Wahl des Fifa-Präsidenten:Auch Infantino wird die Fifa nicht umkrempeln

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Gianni Infantino: Reformen bei der Fifa sind nicht in Sicht (Foto: dpa)
  • Am 26. Februar wird der neue Fifa-Präsident gewählt, Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino werden die größten Chancen eingeräumt.
  • Es weist nichts darauf hin, dass er mit der Blatter-Ära aufräumt.
  • Seit Mitte der Nullerjahre fällt die Uefa Platinis und Infantinos durch recht laxen Umgang mit der Spielbetrugsproblematik auf, von Piräus bis Petersburg.

Von Thomas Kistner

Schwer zu sagen, wo der Fußball seine Wurzeln hat: Im China der Huang-Dynastie? Im florentinischen Calcio? In England, der Wiege des modernen Ballsports?

Leichter zu finden sind die Wurzeln seines Führungspersonals. Die liegen im Schweizer Oberwallis; über die Kantonstraße 9 braucht es keine Viertelstunde von Visp nach Brig, vom Geburtsort des scheidenden Fifa-Präsidenten Sepp Blatter zu dem des potenziellen Nachfolgers Gianni Infantino. Wenn beim Wahlkongress des Weltverbandes am 26. Februar das Zepter von einem Dorf ins nächste wechselt, werden ein paar Kilometer am Fuße der Weissmieskette zur Brutstätte der Galionsfiguren des Weltfußballs.

Von Blatter heißt es, Infantinos Herkunft aus dem Nachbarort habe ihn stets irritiert; Infantino hat es wohl eher motiviert. Gemocht haben sich die zwei jedenfalls nie: Blatter, der suspendierte Fifa- Patron, und Infantino, Generalsekretär der Europäischen Fußball-Union Uefa. Dabei verbindet die Walliser Arbeiterkinder viel mehr als die geografische Herkunft.

Das zeigt auch Infantinos Wahlkampf. Der ehrgeizige Jurist, 45, tritt jovial wie Blatter auf und schätzt ebenso die große Bühne. Als Hauptamtlicher strebt er dieselbe Karriere an wie einst der Fifa-General Blatter. Infantino lockt seine Klientel mit allem, was man aus Blatters Wahlkämpfen kennt: mit Finanzspritzen, Entwicklungshilfe und mehr WM-Startplätzen. Ob auf Grenada, Bermuda oder in Asuncion, ob im ruandischen Kigali oder in Juba, Hauptstadt des Südsudans: Kein Verband ist so klein, als dass er keine Landebahn für den Businessjet mit der Kennung ZS-TEJ bereithielte.

Die Uefa tut alles, um ihren Mann auf den Fifa-Thron zu hieven

Dem weißen Flieger entsteigt dann Gianni Infantino mit präsidialem Lächeln, er herzt und umarmt die nationale Funktionärselite, lässt sich zwischen Rollfeld und Verbandsbüro geduldig ablichten und hat beim Weiterflug einen Fußballstaat mehr im Portfolio. 500 000 Euro bewilligt die Uefa ihrem General allein als Reisebudget; da käme es am Ende auf hunderttausend Dollar mehr kaum an, müsste die Flugfrequenz zwischen Teheran, Miami und Kuala Lumpur erhöht werden. Die Uefa tut alles, um ihren Mann auf den Fifa-Thron zu hieven. Die stille Strategie dahinter obliegt der britischen Agentur Vero, deren nicht ganz billige Drahtzieher schon Katar zur WM 2022 verhalfen.

Pose auf historischem Grund: Gianni Infantino Anfang Februar im Wembley Stadion. (Foto: Matt Dunham/AP)

Dabei ist das Kandidatenfeld ziemlich überschaubar. Aus dem Quartett Jérôme Champagne (Frankreich), Tokyo Sexwale (Südafrika), Prinz Ali von Jordanien und Scheich Salman al-Khalifa aus Bahrain stellt nur der Letztere eine Bedrohung dar. Salman regiert den 47 Stimmen starken Asien-Verband AFC, zudem hat er einen dieser Kooperationsverträge besiegelt, die in Vorwahlzeiten traditionell sehr begehrt sind - mit dem Afrika-Verband Caf. Der verfügt über 54 Stimmen.

Insgesamt 209 Mitgliedsverbände wählen den neuen Fifa-Chef, der Sieger braucht 105 Voten. Salman wird stark starten, die Frage ist, wie viel er zulegen kann, wenn Ali und Champagne die Segel streichen und ihr auf knapp 30 Länder geschätztes Gefolge frei wird (mit Sexwales Ausstieg wird in Kürze gerechnet). Zieht Infantino dann an Salman vorbei?

Recht günstig liest sich die Hochrechnung: Der Uefa-General hat fast alle 53 Europäer plus das Gros der Amerika-Verbände Concacaf (35) und Conmebol (10) hinter sich; Lateinamerikas Funktionäre, traditionell empfänglich für Argumente aller Art, spüren diesmal den Druck der US- Ermittlungen in ihrer Hemisphäre. Dieses Gesamtpaket dürfte Infantino knapp 90 Stimmen sichern. Hinzu wird manches Votum aus Salmans Asien/Afrika-Allianz kommen. Abtrünnige gibt es ja: Vom Südsudan, der Infantino offen unterstützt, über Jordanien und den Iran bis zu fernöstlichen Größen wie China, Japan und Südkorea, die sich schwer tun mit Leitfiguren aus der Golfregion. Und dann ist da noch Ozeaniens Verband OFC, dessen zehn Mitglieder meist anglophon sind und amerikanisch orientiert. So sieht Infantinos Front gegen den muslimischen Widerpart aus.

Salman zeigt schon Nerven. Und neuerdings ein bizarres Demokratieverständnis: Er verlangt nun, die Verbände sollen sich auf einen Kandidaten einigen - vor der Kür. Das ist entlarvend. Dazu passt die letzte Patrone, die Infantinos Leute für die Schlussphase aufbewahren: Salman und die Menschenrechte. Als Mitglied der Königsfamilie soll er an der Niederschlagung des Arabischen Frühlings 2011 in Bahrain mitgewirkt haben. Salmans Londoner Anwälte haben viel zu tun, derlei Vorwürfen in europäischen Medien entgegenzutreten. Nun klagt die erste Menschenrechtsorganisation - gegen die Fifa, die angeblich gegen OECD-Richtlinien verstoße, indem sie Salman trotz ungeklärter Vorwürfe um den internationalen Job kandidieren lässt. Dass in Salmans Umfeld ein berüchtigter Sportagent und langjähriger Blatter-Handlanger wirkt - auch das steht nicht für den Bruch mit der trüben Fifa-Vergangenheit.

Nur, wie sieht das bei Infantino aus? Ist er der Erneuerer, der große Reformator, der mit der Blatter-Ära aufräumt?

Darauf weist nichts hin. Infantino umwirbt die Fußballzwerge mit Geld, und dass er die WM auf 40 Teams aufblähen will, erregt sogar den Protest derjenigen, die ihn massiv stützen: Europas Klubvereinigung ECA unter Infantino-Fürsprecher Karl-Heinz Rummenigge ist strikt dagegen. Andererseits darf, weil im Weltfußball verlässlich nur die Politik des Geldes zählt, der Zwist als Scheingefecht abgetan werden. Auch Blatter haben seine Wahlversprechen selten geschert. Infantino könnte seine eh nicht halten: Am Wahltag will die Fifa ein Reformpaket verabschieden, das das Präsidentenamt auf Protokollarisches reduziert - und den Generalsekretär zum CEO aufwertet. Seriös kann Infantino eine WM-Aufstockung also nicht versprechen. Für den Fall seiner Wahl übrigens favorisiert er als General einen Afrikaner - aber auch darüber entscheiden andere mit.

Infantino ist eine Verlegenheitslösung

All das fällt in der aufgewühlten Stimmung um die von Strafermittlungen erschütterte Fifa kaum auf. Auch nicht, dass Infantino eine Verlegenheitslösung ist. Die Uefa hatte ja bis Anfang Oktober einen Kandidaten, der unaufhaltsam den Thron ansteuerte - Michel Platini. Dann flog eine Millionenzahlung von Blatter an den Franzosen auf, das Duo wurde acht Jahre gesperrt. Um das Fifa-Terrain nicht kampflos zu räumen, schickte die Uefa den Generalsekretär vor; als Notnagel, der Europas Partikularinteressen zusammenhält. Der Deutsche Fußball-Bund zum Beispiel unterstützt brav Infantino. Wohl auch, um zu verhindern, dass noch an der EM-Vergabe 2024 gerüttelt wird; das Turnier ist dem DFB unter der Hand schon zugesagt.

Zwar ist in Champagne noch ein Europäer im Rennen. Aber der Franzose war zehn Jahre lang Blatters Berater, vielen gilt er als unwählbar. Selbst Frankreich ignoriert den Landsmann und puscht den Schweizer Infantino. Womöglich, weil der neue Fifa-Chef auch ins Internationale Olympische Komitee (IOC) einzieht? Dort wird nächstes Jahr die Olympiastadt 2024 gekürt. Und Paris braucht jede Stimme.

Infantino ist der Mann des Systems. Gelernt hat er bei Platini, väterlicher Freund und Pate eines seiner vier Kinder - der wiederum bei seinem väterlichen Freund Blatter lernte: Probleme werden unter Kameraden gelöst. Seit Mitte der Nullerjahre fällt die Uefa Platinis und Infantinos durch recht laxen Umgang mit der Spielbetrugsproblematik auf, von Piräus bis Petersburg.

Besonders scharf aber dürfte ein anderes Torpedo im Uefa-Keller sein: die Korruptionsvorwürfe zur Vergabe des EM-Turniers 2012 an Ukraine/Polen, denen die Uefa nicht mal mit Hilfe von Transparency International nachgehen wollte. Die Causa interessiert die Strafbehörden, die nun zu den WM-Vergaben der Fifa an Russland (2018) und Katar (2022) ermitteln - zumal all diese Verfahren eine große Schnittmenge derselben Wahlmänner aufweisen.

Salman oder Infantino? Für die Fifa ist kein Neuanfang in Sicht. Aber im Oberwallis vielleicht spannende Zeiten.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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