Am Samstag ist nicht nur ein entfesseltes bosnisch-brasilianisches Sturmduo deutscher Meister geworden, sondern auch Sascha Riether, Yoshito Okubo und Alexander Madlung. Spieler, deren Namen zu Saisonbeginn entweder ziemlich unbekannt waren - oder die kaum mit so einem Erfolg in Verbindung gebracht worden wären. Sie stehen exemplarisch für die Überraschungself des VfL Wolfsburg, die ihre Stärke aus der Gruppe bezog und das Phänomen Dzeko-Grafite so erst möglich machte. Fast alle hat Felix Magath nach Wolfsburg geholt, manche für viel, andere für verblüffend wenig Geld. Weshalb der scheidende Trainer nicht zu Unrecht feststellt, dass "ein Teil von mir selbst in dieser Mannschaft steckt". Die Würdigung einer erstaunlichen Vaterschaft.Foto: Reuters
TorDiego Benaglio (25 Jahre/31 Spiele in dieser Saison/0 Tore) Von Magath als Nachfolger des demontierten Simon Jentzsch in Portugal aufgespürt, gleich darauf bester Torwart der Liga, Dolmetscher für die VfL-Brasilianer - und Goalie der Schweizer Nati. Top Reflexe, top Abwürfe, top Übersicht. Laut diverser Frauenmagazine zudem: top Aussehen! Und top Timing: Im Winter grotesk außer Form - und prompt ein paar Spiele verletzt. Nach seiner Genesung trotz Zuhälter-Bärtchens wieder überragend.Foto: dpa
André Lenz (35/5/0) Der Inbegriff der Wolfsburger Gegnerdemütigung. Von Magath wahlweise in der 89. (Bayern) oder 90. (Hoffenheim) Minute und beim Stand von wahlweise 5:1 (Bayern) oder 4:0 (Hoffenheim) aufs Feld geschickt. Weil er ein feiner Kerl ist und nur wenig verdient. Codewort: Einsatzprämie.Foto: dpa
AbwehrAndrea Barzagli (28/34/0) Italienischer Innenverteidiger mit oft übersehenen Stärken und einer ständig thematisierten Schwäche: Hat 14 Millionen Euro gekostet! Spielt aber allenfalls, als habe er 13,5 Millionen gekostet! Steht damit exemplarisch für den Wolfsburger Wettbewerbsvorteil: Müsste ein 14-Millionen-Mann doch anderswo mindestens spielen, als hätte er 20 gekostet! Wohingegen für Magath nur zählt: "kaum Fouls, phantastisches Stellungsspiel und eine Übersicht, die unserer Abwehr gefehlt hat". Außerdem: Identifikationsfigur für mehr als 10.000 Italiener in Wolfsburg. Codewort: Isch abbe sogar ein Auto!Foto: dpa
Jan Simunek (22/17/0) Tschechisches Abwehrtalent, das neben Schnelligkeit und gutem Passspiel auch Zurückhaltung und Bescheidenheit als Tugenden anführt. War trotz bestechender Vorjahresleistungen anfangs nur Ersatz, sagte dann aber nicht: "Ich will weg", sondern: "Es wäre eventuell gut, wenn ich im Winter vielleicht für ein halbes Jahr ausgeliehen würde." Sagte auch nicht: "Ich bin jung und brauche das Geld", sondern: "Ich bin jung und muss spielen." Traf bei Magath damit den richtigen Ton. Durfte in der Rückrunde regelmäßig in einer Spitzenmannschaft Spielpraxis sammeln: beim VfL Wolfsburg.Foto: ddp
Alexander Madlung (26/24/3) Vor Magaths Amtsantritt Innenverteidiger und im Stadion als "Alex Nationale" angepriesen; dank zweier Länderspiele eine Art Fußballgott Niedersachsens. Nach Magaths Amtsantritt als Alexander Madlung angepriesen. Seither Mädchen für alles: Staubsaugen, Abräumen, Zusperren. Sogar Grundkenntnisse im Herbeiführen von Sturmschäden (3 Tore). Elf Mal bloß eingewechselt, da Magath ihn für trainingsfaul hält, weshalb er findet, dass Magath keine Ahnung hat. Unterschrieb am Freitag einen neuen Vier-Jahres-Vertrag, ist damit eine Art Anti-Dzeko: Will bleiben, weil Magath geht, statt zu gehen, weil Magath nicht bleibt.Foto: AP
Ricardo Costa (28/11/3) Portugiesischer Innenverteidiger mit eigenem Kopf, womit er, trotz eindeutig runder Formgebung, schon mal aneckt. Von Magath toleriert, solange er im Abwehrzentrum die Bälle solide wegköpfte. Nach kleineren Schwächen sowie, behaupten Vertraute, fehlender Demut in der Rückrunde ohne Einsatz. Bleibt auch nur, weil Magath geht.Foto: dpa
Cristian Zaccardo (27/14/1) Rechtsverteidiger mit eigener Homepage. Man hört: lässige Elektro-Beats, man sieht: nichts. Ist gerade "in aggiornamento", die Seite. Eine Dauerbaustelle - wie ihr Betreiber. Kam als Weltmeister und Sieben-Millionen-Investment aus Palermo. Zusammen mit Barzagli, bloß mit Stracciatella-Bäuchlein. Fitness? Mamma mia! Aber immer schick angezogen. Anderswo hätte ein Manager wegen seiner Verpflichtung Probleme mit dem Trainer bekommen. Oder umgekehrt. Magath reagierte mit einem Lächeln - und mit Peter Pekarik.Foto: AFP
Peter Pekarik (22/16/0) Ebenfalls Rechtsverteidiger, im Januar von MSK Zilina (Slowakei) abgeworben, für 850.000 Euro. 100 Prozent Pekarik kosten damit so viel wie zwölf Prozent Zaccardo. Vollstreckt beim VfL seither den sog. Magathiavellismus: Durfte von seinem Sofortstammplatz aus mit ansehen, wie Zaccardos Lächeln auf der Bank endgültig zu Gelato gefror. Nahm beim 5:1 gegen die Bayern einen gewissen Ribéry, Franck spektakulär in Beugehaft. Gefühlter Einfluss des Franzosen damals: null Prozent.Foto: AP
Marcel Schäfer (24/34/0) Linksverteidiger, Aschaffenburger, Schlüsselspieler: Besitzt dank solidem Stellungsspiel, erstaunlicher Schusstechnik und, so Vertraute, heißluftballongroßen Lungenflügeln den Schlüssel für Wolfsburgs überfallartige Vorstöße in die gegnerische Hälfte. Besitzt als Kassenwart den Schlüssel zur Mannschaftskasse, in die jetzt zwei Millionen Euro Titelprämie fließen. Durch und durch vertrauenserweckend. Findet nicht nur der Aschaffenburger Magath, sondern neuerdings auch der Freiburger Löw.Foto: dpa
MittelfeldJosué (29/33/0) Brasilianer im zentralen defensiven Mittelfeld, seit dieser Saison Kapitän. Wird wegen wiederholten Balldiebstahls von BND (Ball-Nachspür-Dienst) und KRiPo (Klinsmann-Ribéry-Polizei) gesucht. Ist aber kaum zu greifen: flink, wendig, widerstandsfähig. Tarnt sich bisweilen als Floh (1,69 m). Zudem viel unterwegs: Wird häufig vorne, hinten und sogar in der brasilianischen Seleção gesichtet. Hat schon so manches Spiel eröffnet und machte sogar beim Cabrio-Korso neben Führungskräften wie Winterkorn, Magath und Pötsch eine Figur, die diversen Frauenmagazinen nicht entgangen sein kann. Top!Foto: ddp
Sascha Riether (26/28/2) Typischer Magath-Transfer der frühen Monate n.A. (nach Augenthaler): Kam nicht für viele Millionen von obskuren Inseln (Sizilien, Japan), sondern für 500.000 Euro vom SC Freiburg ("Insel der Seeligen"). Sollte bleiben, bis Magath ein Besserer einfällt, dann fiel Magath aber bloß Cristian Zaccardo ein. Überzeugt seither durch extremes Laufpensum und Variabilität: Kann (statt Pekarik) hinten rechts spielen oder (mit Pekarik) vorne rechts. Gegen Ribéry, Franck zum Beispiel. Die KRiPo ermittelt!Foto: dpa
Christian Gentner (23/34/4) Zentrales bis halblinkes Mittelfeld. Begabtes Eigengewächs, das früh Verantwortung übernimmt - diese Rolle war für ihn vorgesehen. Beim Stuttgarter Meister des Jahres 2007. Wurde dann aber von Trainer Armin Veh verkannt. In Wolfsburg ein unermüdlicher Spielbeschleuniger, brillant in Eins-zu-eins-Situationen. Trifft nach dem Urlaub Armin Veh wieder und gibt vor, sich sehr darüber zu freuen.Foto: AP
Zvjezdan Misimovic (26/33/7) Vom Kunstfreund Magath geradezu verehrter Regisseur, was aus Fachkommentaren wie "Mein Sohn ist fast so faul wie Misimovic" hervorgeht. Sieht immer aus, als sei er gerade aufgestanden, außer wenn er sich über den Platz bewegt: Wirkt dann, als müsse er sich dringend ein Viertelstündchen hinlegen. Dirigenten-Engagements bei SV Nord Lerchenau, TSV Forstenried, SV Gartenstadt Trudering, FC Bayern Amateure, VfL Bochum und 1. FC Nürnberg. Inzwischen "begnadet, beidfüßig stark und mannschaftsdienlich" (Magath). Mit 20 Assists der beste Vorbereiter der Liga. Sagt: "Kein Wunder bei den beiden Stürmern." Blinzelt dabei, als sei er ein bisschen müde.Foto: dpa
Ashkan Dejagah (22/27/3) Deutsch-iranischer Flügelläufer. Noch in den letzten Tagen v.M. (vor Magath) vom Manager Klaus Fuchs bei Hertha BSC abgezweigt. Sagte beim Vorstellungsgespräch auf die Lieblingsklub-Frage zum Glück nicht: VfL Wolfsburg. Sondern: FC Arsenal. Gilt seither als ehrgeizig. Spielt auch so. Kaum zu bremsen, außer kürzlich von einer Hepatitis-Infektion.Foto: AP
Makoto Hasebe (25/25/0) Rechtes Mittelfeld. Nationalspieler, Führungsfigur, Liebling der Massen. Jedenfalls in Japan. Steht so in den dortigen Zeitungen. Acht japanische Korrespondenten berichten regelmäßig aus Wolfsburg über Hasebe ("wurde früh ausgewechselt"). Erfüllt damit auch für VW seinen Zweck. Codewort: Weltweite Markenpräsenz.Foto: dpa
AngriffYoshito Okubo (26/9/0) Nicht ganz so bekannt wie Hasebe. Aber wo die acht japanischen Korrespondenten schon mal da sind ("kam nicht zum Einsatz")...Foto: Getty
Grafite (30/25/28) Brasilianisches Wetterphänomen, das durch die Bezeichnung "Sturm" nur unzureichend umschrieben ist. Wirkt aufgrund von Wucht und Unvorhersehbarkeit eher wie ein Orkan, der mit etwas Hagel daherkommt, und dem in der Regel ein Trainergewitter folgt. Heißt eigentlich Edinaldo Batista Libanio und wollte "Dina" genannt werden, ehe ihn ein alter Trainer "Grafite" taufte: Bleistiftmine. Verkaufte mit 22 noch Mülltüten in São Paulo. Acht Jahre später Magaths Vorzeigeeinkauf: Hat soeben Gerd Müller als effektivsten Angreifer der Ligageschichte abgelöst mit nur 75 Minuten benötigter Spielzeit pro Treffer. Beliebte Ausrede seiner Gegenspieler: "Höhere Gewalt!"Foto: Reuters
Edin Dzeko (23/32/26) Neben Grafite Magaths zweiter meteorologischer Sensationsfund (Unterschied: Eisregen statt Hagel). Hervorragende Ballmitnahme, außergewöhnliche Schusstechnik, auch als Vorbereiter brillant. Außerdem kopfballstark. Kopfballstark? Wurde von Magath im Sommer täglich unter ein Pendel gestellt, erzielte in der Folge neun Kopfballtore (letzte Saison: keins). Hat sein Schicksal auch deshalb mit dem des Trainers verknüpft. Wechselt mangels seriösem Sturmpartner (Codewort: Kuranyi) trotzdem nicht zu Schalke 04. Sondern zum FC Arsenal, Manchester United, Juventus Turin, Real Madrid und Lok Moskau. Gleichzeitig. Vielleicht auch noch zu einem Kleinstadtklub, der gerade deutscher Meister wurde. Hält das für machbar ("Bin doch auch auf dem Platz überall").Foto: AP