Ulm ist deutscher Basketballmeister:Eine Geschichte wie im Sportfilm

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Karim Jallow schreit nach dem Spiel seine Freude heraus. (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Für einen Moment größer als das Münster: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte werden die Ulmer Basketballer deutscher Meister - und fast alles an diesem Titel ist eine Überraschung.

Von Ulrich Hartmann

Der Kirchturm des Ulmer Münsters ist 161,53 Meter hoch, er ist der höchste der Welt. Der Stolz der Ulmer Basketballfans auf ihren deutschen Meister Ratiopharm Ulm war am Samstag aber mindestens noch fünf Zentimeter größer. Geschätzt 5000 zumeist in orange Trikots gehüllte Menschen feierten auf dem sonnenüberfluteten Münsterplatz jene Mannschaft, die am Freitagabend mit einem 74:70-Sieg gegen die Telekom Baskets Bonn und einem 3:1 in der Finalserie den ersten Ulmer Meistertitel perfekt gemacht hatte. Die Spieler fuhren auf einem Laster durch die Innenstadt und ließen sich auf dem Münsterplatz feiern.

"Das war wie bei einem Rockkonzert, das hatte NBA-Ausmaße", beschreibt der Geschäftsführer Thomas Stoll die Szenerie und vergleicht sie mit der Begeisterung im Basketball-Mutterland USA und deren Profiliga NBA. Stoll hat das Ulmer Basketball 22 Jahre lang maßgeblich mit vorangebracht und glaubt, dass der gesamte deutsche Basketball jetzt von diesen Bildern des Überschwangs profitieren kann. "So eine Euphorie, glaube ich, hat es beim Basketball in Deutschland noch nicht gegeben, diese Bilder tun dem deutschen Basketball gut." In den 13 Jahren zuvor hatte der deutsche Meister immer entweder Baskets Bamberg, Alba Berlin oder Bayern München geheißen. Mit Ulm gelangt nun ein oranger Ulmer Farbtupfer in die Chronik.

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Es war Sport auf hohem Niveau: Ulm erspielt sich durch einen 112:84-Sieg gegen Bonn den ersten Matchball für die deutsche Meisterschaft. Die Schwaben sind nach dieser Klasseleistung Favorit auf ihren ersten nationalen Titel.

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Eine Zeitenwende in der Bundesliga sieht Stoll allerdings nicht. "Das war eine absolute Ausnahme", vermutet er. "Wir werden jetzt nicht jedes Jahr die Bayern und Berlin schlagen." Im Rahmen einer fünfwöchigen Kraftanstrengung und Willensleistung besiegten die Ulmer binnen drei Playoff-Runden den Hauptrundenzweiten und Vorjahresmeister Alba Berlin (3:1), den Hauptrundendritten und Pokalsieger Bayern München (3:0) und den Hauptrundenersten und Champions-League-Sieger Telekom Baskets Bonn (3:1).

Unmittelbar nach dem Triumph hatte Ulms Trainer Anton Gavel seiner Frau Elena gedankt, der Flügelspieler Karim Jallow seiner Oma Ingrid und der ebenso tief enttäuschte wie tief gläubige Bonner Spielmacher TJ Shorts trotz allem dem Herrn. Am Ende dieser Saison ging es zu wie bei der Oscar-Verleihung, bloß dass die Emotionen in der Ulmer Arena extremer ausfielen als in Hollywood. Tatsächlich taugt diese Ulmer Geschichte für einen spannenden und emotionalen Sportfilm, so sensationell ist dieses Drehbuch über einen Klub, der zuvor nie Meister war, die Hauptrunde bloß als Siebter beendete und dann drei deutlich favorisierte Kontrahenten eliminierte. "Das ist phänomenal", bejubelte der Sportdirektor Thorsten Leibenath "den größten Erfolg der Vereinsgeschichte."

Gavel ist der erste deutsche Meistertrainer seit Bauermann 2007

Nach drei verlorenen Finals (1998, 2012, 2016) gelang den Schwaben im vierten Versuch der erste Meistertitel. Bonn hingegen erlitt bei seiner sechsten Finalteilnahme (nach 1997, 1999, 2001, 2008 und 2009) die sechste Niederlage. Die Rheinländer trösten sich mit dem Champions-League-Titel vor einem Monat und mit der Zusage ihres scheidenden Hauptsponsors Telekom, bis zum Vertragsende 2024 noch mal eine Million Euro draufzulegen. Es erscheint dennoch unwahrscheinlich, dass dieser unverhoffte Segen dabei hilft, den Trainer Tuomas Iisalo und den Spielmacher TJ Shorts in Bonn zu halten.

Iisalo war nach der Hauptrunde von der Liga zum Trainer der Saison gekürt worden und Shorts zum Spieler der Saison. Doch in der Finalserie raubten ihnen Ulms Trainer Anton Gavel und der brasilianische Spielmacher Yago Mateus dos Santos die Show. Cheftrainer-Debütant Gavel und sein Assistent Tyron McCoy gelten als die Väter des Erfolgs. Gavel war als Spieler vier Mal Meister mit Bamberg und ein Mal mit den Bayern, jetzt ist der 38-Jährige der erste deutsche Meistertrainer seit Dirk Bauermann 2007 mit Bamberg.

Yago Mateus Dos Santos wurde zum MVP der Finals gekürt. (Foto: H. Langer/Imago)

Nie zuvor war in der Basketball-Bundesliga ein Vorrundensiebter Meister geworden, nie hatte eine Mannschaft in den drei Playoff-Runden die drei besten Hauptrunden-Teams besiegt. "Dieser Titel ist so besonders, weil er so unwahrscheinlich war", sagte der Kapitän Thomas Klepeisz. Der Flügelspieler Robin Christen assistierte: "Wir waren zur richtigen Zeit ready." Und Titelheld Yago definiert die Ulmer Playoff-Formkurve in brüchigem Englisch prägnant: "Better, better, better!"

Dabei war Ulms Saison unrund. Von den ersten sechs Spielen verlor man fünf. Im Januar wurde aus Mexiko der Brasilianer Bruno Caboclo nachverpflichtet, ein ehemaliger NBA-Spieler, und er verstärkte nicht nur das Kollektiv, sondern zündete auch den Turbo beim 24 Jahre jungen Landsmann Yago, der in seinem ersten halben Jahr Schwierigkeiten mit der Akklimatisierung gehabt hatte. "Dass Bruno kam, hat mir sehr geholfen", sagte Yago. Auch dadurch avancierte er zum überragenden Spieler der Playoffs und wurde zum Most Valuable Player (MVP) der Finals gekürt.

Könnte Ulm seine Meistermannschaft zusammenhalten, spielten sie in der kommenden Saison vielleicht wieder um den Titel mit. Doch das kann sich der Manager Stoll kaum vorstellen: "Momentan erscheint es mir unmöglich, dass die Mannschaft so zusammenbleibt, denn das ist von unserem Budget her kaum zu bewältigen." Er weiß, dass es an Yago und Caboclo großes Interesse zahlungskräftiger Klubs gibt. Mit dem Abgang der Brasilianer muss gerechnet werden. "Aber vielleicht bleiben sie ja auch", sagt Stoll schulterzuckend. Noch will er die Hoffnung nicht aufgeben.

Thomas Klepeisz und Nicolas Bretzel halten ein Bild des verstorbenen Teambetreuers Andreas Klee hoch. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

An diesem Montag ist noch ein gemeinsames Essen mit der Mannschaft und mit Klubsponsoren geplant. Aber es steht auch noch eine Beerdigung an. Den Titel widmet der Verein einem Mann, der sein Leben dem Ulmer Basketball verschrieben hatte. Der langjährige Busfahrer und Teambetreuer Andreas 'Kutscher' Klee hat 22 Jahre lang vom Titel geträumt, aber nun, als es endlich klappte, hat er es nicht mehr miterlebt. Einen Tag nach dem Halbfinalsieg gegen Bayern München war er im Alter von 59 Jahren verstorben.

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