US Sport:Ein Puzzlespiel mit festem Wert

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Der Mann mit dem 64-Millionen-Dollar-Vertrag: Christian McCaffrey, Running Back von den Carolina Panthers. (Foto: Streeter Lecka/AFP)

In Europa wird gerade über Gehaltsobergrenzen diskutiert, in den USA gibt es sie längst. Dennoch werden dort andauernd Gehaltsrekorde aufgestellt. Wie kann das sein?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die ehrlichste Reaktion auf diesen wahnwitzigen Vertrag stammt eindeutig von Alvin Kamara. Der Running Back der New Orleans Saints zockt gemeinsam mit Freunden das Videospiel Call of Duty, plötzlich ruft er: "Warte! Pause! Pause!" Er liest die Nachricht vor, die er gerade auf das Handy bekommen hat: Die Carolina Panthers haben ihrem Running Back Christian McCaffrey 64 Millionen Dollar für vier Spielzeiten geboten, er wird der bestbezahlte Laufspieler in der Geschichte der US-Footballiga NFL.

"Was bedeutet das für dich?", fragt ein Kumpel, der weiß, dass Kamara, 24, im letzten Jahr seines Jungprofi-Vertrages gerade mal 2,133 Millionen Dollar verdienen wird, obgleich seine Statistiken denen von McCaffrey ähnlich sind. "Ich spiele nur Football", antwortet Kamara: "Ich kümmere mich nicht um all die Verträge und all das Zeug, all das Geld. Gruß an Christian, er ist mein Kumpel." Klar, das sagt sich leicht, wenn man den Vertrag des Kollegen als Richtlinie nehmen darf für den eigenen Kontrakt, den man unterschreiben wird: Aus dem Umfeld der Liga ist zu hören, dass die Saints Kamara noch während dieser Pause einen Dreijahresvertrag für insgesamt 37 Millionen Dollar anbieten werden.

Angesichts der Corona-Pandemie wird über obszöne Gehälter im Profisport debattiert, auch über die Einführung von Obergrenzen, wo es sie noch nicht gibt, etwa in Europa. Ewald Lienen, Technischer Direktor beim Fußball-Zweitligisten St. Pauli, hat so etwas für Gehälter und Ablösesummen angeregt, der italienische Fußballklub AS Rom will keinen Vertrag mit mehr als drei Millionen Euro Netto-Jahresgehalt mehr anbieten. Im US-Sport gibt es solche Obergrenzen seit Jahrzehnten. Doch wie kann es sein, dass dennoch andauernd Gehaltsrekorde aufgestellt werden?

Das liegt zunächst an der Struktur der US-Ligen: Die NFL verwaltet sich selbst, es gibt keinen Verband, keinen Auf- und Abstieg und auch keinen Austausch mit Ligen aus anderen Ländern. Die 32 Vereine wissen, dass sie stets in der höchsten Liga agieren, es gibt keine internationalen Konkurrenzklubs und bis auf wenige Ausnahmen (Steuergesetze in einzelnen Bundesstaaten) keine Regeln, die regional angepasst werden müssen. Das führt zu Planungssicherheit und erleichtert Gehaltsobergrenzen, die nicht willkürlich festgelegt, sondern an die Einnahmen gekoppelt sind.

Die NFL hat sich gerade mit der Spielergewerkschaft auf einen Tarifvertrag geeinigt: Von 2021 soll jeder Verein in der regulären Saison 17 statt bisher 16 Partien absolvieren, an den Playoffs sollen 14 statt zwölf Teams teilnehmen. Dafür sollen 48,8 Prozent des Gesamtumsatzes für Gehälter der Spieler aufgewendet werden. Die Obergrenze verändert sich anhand der Einnahmen, die durch neue TV-Verträge und die Expansion in neue Märkte in den vergangenen fünf Jahren von 11,09 auf 14,48 Milliarden Dollar gestiegen sind - und nun wegen mehr Partien weiter steigen sollen. In dieser Saison dürfte die Obergrenze bei 198,2 Millionen Dollar pro Verein liegen, zehn Millionen Dollar mehr als im vorigen Jahr.

Der Wert der Dallas Cowboys hat sich binnen 30 Jahren vervierzigfacht

Es gibt deshalb keine Möglichkeit, einen kostspieligen Superkader zu kreieren. Es geht eher darum, Puzzleteilen einen bestimmten Wert zuzuschreiben und ein Bild zu basteln, das nicht perfekt ist, sondern das mit den wenigsten Löchern. Man kann dieses System für töricht halten: dass also wirtschaftlich verantwortungsbewusstes Handeln nicht belohnt, sondern verordnet wird. Und dass aufgrund solcher Regeln - und auch jener, wonach bei der Talentbörse erfolglose Vereine zuerst wählen dürfen -, jede Franchise mittelfristig Chancen auf den Titel haben soll.

Andererseits: Es gibt wohl keine NFL-Franchise mit Geldsorgen, wie sie europäische Fußballvereine haben. Der Wert der Dallas Cowboys hat sich innerhalb der vergangenen 30 Jahre auf nun 5,5 Milliarden Dollar vervierzigfacht. Kein Verein ist weniger wert als 1,9 Milliarden (Buffalo Bills).

Verhandlungen können trotz Ausgangssperre geführt werden, viele NFL-Franchises wollen das Grundgerüst ihres Kaders vor der jährlichen Talentbörse bauen, die am 23. April übers Internet abgehalten wird. McCaffrey, der Mann mit dem 64-Millionen-Dollar-Vertrag, ist offiziell Running Back, als solcher hat er in der vergangenen Saison 1387 Yards Raumgewinn geschafft. Er fing allerdings auch 116 Pässe für 1005 Yards und wurde deshalb nach Roger Craig (1985) und Marshall Faulk (1999) der dritte Akteur der NFL-Geschichte, der sowohl als Läufer als auch als Fänger in einer Saison jeweils mehr als 1000 Yards Raumgewinn geschafft hat.

"Es wäre unfair, ihn als reinen Laufspieler zu bezeichnen", sagt der neue Trainer Matt Rhule, den die Panthers auch deshalb verpflichtet haben, damit er um den 23-jährigen McCaffrey eine schlagkräftige Offensive bastelt. In der kommenden Saison wird McCaffrey zunächst die im Jungprofivertrag vermerkten 2,8 Millionen Dollar verdienen, erst danach beginnen die stattlichen Zahlungen von 16 Millionen Dollar pro Spielzeit.

Die Panthers können deshalb weitere kostspielige Akteure verpflichten. Nach dem Karriereende von Star-Verteidiger Luke Kuechly, Entlassungen von Quarterback Cam Newton und Tight End Greg Olson und nicht verlängerten Verträgen wie dem von Defensivspieler James Bradberry (New York Giants, 43,5 Millionen für drei Jahre) haben sie ordentlich Spielraum. Es heißt, dass sie beim Draft einen Quarterback wählen könnten, den sie zum Jungprofi-Tarif-Nachfolger des gerade geholten Teddy Bridgewater (63 Millionen Dollar für drei Jahre) aufbauen. Dazu nur soviel, weil es ja um den Wert von Puzzleteilen geht: Noch nie hat ein NFL-Team den Titel gewonnen, das seinem Quarterback in jener Saison mehr als 20 Millionen Dollar bezahlt hat.

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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