ausgeübt. Sie nennt das, was jetzt noch alles kommt, "meine zweite Chance". Sie geht diese richtig gut an.

Barthel ist nicht so bekannt, hat aber schon zwei Millionen Dollar erkämpft

Mona Barthel zählt seit Jahren zu den besten deutschen Tennisspielerinnen. Sie ist nicht so bekannt wie die Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber, viele haben schon von Sabine Lisicki, Andrea Petkovic und Julia Görges gehört. Barthel zählt quasi zum engsten Verfolgerkreis dieser etablierten Kolleginnen, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Gelegentlich ist sie sogar besser. Denn Barthel hat zum Beispiel mit drei Turniersiegen auf der WTA Tour im Einzel einen mehr erzielt als Görges. Sie war 2013 die Nummer 23 der Welt, sie kam im Fed Cup zum Einsatz. In ihrer Heimat Neumünster bekam sie eine Auszeichnung vom Oberbürgermeister überreicht. Barthel hat mehr als zwei Millionen Dollar an Preisgeld erkämpft, das ist respektabel. Sie ist eine ruhige, bescheiden auftretende Person, ohne Allüren, immer freundlich, ein bisschen in sich gekehrt.

Als sie Ende Januar abtauchte und einfach weg war, fiel das nicht groß auf. Lisicki hat gerade eine wahnsinnige Bedeutungsschwere in die Tatsache gelegt, dass sie es nach Liebesproblemen und sportlicher Krise geschafft habe, das Telefon eine Zeit lang nicht anzumachen. Barthel wäre froh gewesen, sie hätte diese Wahl überhaupt selbst treffen können. Sie sagt das ganz ruhig. Ohne jede Effekthascherei.

Im Rückblick weiß Barthel, dass ihr Leid schon im Dezember 2015 begann, sie fing an, sich unwohl zu fühlen. Sie dachte an nichts Schlimmes, flog nach Neuseeland, verlor, flog nach Australien, gewann zwei Runden in Hobart, hatte dann Rückenschmerzen, verlor dann gleich bei den Australian Open gegen die Außenseiterin Vania King (USA), sie hatte auch noch einen Magen-Darm-Infekt, und im Doppel beim ersten Grand Slam des Jahres, an der Seite von Laura Siegemund, spürte sie: "Da läuft was grundsätzlich schief." Sie kehrte nach Deutschland zurück, und ihr Körper versagte. Barthel redet da sehr offen und analytisch darüber. "Es ist ja gut ausgegangen." Diese Gewissheit gibt ihr Souveränität über etwas, das sie damals nicht kontrollieren konnte. Ihre Muskulatur, ihre Nerven waren gezeichnet. Sie nahm ab. Wurde schlaff.

Natürlich, das gibt sie zu, kamen Ängste auf, beide Eltern hatten Krebs und diesen zum Glück überwunden. Vater Wolfgang ist Arzt, er begleitete sie eng mit Mutter Hannelore. "Ich bin ihnen so dankbar, da weiß man seine Eltern so zu schätzen." Mona Barthel hatte kein Fieber, man sah nichts, "es war immerhin klar, es musste ein Virus sein", sagt sie. Ein paar Symptome wurden gefunden, aber "kein Krankheitsbild passte wirklich zu irgendeiner Krankheit, die es gibt". Wieder ein Lächeln. Sie hat eine feine Ironie manchmal. Sogar eine OP war einmal angesetzt, eine Fehldiagnose. Sie wurde im letzten Moment gestoppt. Vieles hat sie gar nicht gegoogelt, aus Furcht, auf Schreckliches zu stoßen.

Sie ist zwei Monate lang ein Pflegefall, sagt sie selbst - während die Tennistour in Indian Wells und Miami und sonstwo spielt, business as unsual. Erst danach, ohne jedes Anzeichen, kehrt Energie zurück. "Ich habe wirklich Babyschritte gemacht", schildert sie. Erst in der Wohnung, dann in der Straße, 50 Meter, 200 Meter, auf und ab. Dann zehn Minuten Tennis, ein paar Fitnessübungen, immer mehr. "Für mich ging es kein bisschen um Tennis. Für mich ging es darum, ob ich wieder selbständig leben kann. Es konnte ja keiner sagen, ob das so immer bleibt oder wieder verschwindet." Tennisprofis reisen extrem viel, kommen in allerlei Länder. Manchmal, ganz selten, passiert etwas Schlimmes. Der Franzose Gaël Monfils lag jüngst auch mit einem Virus lange flach, aber es war wohl nicht ganz so extrem wie bei Barthel. In Wimbledon hat er es wieder versucht und in der ersten Runden gegen Landsmann Jeremy Chardy verloren.

Christopher Kas soll sie weiterbringen

Barthel ist glücklich, sie trifft nun auf ihre gute Bekannte Kiki Bertens aus den Niederlanden, die jüngst in Paris im Halbfinale war bei den French Open. "Ich habe sie schon oft geschlagen, ein bisschen bin ich ihre Angstgegnerin, hoffe ich", sagt sie lächelnd. Zuversicht gibt ihr auch, dass sie einen neuen Trainer hat, Christopher Kas betreut sie seit zehn Tagen. Der Oberbayer hatte fast zwei Jahre Lisicki gecoacht und viel bewegt bei der Wimbledon-Finalistin von 2013, ehe es auseinanderging. Barthels vorheriger Trainer Sönke Capell hatte in der Zeit, als unklar war, ob Barthel je zurückkommt, einen guten Job in seiner Heimat Dänemark angenommen, sie hat absolut Verständnis dafür. "Es ist bewundernswert, wie sie mit allem umgeht und für sich positive Lehren zieht", sagt Kas. Er traut Barthel viel zu, sie sei eine aggressive, offensiv ausgerichtete Spielerin. Aber: "Wir nehmen jetzt jedes Match als Durchgangsstation und schauen, wie ihr Körper reagiert."

Barthel weiß, dass Kas mit seiner mitreißenden optimistischen Art jetzt ein wichtiger Faktor sein könnte, "wir kennen uns schon länger über Sabine, und als er frei wurde, war er gleich mein erster Gedanke". Ihr zweiter ist jetzt: "Ich möchte wieder viel spielen, ich freue mich, zurück zu sein auf der Tour." Bei 70 Prozent sehe sie sich jetzt. Wann sie 100 Prozent Leistungsvermögen erreiche? "Ich glaube daran: noch in diesem Jahr." Mona Barthel hat einen Mount Everest bezwungen, der getarnt als Krankheit in ihr steckte. Wovor soll sie noch Angst haben?

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wimbledon
:Vom Wüstenbussard, der Queen und einem schwarzen BH

Wimbledon ist wie die Oscarverleihung, gepaart mit den Grammy Awards und dem Nobelpreis - nur etwas spektakulärer. Ein Wegweiser durch das speziellste Tennisturnier der Welt.

Von Gerald Kleffmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: