US-Sport:Unamerikanisch amerikanisch

Lesezeit: 4 min

Zahlreiche Regeln in amerikanischen Sportligen widersprechen fast allem, wofür die Vereinigten Staaten so gerne stehen möchten. Manche Basketball-Klubs haben sogar jahrelang absichtlich verloren.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die Los Angeles Lakers haben am Montagabend, während der Halbzeitpause der Partie gegen die Golden State Warriors, zwei Trikots ganz oben in der Arena im Stadtzentrum aufgehängt. Sie werden die Rückennummern 8 und 24 künftig nicht mehr vergeben. Mit dauerhafter Präsenz unter dem Hallendach werden im amerikanischen Sport traditionell die Erfolge außerordentlicher Sportler gewürdigt, und natürlich war die Laufbahn von Kobe Bryant mit fünf Titeln herausragend genug für einen Platz neben anderen Lakers-Legenden wie Magic Johnson, Kareem-Abdul Jabbar und Shaquille O'Neal.

Es ist bemerkenswert, dass Bryant gleich zwei Leibchen mit seinem Nachnamen darauf bekommt, so wie es bemerkenswert ist, dass sich an diesem Abend kaum jemand an der unglücklichen 114:116-Niederlage der Lakers gegen den Titelverteidiger störte - selbst Bryant verließ die Halle noch vor Beginn der Verlängerung. Es hängt ja immer alles mit allem zusammen im Leben, und deshalb ist es auch wichtig zu wissen, dass die Philadelphia 76ers kurz zuvor mit 115:117 bei den Chicago Bulls verloren hatten. "Ich bin immer noch dieser kleine Junge aus Philadelphia", sagte Bryant vor der Partie in den Katakomben der Arena: "Der Ehrgeiz, die Verbissenheit, das Müllreden - all das stammt von den Straßen in Philly."

Es ist den Regeln der Basketballliga NBA geschuldet, dass Bryant vor 21 Jahren zu den Lakers gekommen ist und nicht zum Profiklub in seiner Heimatstadt Philadelphia - und anhand dieser einzigartigen Karriere und der Entwicklung beider Vereine lässt sich erklären, wie zahlreiche Regeln in den US-Profiligen völlig widersprüchlich sind zu dem, wofür sie gerne stehen möchten in diesem Land. Sie reden einem ja ständig ein, dass Freiheit das höchste Gut sei, dass einer mit genügend Ehrgeiz und Verbissenheit und ein bisschen Müllreden alles erreichen könne und dass am Ende stets der Stärkere obsiegen würde. Als Beispiele führen sie dann gerne einzelne Akteure wie Bryant an: ehrgeizig, verbissen, im Namen des Erfolgs gerne auch mal rücksichtslos und egomanisch. Amerikanisch eben.

Es gibt eine Gehaltsobergrenze, die jedes Jahr an die erwarteten Einnahmen angepasst wird

Für Vereine allerdings lohnt es sich, auch mal jahrelang erfolglos zu sein - nein, die Strukturen fordern das geradezu heraus: Es gibt keinen Auf- und Abstieg, der Verein mit der schlechtesten Bilanz hat in der Sommerpause die größte Chance, den talentiertesten Nachwuchsspieler wählen zu dürfen. Niemand bildet selbst aus, so wie es etwa Fußballvereine in Europa tun - und ein junger Akteur darf auch nicht selbst über seinen ersten Arbeitgeber bestimmen, sondern unterwirft sich zu Beginn seiner Laufbahn den Regeln des so genannten Drafts, ob er nun von einer amerikanischen Schule oder Uni aus in die NBA wechselt oder von einem europäischen Verein. Bryant wurde 1996 von den Charlotte Hornets gewählt und sogleich zu den Lakers geschickt. Die verpflichteten zudem Center Shaquille O'Neal und gewannen kurz darauf drei Titel nacheinander.

Das führt sogleich zu weiteren Aspekten, die außerhalb des Profisports undenkbar wären in den USA: Der ligaweite Umsatz wird gleichmäßig und brüderlich unter den Vereinen geteilt. Es gibt eine Gehaltsobergrenze, die in jedem Jahr neu entsprechend der zu erwartenden Einnahmen angepasst wird. Es lohnt sportlich also keineswegs, vernünftig zu wirtschaften und einen Kader behutsam aufzubauen - und es verdient ohnehin meist nicht der beste Akteur das meiste Geld, sondern derjenige, dessen Vertrag zu einem dramaturgisch günstigen Zeitpunkt ausgelaufen ist. Es lohnt bisweilen, das Leben eben nicht bei den Hörnern zu packen, sondern Misserfolg geduldig hinzunehmen.

Geht es unamerikanischer?

Bryant wechselte im Jahr 2007 nicht den Verein, das hätte er drei Jahre davor tun können, sondern lediglich die Rückennummer - der Grund, warum sie nun zwei Trikots aufhängen müssen. Vereinsbesitzerin Jeannie Buss sagte am Montag schluchzend: "Jeder der beiden Karriereabschnitte war außergewöhnlich genug, um das zu rechtfertigen." Die Lakers gewannen zwei weitere Titel, gewiss, danach allerdings bezahlten sie einem andauernd verletzten und immer müder werdenden Bryant immer mehr Geld und verhinderten auch dadurch weitere Erfolge.

Die Lakers erholen sich nur langsam von dieser Abhängigkeit, sie haben durch einige schreckliche Spielzeiten nun allerdings die überaus talentierten Lonzo Ball, Brandon Ingram und Julius Randle im Kader. Am Ende dieser Saison dürften sie genügend Gehaltsspielraum haben, zwei Superstars hinzuzufügen. Es heißt, dass LeBron James durchaus daran interessiert sei, dass sein Trikot dereinst nicht nur in den Hallen von Miami (Rückennummer: 6) und Cleveland (23) hängen wird, sondern womöglich auch im Staples Center neben dem von Bryant. Kevin Love möchte sowieso gerne in Los Angeles leben, auch Russell Westbrook könnte an einer Rückkehr in seine Heimatstadt interessiert sein.

Die Liga ist dank ihrer Struktur noch immer immun gegen finanzkräftige Investoren

Über Misserfolg zum Titel, das versuchen sie bei den Philadelphia 76ers seit Jahren, noch etwas extremer als die Lakers. Sie haben absichtlich verloren und das als einzig realistischen Weg zur Meisterschaft verkauft. "Trust the process", rufen sie den Fans seit nunmehr fünf Jahren zu, vertraue der Strategie. Sie haben durch die Erfolglosigkeit Jahlil Okafor bekommen, Joel Embiid, Ben Simmons, Markelle Fultz. In dieser Spielzeit sollte es endlich so weit sein mit der Teilnahme an der Ausscheidungsrunde, doch so einfach ist es dann doch nicht: Auch aufgrund etlicher Verletzungen dümpeln die 76ers mit einer Bilanz von 14:15 im Mittelfeld. Der Prozess dürfte noch ein bisschen dauern, und es ist keineswegs gewährleistet, dass er tatsächlich zu einer Finalteilnahme führt.

Es braucht eben auch, und das geben sie in den USA gewöhnlich nur unter Androhung körperlicher Gewalt zu: Es braucht eben auch ganz viel Glück. Bei den Warriors etwa war Spielmacher Steph Curry zu Beginn seiner Karriere häufig verletzt und unterschrieb für deutlich weniger, als er nun wert ist. Aufgrund der wegen lukrativer TV-Verträge explodierenden Gehaltsobergrenze konnten die Warriors nicht nur Curry, Klay Thompson und Draymond Green halten, sondern auch den derzeit überragenden Kevin Durant verpflichten.

Es erinnert ein wenig an Sozialismus, was sie im amerikanischen Profisport da machen - doch scheint sich daran kaum jemand zu stören. Sie sind durch diese Strukturen immun gegen finanzkräftige Investoren, die einen Verein so lange mit Geld bewerfen, bis er endlich erfolgreich ist wie etwa Manchester City oder Paris Saint-Germain. Und sie sind gefeit gegen die Langeweile, die in den nationalen europäischen Fußballligen herrscht - die Regeln sorgen zumindest theoretisch dafür, dass jeder Verein eine realistische Chance auf den Titel hat. Zudem sind die US-Ligen finanziell gesund, die Vereine erwirtschaften großteils Gewinne, werden zuverlässig wertvoller. Um Einnahmen, Profit und Wert zu maximieren, haben sie im US-Profisport völlig unamerikanische Strukturen etabliert. Das jedoch ist freilich wieder absolut amerikanisch.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: