Volleyball:Das Puzzle passt

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Alle jubeln - und eine kann ihr Glück kaum fassen: Stuttgarts Außenangreiferin Simone Lee (Mitte) freut sich mit ihren Stuttgarter Teamkolleginnen über den Pokalsieg. (Foto: Tom Bloch/Beautiful Sports/Imago)

Stuttgarts Volleyballerinnen gewinnen zum vierten Mal den DVV-Pokal - und ihren ersten Titel seit 2017. Das Team ist diese Saison auch deshalb kaum zu schlagen, weil immer mehr Spielerinnen Verantwortung übernehmen. Am Dienstag kommt Istanbul zum Europapokal-Finale.

Von Sebastian Winter

Am Ende schickten sie noch ein paar Bilder hinaus aus der Umkleidekabine in Wiesbadens Arena. Auf Goldmedaillen beißende Spielerinnen, andere, die Flaschen über dem Kopf halten und den Sekt aus einiger Höhe zielgenau in den Mund fließen lassen. Wand und Decke: völlig nass nach der Korkenknallerei. Es war eine kurze, heftige Party, die die Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart feierten nach dem Pokalsieg gegen den Dresdner SC, sie wussten ja: Viel Zeit bleibt nicht bis zum nächsten Höhepunkt der Saison, gerade mal 46 Stunden. An diesem Dienstag empfangen die Stuttgarterinnen Eczacibasi Istanbul zum Final-Rückspiel im CEV-Cup, dem höchsten europäischen Klub-Wettbewerb nach der Champions League. Stuttgart im Europapokal-Finale? Das gab es auch noch nie in der Vereinsgeschichte.

Der Pokalsieg vom Sonntag - der vierte nach 2011, 2015 und 2017 - war jedenfalls ein Spiegelbild der Saison. Dresden ist ja nicht irgendeine Mannschaft, sondern der aktuelle deutsche Meister, gekürt im April 2021 in einer dramatischen Finalserie - gegen Stuttgart. Mit zwei Siegen lag der MTV schon vorne, vergab Matchbälle, verlor zweimal 2:3, seine Hauptangreiferin Krystal Rivers spielte angeschlagen und dann gar nicht mehr. Es war ein großes Drama, das letzte Spiel endete 0:3 gegen Stuttgart, viele Tränen flossen. Der Klub versucht ja seit Jahren, seinen Ruf als ewiger Zweiter abzustreifen, 2015 bis 2018 und 2021 verlor er das Playoff-Finale, 2019 wurde er das einzige Mal deutscher Meister.

Aber dieses 3:0 (25:17, 25:15, 25:15) nun gegen Dresden war nicht nur Genugtuung, sondern auch eine Demontage. Nur 70 Minuten dauerte das Spiel, es war eines der schnellsten Finals der Geschichte im Pokal-Wettbewerb. Stuttgarts US-Amerikanerinnen Rivers und Simone Lee hatten im Angriff keinerlei Mitleid mit den Dresdnerinnen, Mira Todorova blockte die Attacken der Sächsinnen sieben Mal direkt zurück auf den Boden. Zum Vergleich: Dresden gelang als Mannschaft nur ein einziger Block.

Man sollte zur Ehrenrettung des Klubs schon auch erwähnen, dass die SC-Spielerinnen eine dreiwöchige Corona-Pause hinter sich haben, seither gab es gerade einmal zwei gemeinsame Mannschaftstrainings. Auch deshalb sagte ihr Trainer Alexander Waibl nach der Partie, die eigentlich schon vor zwei Wochen zusammen mit dem Männerfinale in Mannheims SAP-Arena hätte stattfinden sollen: "Ich hätte mir einen würdigeren Rahmen zu einem späteren Zeitpunkt der Saison gewünscht." Ob das gegen diese Stuttgarterinnen geholfen hätte, darf allerdings leise bezweifelt werden.

Aleksandersens Herangehensweise könnte man als "hart aber herzlich" umschreiben

Immerhin sind sie dieser Saison auf nationaler Ebene noch ungeschlagen. Gegen Dresden gelang Stuttgart der vierte 3:0-Erfolg im vierten Pokalspiel, in der Bundesliga hat die Mannschaft von Trainer Tore Aleksandersen alle 19 Spiele gewonnen. Erfolgreicher dürfte derzeit keine andere deutsche Profisport-Mannschaft sein. Nur im CEV-Cup gab es zwei sehr verschmerzbare Niederlagen - der Sprung ins Finale hat ja trotzdem geklappt. "Das Puzzle passt zusammen", sagt die Sportliche Leiterin Kim Oszvald-Renkema.

Zwei der wichtigsten Teile sind dabei Aleksandersen und Lee. Der norwegische Trainer arbeitet seit einem guten Jahr mit der Mannschaft, seine Herangehensweise könnte man als "hart aber herzlich" umschreiben. "Er steht über der Gruppe, strahlt Ruhe aus, fordert sehr viel", sagt Oszvald-Renkema. Außerdem kennt sich Aleksandersen hervorragend auf diesem Bundesliga-Niveau aus, weil er in früheren Jahren schon den Schweriner SC zu zwei Pokalsiegen und zwei Meistertiteln geführt hat. Und Lee, die Außenangreiferin aus Wisconsin, entlastet spürbar Rivers, die bislang als unersetzlich in Stuttgart galt. "Wir haben uns nach dem verlorenen Finale gegen Dresden und der Verletzung von Krystal bewusst dafür entschieden, uns breiter aufzustellen", sagt Oszvald-Renkema. Und dabei haben sie ihr Augenmerk vor allem auch auf erfahrene, extrovertierte Profis gesetzt. Solche, die sogar einer Über-Mannschaft wie Istanbul zeitweise Paroli bieten können, wie das mit 1:3 verlorene Final-Hinspiel vor einer Woche zeigte.

Ihre Halle im Bauch des Stuttgarter Fußballstadions in der Untertürkheimer Kurve wird ausverkauft sein am Dienstag, erstmals wieder seit dem Beginn der Pandemie. Eczacibasi Istanbul dürfte mit rund zehn Millionen Euro den fünfmal höheren Etat haben, mindestens, die Chancen für Stuttgart sind auf dem Papier verschwindend gering. Sie müssen das Spiel gewinnen - und direkt im Anschluss auch noch einen "golden set". Aber darum geht es gar nicht, findet Oszvald-Renkema: "Wir gehen mit einem Lachen aufs Feld, für uns ist das ein Spiel zum Genießen."

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