Volleyball:Küsschen links, Küsschen rechts

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Doch wieder Meister: Benjamin Patch (an der Schale), Sergej Grankin (rechts daneben) und ihre Berliner Kollegen. (Foto: O. Behrendt/Contrast/Imago)

Berlins Volleyballer besiegen Friedrichshafen im letzten Spiel einer dramatischen Finalserie - auch weil ihr russischer Zuspieler Sergej Grankin gewohnt virtuos die Fäden zieht. Über einen, der sichtlich froh über seinen Systemwechsel ist.

Von Sebastian Winter, Berlin/München

Es war schon ein ulkiges Bild, das sich den 8553 Zuschauern am Samstagabend bei der Siegerehrung in der ausverkauften Berliner Max-Schmeling-Halle bot. Die Spieler der BR Volleys hatten gerade den VfB Friedrichshafen niedergerungen und bekamen nach ihrem 3:1-Erfolg im entscheidenden fünften Finalspiel ihre Goldmedaillen um den Hals gehängt, aber nicht nur das. Die Funktionäre um DVV-Präsident René Hecht hatten in weiser Voraussicht auch noch orange Tulpen dabei, die ganz wunderbar zu den farbgleichen Trikots der Berliner passten. Nur hatten sie leider vergessen, die Blümchen zu gießen (oder eher günstige B-Ware im Supermarkt gekauft) - jedenfalls ließ jedes einzelne bei der Übergabe an die Spieler das Köpfchen hängen. Was wieder einmal das Talent der Verantwortlichen für Slapstick-Momente auch auf großer Bühne untermauerte. Die Spieler jedenfalls schüttelten im Wechsel die Köpfe und lachten sich schlapp über die traurigen Tulpen.

Die Berliner feierten ihren ersten und einzigen Titel in dieser Saison dann aber doch noch angemessen, immerhin hatten sie in der Best-of-five-Serie bereits 0:2 zurückgelegen gegen den Pokalsieger vom Bodensee. Noch nie zuvor war es einer Mannschaft gelungen, nach einem solchen Rückstand die Meisterschaft noch zu gewinnen. Es war also auch eine feine Comeback-Geschichte, mit der die BR Volleys dem VfB nun bedrohlich nahe rücken. Ihnen fehlt nach dem zwölften DM-Titel nur noch einer, dann haben sie Friedrichshafen eingeholt. "Ich werde einige Tage brauchen, um zurück auf die Erde zu kommen", sagte selbst Berlins sonst eher kühler Trainer Cédric Énard.

Grankin und Patch bilden mittlerweile ein herrlich schräges Tandem

Für die Emotionen waren auch wieder Sergej Grankin und Benjamin Patch zuständig, die seit Jahren prägenden Figuren im Trikot des neuen deutschen Meisters. Sie küssten sich auf die Wangen, herzten sich, die beiden bilden inzwischen ja ein herrlich schräges Tandem. Hier der anfangs etwas steif und schüchtern wirkende, jahrzehntelang im russischen Kadersystem groß gewordene Olympiasieger von 2012, dort der offen queere, in einer Mormonen-Großfamilie aufgewachsene und um keinen Spruch verlegene US-Amerikaner Patch. Während dem so sprung- und schlaggewaltigen Diagonalmann am Ende der Finalserie gegen Friedrichshafen ein wenig die Luft ausging, zog Zuspieler Grankin weiterhin virtuos die Fäden im Berliner Spiel, außerdem zeigte er mit drei Assen erneut seine Aufschlagstärke.

Grankin gilt ohnehin als Schlüsselfigur im Berliner Spiel, seit er im Januar 2019 nach Streitigkeiten mit seinem langjährigen Klub Dynamo Moskau an die Spree gewechselt ist. Und wer weiß, wie die Meisterschaft ausgegangen wäre, hätte Grankin gegen die störrischen Friedrichshafener nicht wieder diese Zauberpässe gespielt, die kaum ein Block zu lesen vermag. "Er hat so viel Konstanz, von 5000 Pässen sind vielleicht 20 oder 30 nicht auf den Punkt", sagt Berlins Manager Kaweh Niroomand, der den Wechsel damals eingefädelt und Grankins Vertrag längst bis 2023 verlängert hat - obwohl dieser im Januar 37 Jahre alt geworden ist.

Der medienscheue Grankin ist Kapitän, Mitglied des Mannschaftsrats - und lässt seit dieser Saison immer öfter auch seinen Gefühlen freien Lauf. "Er ist offener geworden, genießt die Wärme, die Fankultur hier", sagt Niroomand. Am vergangenen Mittwoch warf Grankin nach dem Sieg gegen Friedrichshafen, der Berlin erst die Entscheidungspartie in der Max-Schmeling-Halle ermöglichte, sein Trikot zu den Fans auf die Tribüne hinauf. Im Profifußball mag das üblich sein, im Profivolleyball ist es eher eine Ausnahme.

"Die allgemeine Situation ist für ihn nicht einfach", sagt Berlins Manager Niroomand über den Russen Grankin. "Er geht gut damit um."

Nur wenn es nicht läuft, wenn seine Angreifer schwächeln und er kein Vertrauen mehr zu ihnen findet, dann kann der Olympiasieger die Lust an seinem Spiel verlieren. Niroomand hat sich mit Grankin, wie er erzählt, auch lange über den Ukraine-Krieg unterhalten: "Die allgemeine Situation ist für ihn nicht einfach, das will ich gar nicht näher erläutern. Er geht gut damit um."

Den rührendsten Moment des Abends überließ Grankin, dem große Ovationen noch immer fremd sind, gerne einem Mann, der zuvor seine Pässe so brachial ins Friedrichshafener Feld geprügelt hatte: Blocker Georg Klein. Der angehende Polizist war 2020 fast lautlos während der Pandemie kurz nach der abgebrochenen Saison zurückgetreten. Wegen der Verletzung eines Mitspielers kehrte er in den vergangenen Monaten aufs Feld zurück - und wurde von Grankin auch am Samstag mehrmals hervorragend in Szene gesetzt. Das ist ja vor allem die Aufgabe des Zuspielers, neben dem Irreführen des Gegners und dem Lenken des eigenen Spiels: die eigenen Angreifer glänzen zu lassen.

Und auch in puncto Blumenschmuck hatten die Berliner an diesem Abend ein besseres Händchen als andere: Niroomand überreichte Klein zum Abschied ein orange leuchtendes Sträußchen, das weder traurig noch fehl am Platz wirkte - sondern so frisch wie dieser sechste Meistertitel für Berlin in Serie. Grankin klatschte dazu.

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