U20-WM im Eishockey:Die Scouts blicken auf Deutschland

Lesezeit: 3 min

Erzielten gemeinschaftlich alle fünf Tore: Tim Stützle und John Peterka bejubeln bei der U20-WM mit Florian Elias (von links) einen Treffer gegen die Schweiz. (Foto: JASON FRANSON/AP)

Bei der Nachwuchs-WM im Eishockey ragen die Deutschen Tim Stützle und John-Jason Peterka heraus: Im Spiel gegen die Schweiz erzielten sie alle fünf Tore. Vor dem Viertelfinale gegen Russland werden Vergleiche mit NHL-Profi Leon Draisaitl gezogen.

Von Christian Bernhard, München

Tobias Abstreiter konnte nicht anders, als auf die Nachhaltigkeit des Geschehens hinzuweisen. Was hier passiert sei, "ist für mich ein historisches Ereignis", sagte der Bundestrainer der U20-Eishockey-Nationalmannschaft, die am Silvestertag tatsächlich Geschichte geschrieben hat. Dank eines 5:4-Erfolgs über die Schweiz qualifizierte sich die deutsche Auswahl erstmals für das Viertelfinale bei einer U20-Weltmeisterschaft. Im kanadischen Edmonton trifft Deutschland an diesem Samstag auf Mitfavorit Russland (18 Uhr mitteleuropäischer Zeit). Zwei der Hauptgründe für diesen Erfolg sind Tim Stützle und John-Jason Peterka. Zusammen erzielte das Angreifer-Duo alle fünf Tore gegen die Schweiz und beendeten die Partie mit jeweils fünf Scorerpunkten. Verteidiger Simon Gnyp hob den Teamspirit hervor - und lobte das Duo Stützle-Peterka für ein "brutales Spiel".

Um einen Eindruck vom Stellenwert der U20-Weltmeisterschaft im Eishockey zu bekommen, empfiehlt es sich, Leon Draisaitl zuzuhören. Der wertvollste Spieler der abgelaufenen NHL-Saison, der in Edmonton lebt und für die Oilers spielt, sagte bei Magentasport, das Turnier sei in Kanada "fast wie eine Religion". Jeder Kanadier, betonte Draisaitl, schaue den Wettbewerb an. Und nicht nur die Kanadier sahen einen groß aufspielenden Tim Stützle. Der 18-Jährige, der vor wenigen Tagen einen Dreijahresvertrag bei den Ottawa Senators unterschrieben hat, die ihn im Oktober an Nummer drei des NHL-Drafts ausgewählt hatten, verzaubert auch das Fachpublikum. "Ich glaube nicht, dass es einen Spieler im Turnier gibt, der mehr bereit ist, und ich meine nicht einmal annähernd so bereit für die NHL, wie Tim", schwärmte Ex-NHL-Spieler und Fernsehexperte Ray Ferraro. Draisaitl ist bereits dort angelangt, wo Stützle und Peterka hinwollen: ganz oben. Speziell Stützle scheint das Rüstzeug dafür zu haben. Der Schweizer NHL-Scout Thomas Roost sagte, Stützle sei "bei weitem der schnellere, beweglichere und stilvollere Schlittschuhläufer als Draisaitl im gleichen Alter".

Solche Einschätzungen sorgen dafür, dass viele Augen auf die zwei deutschen Toptalente gerichtet sind. Bis hierhin hat das die beiden nicht gehemmt, die in der Scoring-Liste des Turniers die Plätze drei und vier belegen. "Da wir gedraftet sind, schauen noch mehr Leute auf uns. Das ist ein schönes Gefühl für uns beide", sagt Peterka, der beim EHC Red Bull München unter Vertrag steht und von den Buffalo Sabres an Nummer 34 gewählt worden ist. Die vielen Blicke bringen auch Erwartungen mit sich. "Damit muss er umgehen können, weil der Druck wird nicht weniger, wenn es dann wirklich in die NHL geht", sagte Draisaitl mit Blick auf Stützle. Wie groß die Anspruchshaltung in Ottawa ist, machte die Aussage von Senators-General-Manager Pierre Dorion deutlich. "Wir glauben, dass Tim eines Tages ein Superstar sein wird", sagte Dorion, "und er wird einer der wichtigsten Bausteine für unseren Stanley-Cup-Erfolg sein." Den haben die Senators in der modernen Eishockeyära noch nie gewonnen.

Spieler wie Stützle, Peterka und Moritz Seider, der Nummer-6-Draftpick des Jahres 2019, der auch noch bei der U20-WM spielberechtigt wäre, von seinem NHL-Klub Detroit Red Wings aber nach Schweden verliehen wurde, um dort Spielpraxis im Seniorenbereich zu sammeln, haben dafür gesorgt, dass Deutschland mittlerweile ein deutlich höheres Standing bei den NHL-Scouts genießt. Früher habe man bei Scouting-Reisen in Europa oft nur Schweden oder Finnland angesteuert, erklärte Dallas-Stars-Scout Joe McDonnell. Mittlerweile sei mit Deutschland "ein weiteres Land in die Liste" aufgenommen worden: "Hoffentlich", sagte er, "werden sie weiterhin solche Spieler herausbringen."

Die aktuelle Generation darf sich nun erst einmal mit den von Eishockey-Legende Igor Larionov trainierten Russen messen. Das allein sei schon unglaublich, unterstrich Bundestrainer Abstreiter. "Mit diesen Umständen, die wir erlebt haben, jetzt im Viertelfinale zu stehen, das ist eigentlich unfassbar." Wichtige Spieler wie der an Nummer 16 gedraftete Lukas Reichel und seine Berliner Teamkollegen Tobias Ancicka und Nino Kinder konnten die Reise nach Kanada aufgrund eines positiven Corona-Tests erst gar nicht antreten. Als das deutsche Team in Edmonton ankam, wurden acht weitere Spieler positiv auf das Coronavirus getestet. Die Folge: eine zehntägige Quarantäne in Einzelzimmern. "Eine blöde Situation für alle hier", fand Peterka, der wie seine Kollegen täglich zwei Workouts via Video im Zimmer absolvierte. Mehr war nicht möglich. Als Draisaitl per Video-Anruf die "Eingesperrten" überraschte, "waren die Jungs zu schüchtern, um ihn was zu fragen", erzählte Stützle lachend.

An eine normale Turniervorbereitung war nicht denken, was einen Tag nach dem 3:5 gegen Finnland eine herbe 2:16-Pleite gegen Kanada zur Folge hatte. Drei Spiele lang standen Abstreiter lediglich 14 Feldspieler zur Verfügung, erst gegen die Schweiz war die Aufstellung komplett. "Wir können unheimlich stolz sein auf diese Truppe", sagte Sportdirektor Christian Künast. "Unser Weg geht weiter, wir sind noch nicht am Ende." Klar ist: Um gegen Russland eine Chance zu haben, müssen Stützle und Peterka wieder herausragen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: