VfB Stuttgart:Privileg der Jugend

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Knapp vorbeigehechtet: VfB-Torwart Gregor Kobel streckt sich zur richtigen Seite, kann den Elfmeter des Kölners Andersson aber nicht abwehren. (Foto: Michael Weber/imago images)

Trotz einiger Szenen zum Haareraufen zeigt das Stuttgarter 1:1 gegen Köln erneut das große Potenzial der Mannschaft in der Offensive.

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Der einzige Augenzeuge im Block 34 guckte tieftraurig auf den Boden. Die Fahne, die er zuvor enthusiastisch geschwenkt hatte, zeigte nach unten, der grüne Kopf schien einen Flecken auf dem Boden zu fixieren. Coronabedingt hatte man "Fritzle"", das Plüschkrokodil, das dem VfB seit 1992 als Maskottchen dient, des Spielfeldes verwiesen und als einzigen Gast 30 Meter Luftlinie hinters Tor beordert. Dort kam es seinem Job als Stimmungskanone anfangs noch in bewundernswerter Konsequenz nach. Wen genau es zu größeren Gefühlsaufwallungen animieren wollte, blieb indes fraglich. Schließlich war das Stadion menschenleer.

Nach der 23. Minute hatte Fritzle allerdings keinen besonderen Grund mehr, sich zu freuen. Schließlich hatte es da den allerbesten Blick auf eine Szene, die nun wirklich keinem VfB-Fan gefallen konnte. Aus unerfindlichen Gründen zog da nämlich Stuttgarts Verteidiger Atakan Karazor den Kölner Sebastian Andersson so massiv am Trikot, dass Schiedsrichter Winkmann einen Elfmeter verhängen musste. Hätte Karazor die Hände bei sich behalten, hätte es im schlimmsten Fall einen Eckball für den bis dato völlig harmlosen Gast gegeben, Andersson war schließlich Richtung Torauslinie unterwegs gewesen.

Durch den denkbar ärgerlichen Elfmeter, den Andersson prompt verwandelte, war nicht nur die frühe Führung perdu, die Orel Mangala schon nach 24 Sekunden erzielt hatte. Der Elfmeter, den auch VfB-Coach Pellegrino Matarazzo "ein Stück weit zu billig" fand, markierte nicht nur den Wende-, sondern auch den Endpunkt einer Partie, die vielversprechend angefangen hatte und von nun an bis zum Schlusspfiff eher in Langeweile versank.

Wer die fulminante Anfangsphase der Schwaben sah, kommt allerdings nicht umhin, denen recht zu geben, die diese junge VfB-Elf als Versprechen für die Zukunft sehen. Natürlich gab es auch wieder ein paar Szenen zum Haareraufen, als zuerst Mangala und dann Pascal Stenzel Harakiri-Pässe vor dem eigenen Strafraum spielten, die die limitierten, aber fleißigen Kölner nicht nutzen konnten. Aber ein gewisser Leichtsinn ist wohl das Privileg der Jugend.

Die Kölner sind nach diesem Unentschieden nun seit 15 Spielen ohne Bundesliga-Sieg

Offensiv wusste der VfB im ersten Spiel-Viertel dafür umso mehr zu gefallen. Immer wenn es schnell und direkt ging, wurde es gefährlich, und das wurde es oft. Dann sah man bei jeder Ballan- und mitnahme den Unterschied zum Gegner. In den vielen hellen Momenten bis zum Gegentor war auch zu erkennen, was den VfB von einigen Konkurrenten unterscheidet: Er hat eine Offensivstrategie, die verinnerlicht ist. Womit allerdings auch das Defizit des Stuttgarter Vortrages benannt wäre, denn auf den letzten Metern agierte der VfB zu hastig und unkoordiniert.

So befand sich der VfB gegen defensive zweimal aussichtsreich in Überzahlsituationen, aber sie brachten nichts ein, weil einmal Tanguy Coulibaly aus vollem Lauf flankte anstatt erst den Kopf hochzunehmen. Und weil sich kurz darauf der deutlich erfahrenere Gonzalo Castro bei einer erneuten Überzahlsituation ebenfalls ein bisschen ungeschickt anstellte.

"Ruhig, genug Zeit, wir spielen unser Spiel", das war die richtige Handlungsanweisung, sie kam von Torwart Gregor Kobel, dem das hektische Treiben, das seine Vorderleute veranstalteten, ein wenig auf die Laune schlug. Doch Fußball spielen wollten im zweiten Durchgang weder die Kölner noch Kobels eigene Mannschaft.

Irgendwann war dann Schluss, und Matarazzo hatte die Gelegenheit, das Spiel ins Große und Ganze einzuordnen. "Wir hatten einen guten Saisonstart, aber das ändert nichts daran, dass wir erst einmal um den Klassenerhalt kämpfen werden in den nächsten Wochen und Monaten." Die Kölner sind nach dem 1:1 seit nun 15 Ligaspielen ohne Sieg, während Stuttgart den achten Punkt im fünften Spiel einheimste.

Dass der VfB vor ein paar Wochen noch eine Liga tiefer spielte, ist nach den bisherigen Auftritten in der Liga ja tatsächlich ein wenig aus dem Gedächtnis geraten. Umso wichtiger schien es dem Trainer Matarazzo nach dem Spiel, genau daran noch mal zu erinnern: "Wir kommen aus der zweiten Liga."

© SZ vom 26.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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