VfL Wolfsburg:Eine Illusion namens Platz drei

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Nach dem 1:1 gegen Darmstadt quillt der Frust der Wolfsburger über.

Von JAVIER CÁCERES, Wolfsburg

Als gegen Darmstadt 98 in letzter Minute doch noch ein Pünktchen gerettet war, gewährte der Manager des VfL Wolfsburg noch einen Blick auf das Armaturenbrett eines ausgelaugten Teams. "Im Moment laufen einige im roten Bereich", sagte Klaus Allofs - und freute sich, bei aller Zerknirschtheit über das Resultat, wenigstens über die anstehende Länderspielpause. Zwar haben einige Profis fußballerischen Dienst am Vaterland zu verrichten - Regeneration sieht anders aus. Aber selbst diese Profis dürften frohlocken, zumindest auf andere Gedanken zu kommen, wenn sie schon nicht die Beine hochlegen dürfen. Wie nötig das ist, war in der VW-Arena beim 1:1 (0:0) gegen die Darmstädter mehr als offensichtlich. Es war schon ein Desperado-Tor von André Schürrle in der Nachspielzeit nötig, um wenigstens einen Punkt zu behalten. In der 93. Minute. Mit einem Schuss, der nach Verzweiflung aussah. Zehn Minuten zuvor hatte Darmstadts Mittelstürmer Sandro Wagner die Führung besorgt. Doch die Nachricht der Partie war, dass Wolfsburgs Spiel wieder mal so mitreißend war wie der Mittellandkanal, an dessen Ufer das Stadion liegt - nicht allzu sehr also. Das Spiel dürfte nur die Sorgen vergrößern: um die Saisonziele sowie um die Moral vor dem Duell mit Real Madrid im Viertelfinale der Champions League (6./12. April). Auf zehn Punkte ist der Rückstand auf den Dritten Hertha BSC angewachsen; die direkte Qualifikation für die europäische Königsklasse verkommt zur Illusion. "Wir werden ein Maximum an Punkten holen müssen, um international dabei zu sein", erkannte Allofs, in der Mannschaft grassiert der Frust. "Wir reden die ganze Zeit von Platz drei, fallen aber immer weiter zurück", sagte Schürrle. Umso energischer reiben sich die Madrilenen die Hände. Als derart gütiges "Lächeln des Schicksals" ( El País) gilt Wolfsburg, dass man in Spanien kaum noch die Qualitäten des deutschen Vorjahres-Zweiten debattiert. Sondern die Frage, ob bei der Auslosung wirklich alles mit rechten Dingen zuging? Seit der milliardenschwere Bauunternehmer Florentino Pérez 2009 das Präsidentenamt übernahm, hat Real in Viertel- und Achtelfinals der Champions League meist Gegner wie Apoel Nikosia, Galatasaray Istanbul, ZSKA Moskau oder Schalke 04 überwinden müssen, da reiht sich Wolfsburg gut ein. In Katalonien hören sie darob die Flöhe derart laut husten, dass Barcelonas Trainer Luis Enrique am Wochenende sogar gefragt wurde, ob auch er glaube, dass in den Lostrommeln der Uefa vorgewärmte Kugeln liegen.

"Es ist egal, was ich glaube", sagte Enrique, gab den Konspirationstheoretikern aber frisches Futter: "Ich weiß schon, gegen wen wir in der nächsten Runde gelost werden, wenn wir ( gegen Atlético Madrid/Anm. d. Red.) weiterkommen sollten", erklärte er mit derart ironischem Unterton, dass er nur den FC Bayern meinen konnte. Gleichzeitig versuchte Reals Trainer Zinédine Zidane, die Komplexität der Aufgabe Wolfsburg hochzujazzen: "Es kommt nicht von ungefähr, dass sie im Viertelfinale stehen", warnte der Franzose.

Davon war freilich gegen Darmstadt wenig zu sehen. Die Wolfsburger wirkten ideenlos und gleichzeitig anfällig, sobald die Außenseiter die Steinschleuder in die Hand nahmen. "Wir haben all das gemacht, was wir nicht machen sollten", sagte Trainer Dieter Hecking und lehnte es ab, die zahlreichen Absenzen, allen voran von Mittelfeldspieler Julian Draxler, als Argument ins Feld zu führen. "Ich habe keine Lust, euch ein Alibi-Geschwätz aufzuerlegen", sagte er in der Pressekonferenz. Klar sei aber: "Mit dieser Leistung haben wir nicht mal annähernd eine Chance, gegen Real mitzuhalten." Andererseits stehen die Chancen nicht schlecht, dass Hecking vor den Spielen gegen Madrid auf derzeit verletzte Spieler zurückgreifen kann. Auf Draxler sowieso, ebenso auf Linksverteidiger Ricardo Rodríguez. Und der schmerzlich vermisste Stürmer Bas Dost will sich am 1. April zurückmelden, beim Spiel in Leverkusen. Abwehrchef Naldo lief am Samstag noch mit einer Armschiene durch die Arena, verkündete aber, optimistisch zu sein, die Folgen seiner Schultereckgelenksprengung rechtzeitig zu überwinden.

Mehr Hoffnung dürfte aber machen, dass sich Wolfsburg gegen Real als genau das maskieren kann, was Darmstadt die ganze Saison über ist und auch am Samstag in Wolfsburg war: ein Underdog, der dem Gegner die Protagonisten-Rolle überlässt, der zäh und tief verteidigt - und Räume für Konter schafft. Auf solche Weise hat Wolfsburg in dieser Saison noch am ehesten Punkte geholt. Und gegen solche Teams hat Real Madrid in dieser Saison am meisten gelitten.

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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