VfB Stuttgart:Penetranter Pragmatismus

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Tayfun Korkut führt Stuttgart zum Klassenverbleib. Nun stellen sich die Fans die Frage, ob der Trainer das Team auch weiterentwickeln kann.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Die Türen zum Trainingsgelände in Bad Cannstatt waren am Sonntagmorgen kurz nach elf Uhr noch verschlossen, als sich schon einige Sympathisanten des VfB Stuttgart vor den Absperrgittern versammelt hatten. Die Sonne brannte vom blauen wolkenlosen Himmel herab, es war der passende Rahmen für das Auslaufen der Profis nach dem 2:0-Sieg am Vortag gegen Werder Bremen, mit dem sich der VfB nun auch rechnerisch ein weiteres Jahr in der ersten Liga gesichert hat.

Aber wo waren die Spieler des VfB? Und wo Trainer Tayfun Korkut? Eigentlich hätte vor mehr als einer halben Stunde das Training beginnen sollen. War das etwa ein erstes Indiz dafür, dass Korkut nach dem Klassenverbleib nun ein bisschen nachlässig wird? Der 44-Jährige hatte ja seinen fast schon penetranten Pragmatismus zur Kunstform erhoben, als er Ende Januar das Traineramt übernahm. Mit eher schlichtem Kompaktfußball hatte er so viele Punkte geholt, dass der VfB schon frühzeitig die Personalplanungen für eine weitere Bundesligasaison beginnen konnte, schon einige Wochen vor dem Sieg gegen Bremen durch Tore von Kapitän Christian Gentner (13.) und Berkay Özcan (90.).

Korkut und seine Spieler sind dann später doch noch aufgetaucht. Müßiggang hätte auch nicht zum Arbeitsethos des türkischen Schwaben gepasst, der am Vortag noch versicherte, dass sich seine Elf auch in den letzten drei Spielen gegen Hoffenheim, Leverkusen und München "reinhauen werde", wie er es ausdrückte: "Das werde ich versprechen." Korkut, der nur wenige Minuten vom Trainingsgelände entfernt wohnt, hat in nur elf Wochen die Extreme des schnelllebigen Fußballgeschäfts zu spüren bekommen. "Ein Tayfun der Empörung", wie die Stuttgarter Zeitung schrieb, hatte ihn bei seiner Vorstellung empfangen, die meisten VfB-Fans schenkten ihm vor seiner Premiere kein Vertrauen, sondern straften ihn als Nachfolger des beliebten Hannes Wolf mit Missachtung und üblen Beschimpfungen. "Die Zusammenarbeit mit uns hat das nicht gestört", erklärte Gentner, "weil er gleich einen guten Draht zur Mannschaft gefunden hat." Korkut konnte die Führungsspieler um Gentner, Torhüter Ron-Robert Zieler und Verteidiger Holger Badstuber von seiner schlichten Spielidee überzeugen, die er für die richtige und angemessene hielt.

"Ich konnte in Ruhe arbeiten und habe null Egoismen innerhalb der Mannschaft bemerkt", sagt Korkut. Er bevorzugt vor allem ehrliche Defensivarbeit, er lehrt einen Fußball, der nicht sonderlich ansehnlich ist, aber dafür sehr effektiv. Mit langen Bällen aus der Abwehr spielte er eine Art Fußball-Tennis, ohne Kombinationen durchs Mittelfeld. Er stellte in Daniel Ginczek einen weiteren Stürmer neben Mario Gomez, der sogenannte "Ochsensturm" sollte die Bälle selbst verarbeiten oder sie so abprallen lassen, dass die aufgerückten Mitspieler sie gewinnbringend verwerten konnten. Auch das Führungstor gegen Bremen resultierte aus einer Flanke, die Gentner per Kopf über die Linie bugsierte.

Die Frage, die sich die mit Korkut längst wieder versöhnten Fans nun stellen, ist, ob er eine Mannschaft auch spielerisch weiterentwickeln kann. Ob er den reinen Pragmatismus aufgeben kann, um sich auch mal hübsch und schnell durchs Mittelfeld zu kombinieren. In Hannover hatte der vom spanischen Fußball beeinflusste Korkut einst übrigens den umgekehrten Weg gewählt: Da hatte er mit Kurzpassfußball begonnen, ehe er die Schlichtheit des Spiels für sich entdeckte.

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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