Ungarn:Auf den Spuren von Puskas

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Deutschland, wir kommen! Bei ihrer vierten EM-Teilnahme werden Ungarns Fußballer in München auch auf die DFB-Elf treffen. (Foto: Tibor Illyes/AP)

Eine Hammergruppe und zwei Heimspiele in Budapest: Ungarn freut sich auf eine attraktive EM-Gruppe, Dominik Szoboszlai wird zum Helden.

Von Felix Haselsteiner

Die Jubeltraube um ihn herum hatte sich fast schon wieder aufgelöst, doch Dominik Szoboszlai blieb noch einen Moment im Gras liegen. Die Hände hatte der 20-Jährige noch ungläubig über das Gesicht gefaltet, und vor lauter Freude sei ihm dabei, wie er später zu Protokoll gab, "alles durch den Kopf geschossen: von meiner Kindheit bis zur EM, zu der wir jetzt tatsächlich fahren".

Angesichts des historischen Moments, der dem ungarischen Jubel vorausgegangen war, wirkte die Reaktion verständlich: Dank Szoboszlais Tor zum 2:1 im Qualifikations-Finalspiel gegen Island ist Ungarn erst zum vierten Mal für eine Europameisterschaft qualifiziert, nach 1964, 1972 und 2016. Im Sommer 2021 wartet eine spektakuläre Gruppe, mit Deutschland, mit dem aktuellen Weltmeister Frankreich und mit Europameister Portugal. Zwei der Vorrundenspiele finden zudem in Budapest statt, und dieses ganze schöne Szenario war am Donnerstagabend plötzlich ziemlich fern, weil Ungarn bis zur 88. Minute 0:1 hinten lag. Aber dann kamen der erlösende Ausgleich - und der furiose Auftritt von Szoboszlai.

Dieser feine Fußballer von RB Salzburg, der im perfekten Drehbuch des Abends zum Spielentscheider wurde, dürfte auch im nächsten Sommer aus der ungarischen Elf herausstechen. Szoboszlai ist der talentierteste Spieler, den die Ungarn seit vielen Jahren hervorgebracht haben. Er wird vielleicht schon im Januar zu einem Verein wechseln, der ihm auch international noch mehr Beachtung einbringt als Salzburg. Dass er schon jetzt als Spielmacher mit der Nummer 10 seine Nationalmannschaft zur EM geführt hat, dürfte ihm nun noch häufiger den Vergleich mit der größten Nummer 10 des ungarischen Fußballs einbringen, dem Namenspatron jenes Stadions, in dem Szoboszlai am Donnerstag zum Helden wurde: Denn der legendäre Ferenc Puskás hätte das 2:1 nicht schöner erzielen können.

Auf der linken Seite hatte Szoboszlai den Ball in einer Kontersituation bekommen, von dort aus war er losgelaufen, 30, 40, 50 Meter, am Ende bog er in die Mitte Richtung Strafraum ab - und gab dann mit seiner ganz eigenen Schusstechnik einen wuchtigen Flachschuss ab, der präzise platziert an den rechten Innenpfosten und dann ins Tor prallte. Szoboszlai äußerte sich später eher bescheiden zu seiner Großtat: "Ich mag heute der Held sein, aber ohne meine Mannschaftskollegen wäre das nicht möglich gewesen."

Das 2:1 war der Abschluss einer durchaus beeindruckenden, auf die Schlussminuten zugespitzten Aufholjagd der Ungarn gewesen, die früh in Rückstand geraten waren - durch einen Freistoß des früheren Hoffenheimers Gylfi Sigurdssons, bei dem Torwart Peter Gulasci von RB Leipzig sehr unglücklich aussah.

Ab diesem 0:1 (11.) liefen die Ungarn gegen ein isländisches Abwehrbollwerk an, das zwar ohne das von der EM 2016 bestens bekannte "Huh" der Fans standhalten musste. Dafür verteidigten die Isländer mit so viel Geschick und Aufopferungswillen wie damals. Doch der Traum von der erneuten Turnierteilnahme platzte noch. Die spielerisch überlegenen Ungarn wurden in der zweiten Halbzeit immer druckvoller. Szoboszlai spielte zwar keineswegs überragend, fand jedoch immer wieder Wege, um aus der Tiefe Angriffe einzuleiten - eine Qualität, die er auch in Salzburg zeigt. Dirigiert wurde die taktische Marschroute für die zweite Halbzeit per Video und Mobiltelefon. Denn Ungarns Cheftrainer Marco Rossi fehlte aufgrund eines positiven Corona-Tests und wurde auf der Bank von Assistent Cosimo Ignuscio vertreten. Rossi soll in der Halbzeitpause in die Kabine zugeschaltet worden sein, in der zweiten Halbzeit sah man seinen Co-Trainer dann auch auf der Bank telefonieren. Von wem auch immer die Idee stammte, in der 84. Minute trotz des Rückstands den Außenverteidiger Loic Nego einzuwechseln - es war ein Glücksgriff. Vier Minuten später nutzte Nego den ersten groben Abwehrfehler der Isländer zum 1:1, der Ball war ihm von einem Verteidigerbein direkt vor die Füße geprallt.

Als nun alle mit Verlängerung rechneten, setzte Szoboszlai mit seinem erstaunlichen rechten Fuß die Schlusspointe. Dabei befürchtete Ungarn zu Wochenbeginn sogar, auf den 20-Jährigen im Millionenspiel verzichten zu müssen, weil es in Salzburg sechs positive Corona-Tests gegeben hatte und alle RB-Spieler in Quarantäne sollten. Erst als sich die Ergebnisse im Labor als falsch erwiesen, durfte Szoboszlai nach Budapest reisen. "Die letzten Tage waren emotional eine Achterbahnfahrt", sagte er nach dem Happy End.

Die Ungarn haben sich aber nicht nur wegen ihres starken Zehners verdient für die EM qualifiziert. Unter dem italienischen Trainer Rossi hat sich das kampfstarke Team, in dem gegen Island auch die Bundesligaprofis Orban (Leipzig) und Szalai (Mainz) standen, spielerisch deutlich verbessert. Dass sie in der prominent besetzten EM-Gruppe Außenseiter sein werden, muss für sie kein Nachteil sein.

© SZ vom 15.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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