U 21:England schwört auf Fußball-Mantras

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Nathan Redmond (2.v.l.) feiert mit Ben Chilwell, Nathaniel Chalobach und Jacob Murphy bei der U-21-EM (Foto: AFP)
  • Englands U 21 trifft im Halbfinale der EM am Dienstagabend (18.00 Uhr) auf die deutsche Auswahl.
  • 2017 ist für Englands Fußballnachwuchs schon jetzt das beste Jahr der Geschichte. Vor zwei Wochen gewann die U 20 in Südkorea die Weltmeisterschaft.
  • Um sich zu stärken, nutzen die Spieler auch die Kraft der Suggestion.

Von Ulrich Hartmann, Tychy

Als die englische A-Nationalmannschaft letztmals in einem Europameisterschafts-Halbfinale stand, endete das Turnier für sie mit einer Niederlage gegen Deutschland. 1996 wurde das Halbfinale in London im Elfmeterschießen verloren. Stefan Kuntz schoss den deutschen Treffer in der regulären Spielzeit und verwandelte am Ende auch einen Elfmeter. Als die englischen U 21-Fußballer letztmals in einem EM-Halbfinale standen, verloren sie 2009 das Endspiel in Malmö gegen eine von Horst Hrubesch trainierte deutsche Elf mit 0:4. An diesem Dienstag spielt die englische U 21 erstmals wieder ein EM-Halbfinale - und klar, gegen Deutschland (18 Uhr, ARD). Kuntz ist Trainer dieser deutschen Elf und Hrubesch Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes. Man sieht sich bekanntlich immer zweimal im Leben.

2017 ist für Englands Fußballnachwuchs schon jetzt das beste Jahr der Geschichte. Vor zwei Wochen gewann die U 20 durch einen 1:0-Finalsieg gegen Venezuela in Südkorea die Weltmeisterschaft. Es war der erste WM-Triumph für die Fußball-Assoziation (FA) seit 1966. Mitte Mai hatte die U 17 im EM-Endspiel in Kroatien gestanden, dort aber 0:1 gegen Spanien verloren. Es tut sich etwas beim englischen Nachwuchs, und das machen die Engländer vor allem daran fest, dass sie vor fünf Jahren ihr nationales Fußball-Zentrum namens "St. George's Park" eröffnet haben - genau so eines, wie es der DFB seit Jahren plant. "Die Arbeit trägt Früchte", sagt Adrian "Aidy" Boothroyd, der U 21-Nationaltrainer.

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Die jüngsten Erfolge sollen anstecken. "Der Titel der U 20 spornt auch uns an", sagt U 21-Linksverteidiger Ben Chilwell von Leicester City. Der 20-Jährige geht in der Konzeption des Verbandes beispielhaft auf, so konsultiert er zum Beispiel begeistert die Team-Psychologin Rebecca Symes und beherzigt ihren Rat, sich immer wieder erfolgreiche Abwehr-Aktionen zu verinnerlichen und sich damit suggestiv zu stärken. Mit Suggestionen haben sie es überhaupt. "Beherrsche den Ball!", lautet eines von vielen Mantras der selbst ernannten "England-DNA", und auch die Anweisungen "Verteidige enthusiastisch!" oder: "Genieße es, den Ball zurückzugewinnen!" gehören zum Repertoire. Die Philosophie wird im Fußballzentrum im englischen Nirgendwo nahe dem Städtchen Burton-upon-Trent den Aktiven aller 24 Nationalmannschaften gepredigt.

Die beiden englischen U 21-Titel stammen noch aus den Achtzigerjahren

Die U 21 setzt die Vorgaben bei der EM in Polen bislang recht gut um. Zu einem mauen Auftakt-0:0 gegen Schweden verhalf der für 30 Millionen Pfund nach Everton wechselnde Sunderland-Torwart Jordan Pickfort seiner Mannschaft auch dadurch, dass er es genoss, in der 81. Minute einen Elfmeter zu halten. Die englischen Medien feierten dies als Schlüsselmotivation für die 2:1- und 3:0-Siege in den darauffolgenden Spielen gegen die Slowakei beziehungsweise Polen. "Wir haben eine Riesenchance, Europameister zu werden", sagt Chilwell. Die beiden englischen U 21-Titel stammen noch aus den Achtzigerjahren.

Boothroyd, Nachfolger des zum A-Nationalcoach beförderten Gareth Southgate, lässt seine Mannschaft meist ein 4-2-3-1-System spielen. Die England-DNA schreibt ihm die Formation glücklicherweise nicht vor, da ist sie großzügig: "Englische Teams spielen mit taktischer Flexibilität." Das ist clever und erlaubt Boothroyd, die individuellen Stärken seiner Spieler zu nutzen. Der von Tottenham umworbene Innenverteidiger Alfie Mawson (Swansea) hat Englands erstes Tor bei dieser EM erzielt und damit geholfen, nach dem 0:0 gegen Schweden und einem 0:1-Pausenrückstand gegen die Slowakei die Trendwende einzuleiten. Seither hat das Team binnen drei Halbzeiten kein Gegentor mehr kassiert. Mit 52 Prozent Ballbesitz und 1102 Pässen ist England zwar nicht ganz so ballverliebt wie Deutschland - in der Chancenverwertung mit fünf Toren bei 38 Torschüssen aber effektiver als die Kuntz-Elf (fünf Tore bei 56 Torschüssen).

Der defensive Mittelfeldspieler James Ward-Prowse (Southampton) ist mit 137 Premier-League-Spielen der Erfahrenste. Der Innenverteidiger Calum Chambers (Arsenal) und der Sechser Nathaniel Chalobah (Chelsea) gehen im Sommer bei großen Klubs ambitioniert in die Saison. Stürmer Demarai Gray (Leicester), Torschütze zum 1:0 gegen Polen, sagt über den EM-Titel: "Warum nicht?" Genauso wie das DFB-Team verzichtet aber auch das englische auf einige Stars. Die A-Nationalspieler Dele Alli, Eric Dier, Marcus Rashford, Raheem Sterling und John Stones, allesamt noch im U 21-Alter, wurden nicht mehr berufen.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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