Volleyball:Leuchtturm in der Nische

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Der Rekordmeister aus der Landeshauptstadt besinnt sich auf seine Fähigkeiten: Schwerins Volleyballerinnen wehren Stuttgarts Matchball ab und können nun abermals Meister werden.

Von Thomas Hahn, Schwerin

Kim Renkema kennt diese Momente, in denen kein Aufbäumen mehr hilft. Bevor sie vor zwei Jahren Sportdirektorin beim MTV Stuttgart wurde, hat sie selbst lange genug gespielt. Sie war Kapitänin des Volleyball-Bundesligisten, hat mit ihm Pokalsiege gefeiert, aber eben auch manchmal diese Tage erlebt, an denen es keine Chance gibt. Kim Renkema hat sich deshalb nicht lange geärgert über das 0:3 (15, 18, 16) am Donnerstagabend beim SSC Schwerin im vierten Finale des Meisterschafts-Playoffs. Schwerin trat auf wie eine Naturgewalt, gnadenlos, unaufhaltsam. Die Stuttgarterinnen hielten dem Druck nicht stand. Immer wieder rutschte ihnen der Ball über die Hände, zu selten kamen ihre Angriffe durch, und in den wenigen Augenblicken, in denen die anderen verwundbar erschienen, schlugen sie nicht zu. "Abhaken. Vergessen", empfahl Kim Renkema. "Wir haben keine Zeit, das Spiel zu bewerten."

Am Samstag um halb sieben folgt in Stuttgart die Entscheidung in der Best-of-Five-Serie. Die Stuttgarterinnen waren in den vergangenen vier Jahren immer im Finale. Immer waren sie am Ende Zweiter, es wäre also mal an der Zeit, dass sie den letzten Schritt zum Titel tun. Aber das Spiel ist offen und die Herausforderung groß. Schwerin ist schließlich nicht irgendwer im Frauen-Volleyball.

An keinem anderen Tag der Saison haben die Stuttgarterinnen die Vorzüge des Schweriner Volleyball-Kosmos' so heftig zu spüren bekommen wie ausgerechnet in diesem Spiel, in dem sie die Meisterschaft schon hätten beenden können. Zur Aufführung kam die Kraft des Rekordmeisters, die Bedingungslosigkeit der Erfolgsgewohnten und das Selbstverständnis einer Landeshauptstadt, die ihre Nische auf dem verzweigten deutschen Sportmarkt gefunden hat. Schwerin strahlte und Zuspielerin Denise Hanke sagte trocken: "Das ist das, was wir spielen können."

Wuchtige Schläge: Schwerins Diagonalangreiferin Kimberly Drewniok (links) schmettert. (Foto: Herbert Rudel/imago)

Mecklenburg-Vorpommern und der Spitzensport - das ist eine große deutsche Geschichte, die viel erzählt von den dunklen Kapiteln des Olympismus und zerrütteter Identifikation. Erst kürzlich hat eine Studie der Helios Kliniken Schwerin und der Universität Greifswald schmerzhafte Einblicke in die Nachwirkungen des DDR-Staatsdopings gewährt. Frieden wird es in dieser Angelegenheit wohl nie geben. Regionale Größen von einst kann man eben nicht vorbehaltlos verehren, weil ihre Leistungen Produkte des sozialistischen Steroid-Regimes waren. Gleichzeitlich hat westliche Doppelmoral hier viele Menschen verbittert. Auch Schwerins Volleyball ist davon nicht frei, denn natürlich verteilten die Staatsdoper ihre Pillen auch im Spielsport. Unter dem Namen Traktor stellte Schwerin mehrere DDR-Nationalspielerinnen, die 1980 Olympia-Zweite wurden.

Aber im Grunde steht der Schweriner SC heute für etwas ganz anderes. Die Stadt lag schon zu DDR-Zeiten inmitten herrlicher Wälder und Seen, jetzt ist sie noch schöner mit ihren renovierten Häusern und ihrem strahlenden Schloss. Der SSC ist der Ausdruck einer Mecklenburger Gegenwart, die mit Verbitterung wenig zu tun hat. Mit Optimismus und guter Laune setzen die Volleyballerinnen Zeichen gegen die unerfreulichen Strömungen im entfernten Nordosten, gegen schwelenden Rechtsradikalismus, AfD-Oberflächlichkeit und Wutbürgertum. Sie müssen gar nicht viel dazu sagen. Sie spielen einfach unter dem Schriftzug jenes Möbelhauses, das sich die Namensrechte des Klubs gesichert hat, vor begeisterten Leuten, in freundlichem Gelb und mit unwiderstehlicher Freude am Erfolg.

Manchmal meckert die Konkurrenz, weil Schwerin doch ein bisschen sehr viel Volleyball-Macht auf sich vereint. Es gab schon Kritik, weil Cheftrainer Felix Koslowski auch Bundestrainer ist und er deshalb leichter deutsche Nationalspielerinnen anwerben könne. Michael Evers, Vater der ersten Schweriner Nachwende-Erfolge in den Neunzigern, ist seit Jahren einer der einflussreichsten Volleyball-Funktionäre: Präsident der Bundesliga, Leiter der Olympiastützpunkte in Mecklenburg-Vorpommern, Mitglied der SSC-Teamleitung. Andererseits: Braucht nicht jede Liga ihren Leuchtturm? Erst in dieser Saison haben die Schwerinerinnen hinreißende Siege in der Champions League über den polnischen und italienischen Meister geschafft. Und Denise Hanke sagt: "Volleyball ist in der Stadt allgemein hoch angesehen." Die Mannschaft lockt die höchste Landespolitik. Am Donnerstag war SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in der Halle, nahm die Siegerehrung für die Spielerinnen des Tages vor und schmiegte sich zärtlich an das SSC-Maskottchen, einen grinsenden Löwen.

Dafür ist es in Schwerin leichter als anderswo, die Erwartungen zu enttäuschen. "Hier zählen immer nur Titel", sagt Felix Koslowski. In den vergangenen beiden Jahren hat er jeweils den Meistertitel herbeigecoacht, diese Saison haben seine Frauen schon Pokal und Supercup geholt. Aber genug ist es hier irgendwie nie. Koslowski kennt die Verantwortung, wahrscheinlich hat er den Rückstand im Final-Playoff vor dem Donnerstagstermin auch deshalb ein bisschen überhöht. "Uns lag das Messer wirklich an der Kehle", rief er nach der Partie mit heiserer Stimme in die Feierstimmung hinein. Und jetzt? "Ich glaube immer, dass wir gewinnen", sagt Kim Renkema für Stuttgart. Aber Schwerin weiß, wie man Meister wird.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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