Extremschwimmer Wiersig:"Dann schreit alles in dir 'Hör auf!'"

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André Wiersig kurz vor dem Start zu seiner letzten Kanaldurchquerung, der Straße von Gibraltar. (Foto: Dennis Daletzki)

André Wiersig durchquerte die Ocean's Seven, die gefährlichsten Meerengen der Welt. Er berichtet über die Magie als Gast im Ozean, Stiche von Quallen und den Kampf im eiskalten Wasser.

Interview von Lynn Sigel

Der Paderborner André Wiersig durchschwamm seit 2014 die sieben gefährlichsten Ozeankanäle der Welt, darunter der Ärmelkanal, der Kaiw'i Channel bei Hawaii, der North Channel zwischen Schottland und Irland und die Cook Strait bei Neuseeland. Im Juni beendete er seine Reise mit einer Durchkreuzung der Straße von Gibraltar und ist nun Bezwinger der sogenannten "Ocean's Seven" - als 16. Mensch weltweit. Über seine Abenteuer hat er das Buch "Nachts allein im Ozean" geschrieben. Im Gespräch erzählt der 47-Jährige spürbar bewegt von seinen Erlebnissen, die ihn an seine Grenzen brachten - und darüber hinaus.

SZ: Herr Wiersig, welche Tiere begegnen einem auf einer Meerengen-Durchquerung?

André Wiersig: Wenn man etwas sieht, ist es meistens groß. Ich habe viele Quallen gesehen und vor allem gespürt. Sie haben mich teilweise übel zerstochen. Ansonsten: Delfine, Haie und einmal sogar einen Wal. Er war etwa einen Meter unter mir, das war sehr speziell. Keiner weiß, wie so ein Wal auf dem offenen Meer reagiert, mitten in der Nacht. Ich bin aber immer gut behandelt worden draußen, von allen Tieren - Haie eingeschlossen. Die meisten Haie schwimmen unter einem durch und beobachten einen.

Welche Erkenntnisse gewinnt man allein im Meer?

In einer meiner dunklen Stunden ist ein Thunfisch vor mir aufgetaucht und hat mich genau angeguckt. Wenn du Fischen begegnest, hast du das Gefühl, als ob du dazugehörst. Sie sind Fremden gegenüber so offen. Das ist uns Menschen abhandengekommen. Wie reagieren wir denn auf Fremdheit? Erstmal mit Ablehnung und Vorurteilen, anstatt die Dinge neutral auf uns zukommen zu lassen. Das habe ich mit den Bewohnern im Meer erlebt. Wenn die nur im Ansatz wüssten, dass ich zu der Spezies gehöre, die dem Ozean so viel Schaden zufügt. Ich war Gast und durfte für ein paar Stunden teil werden. Das habe ich immer als wunderschön empfunden.

Welcher von den sieben Kanälen ist denn besonders schön?

Jeder hat seine Eigenheiten. Mal ist das Wasser besonders kalt, wie im North Channel zwischen Schottland und Nordirland. Dort schwamm ich bei 12 Grad und nur in Badehose. Das ist für uns Menschen eine Todeszone, Hände und Füße sind komplett taub. Und mal sind die Wellen besonders hoch oder es gibt Haie, wie etwa auf Hawaii. Es ist wichtig, Ruhe und Selbstsicherheit zu bewahren. Denn wenn man sich in diesen riesigen Organismus Meer begibt, ist man ganz verletzlich als Mensch. Man verschwindet angesichts so eines Ozeans - und das ist sehr schön.

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Brauchen Sie auch deswegen ein Begleitboot, das Sie mit einigem Abstand verfolgt?

Das Boot ist wichtig für die Navigation, weil man als Schwimmer keine Orientierung hat. Ich darf es aber nicht berühren oder Kontakt aufnehmen, sonst wäre der Versuch ungültig. Aber ich brauche da auch keine Anfeuerung. Ich habe nie gefragt wie weit es noch ist. Irgendwann verschwimmt alles und ich schwimme eben, so lange ich brauche. Ich habe jedes Mal eine große Portion Demut und Dankbarkeit mitgenommen.

Wie trainiert man diese Extrembelastung? Bei der Durchquerung des Kaiw'i Channels in Hawaii sind Sie 18 Stunden geschwommen.

Ich bin regelmäßig im Schwimmbecken, dazu kommen Einheiten im Meer, sei es im Trainingslager oder im Urlaub. Wichtig sind auch Tage, an denen das Meer wild ist. Dazu kommt das Kältetraining in meiner Eistonne in der Garage. Da muss man raus aus der Komfortzone, aber ich glaube, es würde den meisten von uns guttun, selbstbestimmt rauszukommen aus diesem Lotterleben. Und kalt duschen gehört halt auch dazu.

Gab es mal eine gefährliche Situation, wo sie abbrechen mussten?

Nein, ich habe alle sieben im ersten Versuch geschafft. Aber im Nachhinein weiß ich gar nicht, ob das wirklich immer gut war. Ich glaube, gerade heute erfordert es mehr Mut, etwas abzubrechen. Ich habe Aufgeben immer als bewusste Option wahrgenommen und stundenlang darüber nachgedacht. Wenn du von Quallen zerstochen wirst und du wahnsinnige Schmerzen hast, dann schreit natürlich alles in einem "Hör auf!". Und wenn du mitbekommst, dass die Leute an Bord sich übergeben müssen, dann willst du sie erlösen.

Trotzdem hatten Sie jedes Mal eine Crew, die mit Ihnen Wind und Wetter durchlebte. Wie läuft das, auch bei Sauwetter loszuschwimmen?

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Das Team setzte sich jedes Mal neu zusammen, nur mein Schwager Jürgen und später mein Fotograf Dennis waren immer dabei. In Abstimmung mit den jeweiligen Kapitänen entschieden wir, wann es losgeht. Das sind häufig Fischer, die schon seit Generationen dort leben und sich mit den Bedingungen auskennen. Wir sind wirklich bei den schwierigsten Bedingungen gestartet und haben es dann auch durchgezogen, so zum Beispiel im North Channel, in Japan und in Neuseeland. Da sagten die Kapitäne, bei solchen Bedingungen waren sie noch nie draußen.

Ist Schwimmen nicht unvernünftig, wenn sogar Schiffskapitäne zweifeln?

Wir wollten es eben unbedingt durchziehen. Steven Munatones, der Erfinder der Oceans Seven, hat das "German Mindset" genannt. Dass man sich vernünftig vorbereitet, antritt und den Job auch vernünftig erledigt. Natürlich hätten die Bedingungen besser sein können, aber so ein Ozean macht einfach was er will. Ich bin ja freiwillig dort, da gibt es nichts zu meckern.

Sie sind auch Botschafter der deutschen Meeresstiftung. Langweilt Sie so ein Bürojob nicht?

Nein, ich kann aus einer Perspektive berichten, die so direkt ist wie keine andere. Ich werde praktisch zu einem Teil des Ozeans. Ich schwimme mit dem Ozean. Und ich habe Erfahrungen gesammelt mit Plastikmüll, mit der Überfischung, dem hohen Quallenbestand, weil deren Fressfeinde ausgestorben sind. Ich sehe, wenn die Sedimente im Ärmelkanal vom Schiffsverkehr aufgewirbelt werden und höre die Schiffe. Aber es ist noch viel Schönes da draußen, was wir erhalten müssen. Dafür setze ich mich ein.

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