VfL Wolfsburg:Tendenz Schädelbrummen

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Wolfsburg hatte hundertprozentige Chancen - Hertha BSC hat Vedad Ibisevic. Hier erzielt der Stürmer per Kopf den 1:0-Siegtreffer. (Foto: Tilo Wiedensohler/imago/Camera 4)

Gut gespielt, hundertprozentige Chancen erarbeitet, nichts getroffen: Beim 0:1 in Berlin zeigt Wolfsburg in nur einem Match zwei Gesichter. Die Gastgeber agieren kaum einfallsreicher, können sich aber auf Torjäger Ibisevic verlassen.

Von Nico Fried, Berlin

Als Vedad Ibisevic nach dem Spiel zu den Journalisten trat, lief die Sache andersrum als sonst. Nicht die Reporter befragten den Hertha-Kapitän - der wollte erst mal etwas von ihnen wissen: "Hat Mainz gewonnen?" Nicht ganz, erfuhr der bosnische Berliner, 2:2. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Ibisevic nach dem Ergebnis fragte, weil er sich noch Hoffnungen macht, die Hertha könne in vier verbleibenden Spielen 24 Punkte Rückstand auf die Bayern aufholen. Vielmehr dürfte der Schütze des 1:0 in Berlin gewusst haben, dass das Ergebnis im fernen München sein Siegtor gegen den VfL Wolfsburg noch zu einem besonderen Wirkungstreffer machte: Wolfsburg ist damit auf Platz 14 abgerutscht. Hinter Mainz.

Ibisevic' Wolfsburger Kollege Mario Gomez war nicht so wissbegierig. So wie er nach dem Schusspfiff zur Kabine schritt, den Blick starr nach vorne gerichtet und auf Abstand zu den Journalisten, strahlte er vor allem eines aus: Lasst mich bloß in Ruhe. Gomez hätte eh nur schimpfen können: Auf die Kollegen, die seine Zuspiele nicht verwertet hatten. Und auf sich selbst, weil er die Zuspiele der Kollegen nicht verwertet hatte. Wolfsburgs Trainer Andries Jonker sagte es später so: "Herausragende Chancen" habe seine Mannschaft erspielt. "Sehr ordentlich" sei die Truppe aufgetreten. Und was bringt das alles, wenn man kein Tor schießt? "Bringt nichts."

Ibisevic musste es richten, also richtete es Ibisevic

0:1 in Berlin. Es war ärgerlich für den VfL Wolfsburg, dass ihm der Ausgleich nicht gelang. Nach Ibisevics Führungstor in der 58. Minute hätte Gomez das 1:1 schon acht Minuten später erzielen können; sein Drehschuss knallte an die Latte des Berliner Tores. Noch viel ärgerlicher für Jonkers Mannen war allerdings, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mit zwei, drei Toren Vorsprung führten. Yunus Malli wenige Sekunden nach Spielbeginn und Gomez in der sechsten Minute scheiterten allein vor dem Tor jeweils an Rune Jarstein. Ibisevic fasste diese Phase nach der Partie so zusammen: "Rune hat uns da den Arsch gerettet."

Am Willen hat es nicht gefehlt. Und an weitere Chancen für die Gäste auch nicht. Die größte in der ersten Halbzeit hatte Maximilian Arnold. Wie seine Vorgänger bekam er den Ball im Strafraum in halblinker Position. Anders als seine Vorgänger gönnte er Jarstein keine Glanzparade, sondern hämmerte den Ball lieber gleich meterweit am Tor vorbei. Das größte Problem der Wolfsburger bleibt so die mangelnde Konstanz. In acht Spielen unter Jonker holte die Mannschaft elf Punkte, darunter ein Auswärtssieg gegen Leipzig - und eine Heimniederlage gegen Freiburg. Die Formkurve zeigt nicht dauerhaft nach oben oder unten, sie ähnelt den Stimmungsschwankungen eines Partygängers zwischen Schampus und Schädelbrummen.

In Berlin zeigte der VfL seine zwei Gesichter in nur einem Match. Gut gespielt, nichts getroffen. Weil sich die Wolfsburger Stürmer nach dem Match eher maulfaul zeigten, übernahm Sportdirektor Olaf Rebbe die Analyse. Man habe den Tabellenfünften dominiert, so Rebbe, und "fünf hundertprozentige Chancen gehabt", wobei man Rebbe auch so verstehen konnte, dass es sich um einige fünfhundertprozentige Chancen gehandelt habe. Trotzdem habe die Hertha gewonnen, so Rebbe, "und weiß eigentlich nicht, warum".

Das stimmt nicht ganz. In der Halbzeitpause habe er seiner Mannschaft "ein paar Dinge erklärt", sagte Hertha-Trainer Pal Dardai nach dem Spiel. Was genau, sagte er nicht, aber wenn er nur die wichtigsten Defizite ansprach, ist es erstaunlich, dass ihm 15 Minuten reichten. Es half jedenfalls, die Berliner traten nun offensiver auf, wenn auch nicht einfallsreicher: Ibisevic sollte es richten. Irgendwie. Und Ibisevic richtete es. In der 59. Minute köpfte er den Ball nach einer perfekten Flanke von Alexander Esswein erst gegen Wolfsburgs Torwart Koen Casteels, den Abpraller aber brachte er schließlich im Netz unter.

Laut Sportdirektor Rebbe fand seine Mannschaft "das Momentum nicht, um ein Tor zu schießen". Was immer er mit Momentum genau meinte - als nächstes können es die Wolfsburger gegen die Bayern suchen.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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