VfL Wolfsburg:Glasners Werk

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Auch ein strukturierter Trainer ist dankbar für einen Torjäger: VfL-Coach Glasner mit Wout Weghorst. (Foto: Cathrin Mueller / Getty Images)

Einzige unbesiegte Elf der Republik, erst fünf Gegentore: Die neuen Stärken des VfL Wolfsburg beruhen vor allem auf der Defensive.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Oliver Glasner, 45, saß auf dem Podium der Wolfsburger Arena, er studierte kurz das DINA4-Blatt, das neben anderen Statistiken auch die Tabelle des neunten Bundesliga-Spieltags umfasste - und er wirkte zufrieden. Sein Augsburger Trainerkollege Martin Schmidt hatte Glasners Team, den VfL Wolfsburg, soeben zum "Top-Act" der Liga erklärt und in einem Atemzug mit dem FC Bayern genannt, dem Augsburg in der Vorwoche ein 2:2 abgetrotzt hatte. Es war nachvollziehbar, dass sich der Coach des FCA, der auch am Sonntagabend noch Vorletzter der Tabelle war, nach dem 0:0 in Wolfsburg durch Erhöhung des Gegners selbst auf die Brust klopfen wollte. Der VfL, in der Vorwoche noch Tabellenzweiter, war immerhin Vierter geblieben; zwei Punkte hinter Spitzenreiter Mönchengladbach, nur einen Zähler hinter den Bayern. Zudem blieb Wolfsburg ungeschlagen. Wettbewerbsübergreifend, als einziges Team der Republik.

Nur Glasner wollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Der Platz, auf dem man nun stehe, sei schon ganz in Ordnung - und in Einklang zu bringen mit der bisherigen Saisonleistung: "Passt schon", sagte Glasner zur Gesamtlage - unter Berücksichtigung, dass der unbesiegte VfL nun schon zum fünften Mal Remis spielte.

Natürlich hätte es auch Glasner gut gepasst, wenn der VfL, und sei es für die Dauer von ein paar Stunden, Tabellenführer geworden wäre. Diese Möglichkeit war real und wurde nur durch die Annullierung eines späten Treffers von Stürmer João Víctor verhindert (84.) - der Videoschiedsrichter griff ein. Andererseits war der Vortrag der Wolfsburger nicht nur unterhalb objektiver, sondern auch unterhalb eigener Ansprüche geblieben - und erst recht fern der Maßstäbe, die an einen Liga-Branchenführer gestellt werden. Dass der VfL auf einem Champions-League-Platz steht, ist aber nicht auf eine Verkettung mysteriöser Zufälle zurückzuführen, sondern darauf, dass in Wolfsburg einige Dinge gut ineinander greifen, vor allem in der Defensive.

Neben Schalke und Mönchengladbach ist Wolfsburg das einzige Team, das auf eine nur einstellige Zahl an Gegentoren verweisen kann - wobei die Wolfsburger sogar nur fünf, Gladbach und Schalke dagegen schon neun Treffer hinnehmen mussten. Es ist das Werk Glasners: Seine augenscheinlichste, aber nicht die einzige Veränderung zu Saisonbeginn war, dass er auf eine Dreierabwehrkette umstellte, die aus Männern wie Kühlschränke aus dem High-Cube-Segment besteht und die Basis für eine extrem kompakte, klar strukturierte Elf bildet. Wie kompakt, lässt sich daran ablesen, dass der VfL zu den Teams zählt, die am wenigsten laufen - im Schnitt 103,7 Kilometer pro Spiel -, obwohl Mittelstürmer Wout Weghorst (5 Tore) mehr rennt als Forrest Gump, um den Spielaufbau des Gegners zu stören. Ligaweit weist nur Hoffenheim einen kleineren Wert auf (102,6).

Die Organisation bildet die Basis dafür, dass die VfLTorhüter bisher nur durchschnittlich beschäftigt waren. Der derzeit verletzte Stammtorwart Koen Casteels und sein Vertreter Pavao Pervan mussten 27 Mal intervenieren. Manuel Neuer (FC Bayern) kam schon auf 28 Paraden.

Die Frage bleibt: Was ist das alles wert?

Zur Wahrheit über den Saisonstart der Wolfsburger gehört auch, dass der VfL bislang fast nur auf Gegner aus der unteren Tabellenhälfte getroffen ist. Ausnahme war zuletzt RB Leipzig (1:1), das am Mittwoch erneut Gegner im DFB-Pokal ist. Andererseits: Glasner hat dem VfL ein Konterspiel aufgetragen, und Teams aus dem oberen Tabellendrittel spielen gemeinhin dominant. Wie sehr es den Wolfsburgern an Kreativität mangelt, war nicht nur am Sonntag im chancenarmen Spiel gegen Augsburg zu begutachten - sondern lässt sich auch an den Saisonstatistiken ablesen. Der VfL kam in neun Spielen auf nur 41 Chancen. Weniger haben lediglich Augsburg (32) und Düsseldorf (37).

Doch wie gut sich damit unter Umständen leben lässt, zeigt ein anderer kurioser Wert, er war im Fachmagazin kicker zu finden: In der Geschichte der Bundesliga gab es nur 24 Teams, die nach neun Spielen auf fünf Gegentore kamen - zwölf davon wurden am Ende Meister.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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