VfL Bochum:Im Schatten der Barone

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Beim Sieg in Duisburg zeigt sich, dass für den VfL die Rolle eines Aufstiegs-Geheimfavoriten reserviert sein könnte. Doch finanziell passt der Klub eher in die zweite Liga.

Von Ulrich Hartmann, Duisburg

Im Ruhrgebiet haben viele industrielle Orte ausgedient - und wurden umfunktioniert. Im Dampfmaschinenhaus in Essen, in der Turbinenhalle in Bochum oder in der Gebläsehalle in Duisburg finden längst kulturelle Veranstaltungen im Rahmen der Ruhrtriennale statt. Auch die "Nacht der Industriekultur" jedes Jahr im Sommer würdigt den Strukturwandel als Mischung aus Wehmut und Vision. Wo einst Kohle gefördert und Stahl gegossen wurde, wird gesungen, gedichtet, gelesen.

Nicht zum literarischen Kultur-Programm gehören die Spielstätten Ruhrstadion und MSV-Arena, obwohl auch deren Belegschaft einen strukturellen Wandel erlebt hat. Der MSV Duisburg und der VfL Bochum spielen nur noch im Schatten der übermächtigen Ruhrbarone Borussia Dortmund und Schalke 04. Sie haben sich in der zweiten Liga etabliert. Im direkten Duell, im sogenannten "kleinen Revierderby", gewannen die Bochumer am Samstag mit 2:0 in Duisburg. Als die Mannschaften das Feld betraten, standen 20 Stahlkocher in silbermetallenen Mänteln und überdimensionalen Visieren Spalier. Was aussah wie ein Aufmarsch von Außerirdischen, war pure Ruhrgebiets-Folklore.

Rot für den Torschützen: Sidney Sam (Nr. 13) muss nach einer Tätlichkeit gegen Andreas Wiegel vom Platz. (Foto: imago/Team 2)

Duisburg ist 2008 letztmals aus der ersten Liga abgestiegen, Bochum 2010. Die Traditionsklubs sind mit ihrem zweitklassigen Dasein aber nicht mal unglücklich. Dem MSV wurde 2013 die Zweitliga-Lizenz entzogen, er spielte seither drei von fünf Spielzeiten in der dritten Liga, und auch den VfL Bochum hätte es auf sportlichem Wege mehrmals fast erwischt. Finanzen und sonstige Bedingungen passen in beiden Klubs momentan eher in die zweite Liga, dort lässt es sich dennoch weiter träumen von der Rückkehr ins Rampenlicht.

Mit Dortmund und Schalke konnten sie nicht mehr mithalten, aber es erging ihnen immerhin besser als Rot-Weiß Essen, Rot-Weiß Oberhausen oder der SG Wattenscheid 09, die alle nur noch in der viertklassigen Regionalliga West spielen.

In Bochum haben sie neulich die 1968er-Mannschaft geehrt, die vor 50 Jahren das Pokalfinale gegen den 1. FC Köln verlor. In Duisburg kommt im Oktober die Klublegende Bernard Dietz auf die Leinwand in einem abendfüllenden Dokumentarfilm namens "Ennatz". Am Samstag vor dem kleinen Revierderby feierte der MSV seine Legenden Hartmut Heidemann, 77, und Hennes Sabath, 79, die 1963/1964 in der ersten Bundesliga-Saison für Duisburg spielten, als dieser noch Meidericher SV hieß und sogleich Vizemeister wurde. "So eine Mannschaft wie damals kriegt der MSV nicht mehr wieder", sagte Sabath ins Stadionmikrofon, "wir waren eine verschworene Gemeinschaft, damals hat Geld nur eine Nebenrolle gespielt."

Die Führung für Bochum: Sidney Sam (Nr. 13) trifft per Freistoß zum 1:0. (Foto: imago/Horstmüller)

Als verschworenen Haufen würde sich die aktuelle MSV-Belegschaft vermutlich auch bezeichnen, in der vergangenen Saison spielten sie als Aufsteiger aus der dritten Liga sogar kurz um den dritten Platz mit und wurden am Ende, punktgleich mit Bochum, Siebter. Der 48 Jahre alte Bulgare Ilia Gruev als Trainer hat den MSV wieder wettbewerbsfähig gemacht. Schon träumten die Fans von Höherem, bevor die Saison nun mit einem 0:1 in Dresden und dem 0:2 gegen Bochum begann. Ohne Punkt, ohne Tor - doch Duisburg in den vergangenen Spielzeiten zu viel erlebt, als dass man sich von zwei Auftaktniederlagen schon nervös machen ließe.

Bochum hat in dieser Saison die deutlich vielversprechendere Mannschaft beisammen. Die Offensive mit den Flügelspielern Robbie Kruse und Sidney Sam sowie der Spitze Lukas Hinterseer hat ihr Potenzial zumindest angedeutet - beim 0:2 zum Start gegen Köln verschwendeten sie alle Chancen, in Duisburg aber trafen Sam und der aus Anderlecht ausgeliehene Kongolese Silvere Ganvoula.

Für Sam, 29, der einst bei Bayer Leverkusen zum Nationalspieler avancierte, um dann über Schalke und Darmstadt geläutert in Bochum zu landen, war es nach einem Jahr der erste Liga-Treffer für den VfL. Die Freude währte jedoch nicht lange, weil er zwölf Minuten nach seinem Tor den Duisburger Kapitän Kevin Wolze umstieß und dafür Rot sah. Sam bleibt ein Sorgenkind. "Das darf ihm als erfahrenem Spieler nicht passieren", sagte Robin Dutt streng.

Der Badener Dutt übernahm erst im Februar das Traineramt in Bochum und hat die strauchelnde Mannschaft binnen Kürze stabilisiert. Für den VfL wäre in dieser Saison eine Rolle als Geheimfavorit reserviert. Man scheint sich dort nicht damit abfinden zu wollen, dass der fußballerischen Strukturwandel im Ruhrgebiet besiegelt sein könnte.

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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