US Open:In der Arthur-Ashe-Klinik

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Fröhlich und ausnahmsweise beschwerdefrei: Venus Williams erfreut die New Yorker während einer Showveranstaltung beim Federballspiel. (Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Venus Williams ist fit. Generell aber prägt eine Flut von Verletzungen das Tennisturnier in New York. Rafael Nadal kommentiert es mit Humor.

Von Jürgen Schmieder, New York

Am Ende, sozusagen als Höhepunkt dieser Episode der Seifenoper Arthur-Ashe-Klinik, da betrat Andy Murray die Intensivstation dieses Krankenhauses, das nur zur Tarnung aussieht wie eine Tennis-Arena gleichen Namens in Flushing Meadows, New York. "Ich habe getan, was ich konnte", sagte er mit sorgenvoller Doktor-Brinkmann-Miene. Er könne wegen einer Hüftverletzung, die ihn bereits seit Monaten plage, nicht an den US Open teilnehmen: "Es würde nur schlimmer werden, wenn ich antreten würde. In dieser Verfassung kann ich das Turnier nicht gewinnen - und nur deshalb bin ich hier."

Es ist ein erstaunliches Drama mit immer neuen Wendungen, das sich da seit Wochen entfaltet. Wann immer es ein bisschen langweilig zu werden drohte im Tennis, sorgte ein weiterer Protagonist für Aufregung, als wäre diese Veranstaltung eine kolumbianische Telenovela: Zunächst erklärten die beiden Vorjahresfinalisten, Stan Wawrinka aus der Schweiz (Operation am linken Knie) und der Serbe Novak Djokovic (rechter Ellenbogen), ihren Verzicht auf die US Open. Danach der Japaner Kei Nishikori (rechtes Handgelenk), der im vergangenen Jahr das Halbfinale erreicht hatte. Später der Kanadier Milos Raonic (linkes Handgelenk) und am Samstag dann noch der Weltranglistenzweite Murray.

Man könnte nun nach einem größeren Zusammenhang für all die Ausfälle suchen oder auch eine Verschwörungstheorie entwickeln, warum fünf der elf besten Spieler der Welt fehlen: zu viele Turniere auf zu vielen Kontinenten zum Beispiel, die weniger der Suche nach dem Besten dienen als vielmehr der Befriedigung der zahlreichen Sponsoren weltweit. Es gibt in dieser unterhaltsamen Serie allerdings auch den weisen Professor, den übrigens gerade selbst Rückenschmerzen plagen und der den Leuten sagt, dass sie sich mal nicht so anstellen sollen.

Roger Federer erklärte den Zuschauern, dass Profisportler andauernd an irgendwelchen Zipperlein leiden würden - auf die Frage, wie oft er sich in einer Karriere topfit gefühlt habe, da sagte er: "Bei 50 Prozent der Turniere vielleicht, und was sind schon 100 Prozent? Es ist immer was, vor allem bei den ersten Schritten nach dem Aufstehen fühlt man seinen Körper. Häufig spielt man dann eben mit Schmerzen." Das Alter spiele freilich eine Rolle, wie auch Rafael Nadal erwähnte, der am Samstag den heiteren Komödianten gab: "Schauen Sie, wir sind alle keine 21 mehr. Novak und Andy sind 30 Jahre alt, Wawrinka ist 32. Ich bin einunddreißigeinhalb. Da kann immer was passieren." Heißt übersetzt: Wir sind keine jungen Hüpfer mehr, wir sind alte Säcke. Da tut eben mal was weh.

Es gewinnt bei einem Grand-Slam-Turnier nicht immer der Spieler mit der präzisesten Rückhand, der stabilsten Psyche oder der ausgefeiltesten Taktik, sondern oft auch jener, der seinen Körper nach sechs Matches über jeweils drei Gewinnsätze bei 40 Grad im Schatten auch noch zum Finale aufs Spielfeld schleppen kann. Das eröffnet in diesem Jahr angesichts der zahlreichen Ausfälle vor allem jüngeren Spielern grandiose Möglichkeiten. Es verbietet sich für einen Akteur freilich, zumindest öffentlich, weiter zu denken als bis zur nächsten Partie. Alexander Zverev etwa sagt: "Es bringt mir ja nichts, wenn ich an Rang vier gesetzt bin und alle sagen, wie weit ich kommen kann - und dann fliege ich in der ersten Runde raus."

Wer jedoch den Spielplan intensiv studiert, der entdeckt einige interessante Details: Zverev kann bis zum Halbfinale auf niemanden treffen, der in der Weltrangliste höher als Platz 14 (John Isner, USA) notiert ist. Der aufgrund von Andy Murrays Verletzung in die Setzliste gerutschte Philipp Kohlschreiber muss frühestens in der dritten Runde gegen einen anderen gesetzten Akteur (Nick Kyrgios, Nummer 18 der Weltrangliste) spielen, es lockt zudem ein Duell mit Federer im Achtelfinale. Und Marin Cilic (Nummer fünf der Setzliste) könnte sich wie bei seinem Turniersieg vor drei Jahren beinahe unbemerkt durchs Turnier schleichen. "Es gibt einige Bereiche im Tableau, da ist plötzlich beinahe alles möglich", sagt Federer: "Es ist eine unglaubliche Chance für alle Spieler, die gerade nicht zu den Top Ten gehören."

Das wahre Drama bei den US Open, das beginnt natürlich erst, wenn das Turnier losgeht - und doch ist dieser Prolog höchst interessant gewesen. Wer hinüberblickt in den anderen Flügel des Krankenhauses, der sieht, dass auf der Frauenstation keine geringeren Dramen geboten werden. Serena Williams erwartet die Geburt ihrer Tochter, Victoria Asarenka wird aufgrund eines Sorgerechtsstreits um Sohn Leo nicht nach New York reisen. Auch Nebendarstellerinnen wie Sabine Lisicki kamen durch das Verkünden eines Schnupfens zu drei Sekunden Seifenoper-Ruhm.

Und bei den Frauen? Da schmerzt Angelique Kerbers Ellbogen

Auch bei den Frauen ist das Feld weit geöffnet, insgesamt haben sieben Teilnehmerinnen die Chance, nach den US Open die Weltrangliste anzuführen. Angelique Kerber aus Kiel dagegen ist diejenige Spielerin mit dem höchsten Eintrag in der Setzliste (Platz sechs), die nicht Weltranglistenerste werden kann; sie muss diesmal aufgrund ihres Turniersiegs in New York im vorigen Jahr zu viele Punkte verteidigen. Ist sie dafür wenigstens gesund? Nein, natürlich nicht: Der Ellbogen schmerzt. "Mehr Golfarm als Tennisarm", sagt sie und blickt dabei wie einst Gaby Dohm in der Schwarzwaldklinik: "Ich muss gucken, wie es halten wird."

© SZ vom 29.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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