VfL Wolfsburg:Wie auf dem Bolzplatz

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Kaum zu bändigen: Wolfsburgs Kapitän Luiz Gustavo (Nr. 22) nach seinem Platzverweis. (Foto: Stuart Franklin/Getty)

Mit einer Wut-Einlage gegen die Referees verkompliziert Luiz Gustavo die prekäre Lage des VfL Wolfsburg zusätzlich - der Kapitän fehlt mindestens ein Spiel.

Von JAVIER CÁCERES, Wolfsburg

Der Bundesliga-Schiedsrichter Felix Zwayer, 35, ist ein umgänglicher und unaufgeregter Mensch, mit dem man wunderbar reden kann. Dem routinierten Fußballprofi Luiz Gustavo, immerhin seit 2008 in der Bundesliga tätig, scheint das aber nicht bewusst zu sein. Zumindest wollte der Brasilianer beim schlimmen 0:6 des VfL Wolfsburg gegen den FC Bayern augenscheinlich andere Formen der Kommunikation wählen: handfeste.

Was war vorgefallen ? Zwayer hatte Gelb-Rot gegen Gustavo zücken müssen, notgedrungen. In der ersten Halbzeit hatte er den Kapitän der Wolfsburger verwarnt, weil der sich nach dem 0:1 durch David Alaba darüber beschwert hatte, dass die Wolfsburger Mauer wohl weiter wegstehen hatte müssen als die regeltechnisch vorgeschriebenen zehn Yards. In der 78. Minute leistete sich Gustavo dann ein Foul im Mittelfeld und drosch den Ball wutentbrannt weg: wieder Gelb - der achte Platzverweis seiner Karriere, womit er zum früheren Leverkusener Jens Nowotny aufschloss.

Luiz Gustavo konnte sogar von Glück sagen, dass er nicht noch glatt Rot sah. Denn was er folgen ließ, sah nicht aus wie der existenzielle Kampf um die Bundesliga-Zugehörigkeit seines (Noch-)Arbeitgebers. Es sah aus wie eine Szene auf einem Bolzplatz seines brasilianischen Heimatdorfs mit dem herrlichen Namen Pindamonhangaba. Gustavo applaudierte Zwayer nicht nur höhnisch. Er machte Anstalten, mit ihm noch eine Runde Pogo tanzen zu wollen.

Der einstige FC-Bayern-Jäger kassiert die höchste Niederlage seiner Bundesliga-Historie

Wie von Sinnen stürmte der Wolfsburger auf den Referee los, und wer weiß, was passiert wäre, wenn ihn nicht vier, fünf VfL-Kollegen mit vereinten Kräften zurückgehalten hätten - mit Griffen, die jeder griechisch-römischen Ringkampfveranstaltung gut zu Gesicht gestanden hätten.

Auch der auf den Platz geeilte Trainer Andries Jonker konnte Gustavo kaum besänftigen; sogar dem Vierten Offiziellen spendete der vom Platz Verwiesene noch demonstrativ Applaus. Jonker zeichnete später ein gnädiges Psychogramm seines Mittelfeldspielers: "Das ist einer, der unbedingt gewinnen will, der alles dafür macht, alles dafür tut. Wenn er eines nicht haben kann, dann, dass wir auf so eine Art und Weise verlieren, und dann kann er sich nicht beherrschen. Das ist nicht gut, das ist nicht vernünftig. Aber ich habe schon Verständnis", sagte er zur Selbstsabotage-Aktion von Gustavo. Jonker war damit großzügiger als der Manager - Olaf Rebbe sagte: "Das darf ihm einfach nicht passieren."

Tatsächlich war die Aktion des Brasilianers dermaßen provokant, dass man sich beinahe an den legendären Francesco Schettino erinnert fühlte, jenen italienischen Kapitän, der einst seine schiffbrüchige Costa Concordia als Erster verlassen hatte. Zumindest riskierte Gustavo fahrlässig ein noch längeres Fehlen im Endspurt des Abstiegskampfes. Vor ein paar Wochen erst wurde sein Landsmann Neymar (Barcelona) nach einer gelb-roten Karte sogar für drei Spiele gesperrt, weil er dem Referee ebenfalls sarkastisch Beifall gezollt hatte. Allerdings fertigte der Schiedsrichter damals einen Sonderbericht an - den es im Falle von Luiz Gustavo nicht gab.

Zwayer erwähnte Luiz Gustavos Ausraster nur im normalen Spielbericht, und die Frage ist, ob der DFB-Kontrollausschuss das Ansehen des Spielleiters für ähnlich schützenswert hält wie die Spanier die Autorität ihrer Referees: "Ich gehe davon aus, dass es bei einem Spiel Sperre bleibt", sagte Manager Rebbe. Dann würde Luiz Gustavo nur am Samstag in Frankfurt fehlen - und danach ausgerechnet gegen die Gladbacher Borussia zurückkehren, die ihn angeblich verpflichten will und die Qualifikation für die kommende Europa-League-Saison noch nicht abgeschrieben hat.

Derlei hatten sie vor gar nicht allzu langer Zeit auch in Wolfsburg als Minimalziel ausgegeben, und in jenen stolzen Tagen gab es auch einen Eigenanspruch, der am Samstag nur noch wie bitterer Hohn wirkte: FC-Bayern-Jäger zu sein. Gegen die Münchner taugte dieser VfL nun nicht mal mehr als Ehrengarde für deren 27. Meistertitel. Das 0:6 war die höchste Niederlage in der 20-jährigen Bundesliga-Geschichte der Volkswagen-Tochter. "Am Ende war es vom Gefühl her wie Männerfußball gegen Jugendfußball", sagte Mario Gomez. Trainer Jonker versteckte sich im Gegensatz zu den Spielen, bei denen es läuft, nicht auf der Bank, sondern hielt sich für alle sichtbar in der Coaching-Zone auf.

Der VfL ist nun punktgleich mit dem HSV, der wieder auf seinem angestammten Relegationsplatz steht und Wolfsburgs letzter Saisongegner sein wird; immerhin ist das Torverhältnis des VfL (-19) noch bedeutend besser (HSV: -29). "Ich will es in den nächsten drei Spielen aber nicht darauf anlegen, punktgleich mit irgendjemandem zu sein", sagte Gomez, den der Mut immerhin nicht verlassen hat: "Wir werden so viele Punkte machen, dass es reicht."

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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