Vancouver 2010: Eistanz:Familientreffen auf dem Eis

Lesezeit: 3 min

In der Eistanz-Konkurrenz in Vancouver tritt ein amerikanisches Geschwistertrio an - für Japan. Und für Georgien. Eine Geschichte über olympische Grenzgänger.

Rebecca Schäfer

Ihr kunstvoll mit bunten Blumen bestickter Kimono leuchtet im Scheinwerferlicht des Pacific Coliseum. Seinen Fächer hält er majestätisch wie ein Samurai-Schwert in die Höhe. Und als das japanische Paar nach dem Originaltanz die Eisfläche verlässt, spricht es - American English. So weit, so unlogisch.

Starten für Japan: Die Amerikaner Cathy Reed und Chris Reed. (Foto: Foto: afp)

Wir stellen uns vor, die Japaner treffen in den Katakomben dann zufällig auf das georgische Eistanzpaar. Es gibt viel zu erzählen, immerhin sind die Georgier als Erste dran gewesen. "Wie war das Eis für euch?" könnte so eine Frage lauten. Oder aber: "Was gibt's heute Abend bei Mama zu essen?" Alles in lupenreinem American English - und eben lupenrein unlogisch. So unlogisch, wie die Geschichte des Geschwistertrios Cathy, Chris und Allison Reed.

Cathy Reed (22), Chris Reed (20) und Allison Reed (15) sind ein Beispiel dafür, wie die olympische Idee die Grenzen zwischen Nationen überwindet. Oder sagen wir mal, sie haben diesen Gedanken einfach nur etwas freier ausgelegt.

Die Geschwister wurde in Kalamazoo geboren. Auch wenn in der japanischen Sprache generell gerne Os vorkommen und im Georgischen ja ein O sogar schon im Staatsnamen vorhanden ist - Kalamazoo liegt definitiv im Bundesstaat Michigan, USA. Damit wäre nun immerhin schon mal das Rätsel des lupenreinen Englisch gelöst. Bleibt noch das Rätsel um den japanischen Kinomo und die georgische Trainingsjacke.

Seit sie klein sind, laufen die Amerikaner Cathy, Chris und Allison begeistert auf dem Eis. Auf amerikanischem Eis. Doch es treten bald Probleme auf: Cathy springt nicht hoch genug. "Versuch Eistanz", rät ihr Trainer und schlägt Bruder Chris als Partner vor. Der ist zwar wie gesagt auch Eiskunstläufer, findet Eistanz aber doof. "Viel zu einfach", urteilt er. Dass er mit dieser Einschätzung falsch liegt, dazu später mehr.

Bleibt noch die Kleinste im Bunde, Allison. Womit wir auch schon beim Problem wären: Sie ist einfach zu klein. Allison tanzt seit jeher sehr gut auf dem Eis, aber sie ist einfach zu klein. Und unter 308 Millionen Amerikanern findet sich kein Tanzpartner für die 1,47 Meter große Eistänzerin. Sie macht also erst einmal zwei Jahre Pause. Vielleicht ist in zwei Jahren ja jemand groß oder klein genug für sie.

Cathy und Chris wiederum sind nicht gut genug für die Konkurrenz: Eistanzen hat in den USA Tradition, die Konkurrenz ist gewaltig, die Aussichten, ihr Land jemals bei internationalen Wettkämpfen vertreten zu können, gering. Die Idee, die ihre internationale Eistanzkarriere rettet, könnte den beiden beim Familienessen mit Sonntagsbraten gekommen sein - offiziell wird sie aber Trainer Nikolaj Morozow zugeschrieben. 2006 schlägt er vor: "Startet doch einfach für Japan." Die Mutter der Geschwister ist Japanerin, die Kinder haben seit Geburt die doppelte Staatsbürgerschaft.

Eistanzen in Vancouver
:Aus Bohlens Mottenkiste

Der Eistanz bietet den künstlerischen Höhepunkt der olympischen Spiele in Vancouver. Auch die Kleiderwahl hat einiges zu bieten. In Bildern.

Rebecca Schäfer

Problem erkannt, Problem gebannt: Cathy und Chris tanzen also seither für Japan über das Eis, werden dreimal japanische Meister und qualifizieren sich für die WM und für die Olympischen Spiele, wo sie eben im Kimono und mit Samurai-Fächer die Authentizität ihrer zweiten Nationalität beweisen wollen. Außerhalb des Eises ist das allerdings schwieriger: Mutter Noriko Reed muss zwischen ihren Kindern und dem japanischen Eislaufverband übersetzen.

Wie eine echte Georgierin? Allison Reed mit Partner Otar Japaridze. (Foto: Foto: afp)

Nun ist Noriko Reed dem Vernehmen nach allerdings weder ein Sprachwunder, noch Diplom-Dolmetscherin, weshalb sich die Frage stellt, wer wohl für ihre jüngste Tochter Allison übersetzt.

In den zwei Jahren ihrer Zwangspause ist in den Vereinigten Staaten nämlich immer noch kein Amerikaner aufgetaucht, der ihr gewachsen ist. Aber in der Halle, in der ihre Geschwister Cathy und Chris trainieren, läuft ein junger Georgier, Otar Japaridze. Allison und Otar trainieren im Mai 2009 erstmals zusammen und siehe da: Es passt.

Vier Monate später qualifizieren sie sich als georgisches Paar für die Olympischen Spiele. Noch während der Siegerehrung bei den Eistanz-Europameisterschaften im Januar in Tallinn erhält Allison Reed ihren georgischen Pass. In Georgien ist sie bis jetzt noch nie gewesen. Aber "Hallo" und "Danke" kann sie sagen. Und bei den Olympischen Spielen liegt sie, gekleidet im traditionellen georgischen Kostüm, mit Partner Japaridze vor dem abschließenden Kürtanz auf Platz 20, fünf Plätze hinter ihren Geschwistern Cathy und Chris aus Japan.

Übrigens: Die Qualifikation für Vancouver schafften Allison Reed und Otar Japaridze bei der Nebelhorn-Trophy in Oberstdorf im September 2009. Vielleicht gelingt es der Deutschen Eislauf Union ja irgendwie, Allison Reed davon zu überzeugen, für Deutschland zu starten? Wo doch das deutsche Paar Christina und William Beier bei Olympia derzeit nur drei Plätze vor den Georgiern liegt. Und in Deutschland war Allison Reed ja immerhin schon einmal.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Olympische Spiele 2010
:Verwirrend spektakulär

Kanada feiert die Eistanz-Goldmedaille für Tessa Virtue und Scott Moir. Die europäische Ära im Eistanz ist beendet.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: